16. April 2009:Der frische Wind der frühen Jahre

Lesezeit: 3 min

Geistiger und politischer Aufbruch: Die Nachkriegszeit war längst nicht so spießig, muffig und autoritär wie gemeinhin behauptet. SZ-Leser erzählen.

""Omi versorgt die Kleinen und Vati bekommt das größte Stück vom Sonntagsbraten"; so verteilte auch die Mutter meines Vaters den Braten, zum Ärger ihrer Schwiegertochter. Staub gesaugt wurde allerdings während der Mahlzeiten nicht. Aber vielleicht hatte ja eins der Kinder Krümel auf dem Fußboden verstreut, und Mutter ging mal schnell mit dem Staubsauger darüber, damit sich nichts festtrat.

Eine glückliche Familie oder trügerischer Schein? SZ-Leser diskutieren, wie idyllisch die Adenauer-Jahre waren. (Foto: Foto: ddp)

Auch in mir weckte Ihr Bild unterschiedliche Emotionen: So spießig war unser Wohnzimmer nicht möbliert. Ein bisschen beengt war alles aus heutiger Sicht, denn wir, die drei kleinen Kinder, lebten mit den Eltern und Großeltern in einer Vierzimmerwohnung mit Küche und Bad in Hamburg. Doch unsere Familie war weder eine Spießerhölle noch eine heile Welt.

Davon abgesehen waren die fünfziger Jahre nicht ganz so spießig. Im Parteienspektrum gab es die Deutsche Friedensunion mit Renate Riemeck; die Generation eines Wolfgang Borchert war nicht ausgestorben, einige gaben einen sehr kompetenten Unterricht wie unsere Geschichtslehrerin, die die Ereignisse während der Nazizeit weder verschwieg noch beschönigte. In Hamburg setzten sich zahlreiche Pädagogen für den Austausch mit England und für ein internationales Kinderdorf ein, das von Amerikanern für die Erziehung zum Frieden in den Sommermonaten organisiert wurde.

Obwohl in unserer Familie der Vater nach dem Krieg noch vorhanden war, begnügte sich meine Mutter nicht mit der Rolle der Hausfrau. Sie hatte in den dreißiger Jahren an der Universität Hamburg studiert, und es war ihr überaus wichtig, dass auch ihre Töchter eine abgeschlossene Berufsausbildung erreichen sollten. Das traf auch übrigens für unsere Freundinnen zu, von denen die wenigsten in einer heilen Familie mit Vater lebten. Bei vielen war der Vater im Krieg gefallen oder hatte sich kriegsbedingt von seiner Familie getrennt und dann scheiden lassen, was ja in den ersten Adenauerjahren leichter möglich war als später.

Auch bei den siegreichen Alliierten waren die gesellschaftlichen Verhältnisse keineswegs "unmuffig": Als ich 1965/66 in England an der Universität Birmingham studierte, lebte man streng getrennt von den männlichen Kollegen. Und wie es in Amerika zuging, können Sie dem Roman "Sophie's Choice" von William Styron entnehmen."

Antje Krieger Bielefeld

Der Weg in die Dekadenz

"Immer wieder werden die 50er Jahre einseitig als muffig oder spießig bezeichnet und damit eine ganze Ära und ihre Menschen diffamiert! Frieden und Wohlstand, die wir gerade dieser so geschmähten Zeit verdanken, und jahrzehntelang vernachlässigte Erziehung führten ersichtlich zu wohlstandsverkommenen, selbstgefälligen Besserwissertypen, bei denen sich durchaus die Frage nach der Menschenwürde stellt.

Gar nicht begriffen ist, dass ein Unterschied zwischen tolerieren und salonfähig machen besteht; mit Letzterem wird der Weg in die Dekadenz frei. So groß wie scheinheilig ist aber das Geschrei, wenn Exzesse der wertefreien, enttabuisierten Gesellschaft öffentlich Opfer fordern."

Klaus Krieger Kandern

Was wirklich modern ist

"Generationenkonflikte und Modernisierung gab es zu allen Zeiten und wird es auch weiterhin geben. Oswald Kolles Holzmännchen lösen bei den ganz Jungen heute genauso "Belustigung" aus wie Haartracht und Kleidung der Siebziger. Und den heutigen Moden wird es in 20 Jahren genauso ergehen. Und nicht jede Modernisierung ist auch eine Verbesserung, man sehe sich nur die "modernen" Bauten der sechziger und siebziger Jahre an, die heute schon wieder abgerissen werden.

Ob es außer dem Finanzminister jemandem nutzt, wenn die Mutter den ganzen Tag in einem Call-Center die Klagen verärgerter Kunden anhören oder an einer Lidl-Kasse Waren über den Scanner schieben muss, und das bescheidene Salär für Finanzamt, Kinderkrippe und Psychiater draufgeht, muss sich jeder selbst überlegen. Die Sachzwänge einer "modernen" Gesellschaft lassen allerdings keine andere Wahl."

Herbert Uhl Baldham

Aufbruch und Erneuerung

"Das Bild, das Peter Fahrenholz zur Illustration benutzt, erweckt allerdings Emotionen, handelt es sich doch um eine primitive Fälschung. Die Frau mit dem Staubsauger ist recht ungeschickt in das Bild eingefügt: Sie ist zu klein, das Wandstück hinter ihr ragt völlig unerklärlich und dazu noch schief in das Zimmer, das im Übrigen sein Licht von links erhält, wie am Schatten des Fernsehers und der Vase auf dem Schrank zu sehen ist, die Frau hingegen erhält das ihrige von rechts. Im Übrigen möchte ich denjenigen reaktionären Familienvater kennenlernen, der seiner Frau erlaubt hätte, während des Mittagessens mit dem Staubsauger herumzufuhrwerken!

So falsch wie das Bild war leider auch der einseitige Artikel. Die frühen Jahre der deutschen Nachkriegszeit waren keineswegs "autoritär, vermufft, prüde und bigott". Nach zwölf Jahren Diktatur waren es Jahre des Aufbruchs und der Erneuerung. Nichts konnte ja bleiben wie es war! Dass die Wege einer geistigen und politischen Erneuerung mühsam und langwierig zu gehen waren, ist wohl verständlich, auch dass dieser Aufbruch durch Adenauers Rehabilitierung der Nazis retardierte und dass er einer nachgewachsenen Generation nicht schnell genug ging. Aber es war eine Zeit des Aufbruchs, unautoritär und ohne Muff!"

Dr. Georg Himmelheber München

© SZ vom 16.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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