15. Juli 2009:West-östliches Unverständnis

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Nach dem Mord an einer Ägypterin in Dresden entstand eine Debatte über die Reaktionen des Westens und der arabischen Welt - ein heikles Thema, zu dem sich auch SZ-Leser geäußert haben.

" Hasst der Westen den Islam?" war der Titel eines Beitrags von Alaa Al-Aswani vom 10. Juli anlässlich der arabischen Reaktionen auf den Mord an einer Ägypterin in Dresden. Dazu schreiben Leser:

(Foto: Foto: ap)

"Al-Aswani wendet sich entschieden gegen seiner Meinung nach verfehlte Islamauslegungen durch Osama bin Laden samt Anhängern, den Taliban, 'Männern, die sich islamische Rechtsgelehrte nennen' und andere. Inhaltlich ist ihm natürlich zuzustimmen, doch keineswegs methodologisch: Er begeht exakt denselben Fehler wie seine genannten Gegenspieler, nur gleichsam mit umgekehrtem Vorzeichen. Wo diese ihre Mordlust und Aggression gerechtfertigt finden, findet er Vorbilder für liberale Werte wie Religionsfreiheit, Geschlechtergleichheit. Das ist und bleibt ein Nullsummenspiel!

Die nicht aus dem Koran ableitbare, doch seit den ersten Generationen der Muslime und teilweise bis heute bestehende Kriminalisierung der Apostasie wird bei ihm zu einer simplen Fehlinterpretation weniger Irregeleiteter. Die idyllische Szene mit Mohammed als gegenüber seinen Enkeln nachgiebigem Großvater tritt an die Stelle - um nur ein Beispiel zu nennen - seines wenn nicht Befehls so 'Wunsches', einen unbotmäßig satirischen Dichter gemeuchelt zu sehen - was prompt geschah. Und dann, sozusagen dem Fass die Krone ins Gesicht schlagend: Mohammeds nach heutigem Verständnis pädophile Beziehung zur neunjährigen Aischa interpretiert Al-Aswani flugs, weil sie ihm gar zu anstößig ist, hinweg, indem er Aischas Alter jugendschutzgemäß auf 19 hinaufsetzt.

Das Fatale ist, dass auch Al-Aswani nicht bereit ist, die heiligen Texte ihrer historischen Bedingtheit entsprechend kritisch zu analysieren und zu rekontextualisieren. Wie seine Kontrahenten, nur spiegelbildlich verkehrt, kann er sie nur wörtlich akzeptieren, beziehungsweise als Steinbruch ausschlachten; wo auch das versagt, weil sie seiner 'liberalen' Haltung zu deutlich widersprechen, bleibt ihm als Ausweg nur Geschichtsklitterung.

Nur als Anhang dazu ist zu sagen, dass der enorme Erfolg seines Buches 'Der Jakubijan-Bau', das eher Kolportage- oder Trivialroman ist, mehr über den deprimierenden Zustand heutiger arabischer politischer und gesellschaftlicher Zustände aussagt als über seinen literarischen Rang."

Prof. Dr. Lutz Richter-Bernburg Tübingen

Angst vor Muslimen

"Lange Zeit galt der Islam als eine mysteriöse, geheimnisvolle Bewegung aus den 1001-Nacht-Geschichten, von mutigen Kriegern, die im fernen Orient mit edlen Tüchern gekleidet auf Pferden ihre Heimat und Religion mit dem Schwert verteidigen. Der Westen war neugierig. Dann flimmerten ins westliche Wohnzimmer Fernsehbilder von mutigen Selbstmordattentätern, die im Namen Allahs auch den Tod von Kindern, Frauen und Landsleuten in Kauf nahmen. Stolze Mütter lobten den Mut ihrer nun zerfetzten Söhne und Töchter.

Der Westen verstand den Islam nicht. Flugzeuge, als friedliche Beförderungsmittel konzipiert, wurden als Mordwaffe erfunden und haben im Namen des Islams im Herzen der westlichen Zivilisation Tod und Schrecken ausgelöst. Der Westen erschrak. Den Islam beleidigende Karikaturen dienten als legale Mordargumente. Der Westen verstand den Islam noch weniger. Die komplett in Schwarz-Gold verschleierten Islam-Damen, die neuerdings durch die Maximilianstrasse flanieren, tragen weder zum Angstabbau noch zum Islamverständnis bei. Der Westen schaut zu und wundert sich.

