14. März 2009:Bali, Bananen und BMW

Lesezeit: 7 min

SZ-Leser schreiben über die Aufarbeitung der Geschichte, die Skandale bei der Bahn und die Attraktivität der FDP.

Zum