Nein, der Westen hasst den Islam nicht. Er hat Angst und versteht ihn immer noch nicht."

Zeev Vilf München

Neurotischer Umgang mit weiblicher Sexualität

"Die Vergleiche, die Al-Aswani bemüht, um die 'ungerechten Vorurteile' des Westens gegen den Islam zu belegen, sind ungeeignet. So kann er amerikanische Jungfräulichkeitskampagnen in keiner Weise mit der muslimischen Keuschheitsmoral vergleichen. Keine der jungen Amerikanerinnen würde wegen ihres Versprechens, jungfräulich in die Ehe zu gehen, von ihren Brüdern bewacht und drangsaliert.

Niemand käme auf die Idee, dass man sie nun vor Männern zu verstecken und/oder zu verschleiern habe, niemand sähe die Ehre der Familie gefährdet, wenn sich die junge Frau anders entschiede, niemand würde sie deswegen prügeln oder umbringen. Deswegen macht es sehr wohl einen Unterschied, ob man - wie er es beschreibt - über das Thema im Fernsehen mit einem praktizierenden Muslim oder einem westlichen Weltverbesserer diskutiert.

Der dem Islam immanente neurotische Umgang mit der weiblichen Sexualität ist kein westliches Hirngespinst oder Vorurteil. Al-Aswani hat nicht verstanden, wie grundlegend die islamische Kontrolle, Einengung und Unterdrückung der Frauen in all ihren Ausformungen gegen universelle Menschenrechtsvorstellungen verstößt. Und unglaublich ist auch Al-Aswanis Gleichsetzung der Ermordung der beiden jungen Frauen Neda in Iran und El-Sherbini in Dresden. Der Fall Dresden zeigt ihm, 'dass Terrorismus keine Domäne der Araber oder Moslems ist.' Was hat dieser Mord im Gericht mit Terrorismus zu tun ? Gar nichts."

Waltraud Eichengrün Königswinter

Mehr Selbstbewusstsein bei der Bundesregierung

"Das eine junge Frau und Mutter auf so schreckliche Art sterben musste, ist sehr tragisch. Ich möchte der Familie der jungen Muslimin mein Mitgefühl aussprechen.

Ich möchte aber auch mein Missfallen darüber zum Ausdruck bringen, wie in der islamischen Welt auf dieses schreckliche Verbrechen reagiert wird. Diese Tat ist meiner Meinung nach die Tat eines gestörten Menschen. Dieser Mord rechtfertigt jedoch nicht, dass in Teheran und auch in Kairo Rufe laut werden wie, 'Nieder mit Deutschland'.

Dieser Mord ist absolut verabscheuungswürdig und tragisch. Es wäre jedoch nicht mehr und auch nicht weniger tragisch, wenn das Opfer dieses gestörten Menschen eine Deutsche oder eine Frau und Mutter irgendeiner anderen Nationalität und Religion wäre.

Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass im April 2007 in der Türkei drei Christen, unter ihnen ein Deutscher überfallen und brutal ermordet wurden. Im Juni 2009 wurden im Jemen drei Junge Frauen, zwei Deutsche und eine Koreanerin, entführt und ermordet, weil sie angeblich missioniert haben sollen. Dies waren nur zwei Beispiele von vielen. In Deutschland sind nach solchen Ereignissen keine Rufe auf den Straßen zu hören wie, 'nieder mit der Türkei, nieder mit dem Jemen.....' Und das ist auch gut so. Doch es täte der Bundesregierung gut, auf der internationalen Bühne auch mal ein wenig mehr Selbstbewusstsein zu zeigen und solche ausufernden islamischen Hassbekundungen ebenfalls zu verurteilen."

T. Klein Neufahrn

Oberflächlich und undifferenziert

"Die Frage, ob der Westen den Islam hasst oder nicht, ist oberflächlich und undifferenziert, unabhängig aller mit Sicherheit existierenden Ressentiments. Denn es gibt weder 'den' Westen wie 'den' Islam. Al-Aswani beklagt sich darüber, dass die Wahlfälschungen im Iran im Westen so ungleich mehr Aufmerksamkeit erregen als etwa die in Ägypten.

Nun, es gibt einen Unterschied: Wenn in Ägypten die Wahl gefälscht wird (was die Regel sein dürfte), dann gehen nicht Hunderttausende auf die Straße, die ihr Leben zu riskieren bereit sind, um sich der Herrschaft des wie ein Pharao regierenden Mubarak zu entledigen. Warum das im Iran immer wieder passiert (1959, 1979, 2009) und in Ägypten nicht, ist eine Frage, die ich gerne Herrn Al-Aswani stellen würde, ich habe darauf keine Antwort.

Der zweite Unterschied: Wenn im Zuge einer solchen spontanen Erhebung ein unschuldiges Mädchen von versteckten Militärpolizisten erschossen wird, ist es eine natürliche Dynamik, dass diese zur Märtyrerfigur stilisiert wird, da spielt es keine Rolle, ob dies in Teheran oder in Kairo passiert. Wenn eine unschuldige Ägypterin von einem Wahnsinnigen in einem deutschen Gerichtssaal erstochen wird, ist das eben nicht derselbe Vorgang.

Dass diese Frau in Ägypten zur Märtyrerin erhoben wird, hat etwas mit dem weitverbreiteten und berechtigten Gefühl zu tun, dass der Westen die Vorgänge in Nahost mit (mindestens) zweierlei Maß misst. Aber diese Tote ist nicht eine Märtyrerin im Kampf gegen Mubarak und seinen allgegenwärtigen Machtapparat sondern eine Symbolfigur von Menschen, die sich betrogen fühlen, aber nicht von ihrer Regierung sondern vom 'Westen'.

Al-Aswani hat recht, wenn er meint, die meisten Menschen im Westen hätten verzerrende und bösartige Vorurteile gegen den Islam. Aber mir ist nicht klar, was er meint, wenn er sagt, die Demokratie sei die Lösung. In Algerien und in Ghaza haben meines Wissens die einzigen freien Wahlen in islamischen Ländern stattgefunden, in beiden Fällen waren Islamisten die klaren Sieger. In beiden Fällen war der Westen, der so gerne Demokratie exportieren möchte, nicht bereit, den Siegern zu gratulieren. In Ägypten würden die Muslimbrüder einen ebenso hohen Sieg einfahren, wenn man sie nur ließe."

Hasst der Islam den Westen?

"Starker Tobak, den uns Alaa Al-Asawani hier anbietet. 'Hasst der Westen den Islam?' fragt er und versucht das unter anderem mit dem Vergleich der Berichterstattung über die getötete iranische Demonstrantin und die Ermordung der Ägypterin in Dresden zu belegen.

Bei einer sachlichen und unvoreingenommenen Beurteilung dürfte auch ihm der gravierende Unterschied zwischen den beiden Verbrechen einleuchten. Da ist auf der einen Seite die Demonstrantin in Teheran, die von Schergen des Regimes erschossen wurde und der Schütze wird vermutlich nie zur Rechenschaft gezogen werden. Und da ist andererseits der irregeleitete Mörder in Dresden, der sofort inhaftiert wurde und seine gerechte Strafe finden wird. Al-Asawani beklagt, dass das Bild des Islam im Westen völlig verzerrt dargestellt wird. Er geht aber nicht darauf ein, dass in den letzten 100 Jahren sicherlich hundertmal mehr Christen von Moslems im Namen von Allah umgebracht wurden als Moslems von Christen. Und er verschweigt (statistische Angaben liegen mir allerdings nicht vor), dass Moslems seit Ausbruch des iranisch-irakischen Krieges sicher auch 1000fach mehr von anderen Moslems getötet wurden als von Christen. Das ist doch der entscheidende Faktor, der das Bild des Islam im Westen prägt. Angesichts dieser Tatsachen ist die Frage doch eher berechtigt 'Hasst der Islam den Westen?' Oder vielleicht auch 'Hassen sich die Moslems gegenseitig?' Al-Asawani zeichnet uns dann in seinem Beitrag sein 'wahres Bild des Islam'. Das ist wirklich eindrucksvoll. Er hätte aber noch hinzufügen sollen, in welchem islamischen Land dieses Idealbild verwirklicht oder auch nur angestrebt wird. Schließlich beendet er seine Ausführungen mit der Forderung: 'Wir müssen den Islam vor all dem Schwachsinn retten, vor den Unwahrheiten und den rückständigen Ideen.' Eine wahrlich große Aufgabe, die er sich und allen Moslems stellt. Wenn er diese Aufgabe bewältigt hat, sollte man nochmals über das Bild des Islam im Westen reden." Wolfgang E. Schaefer Altleiningen

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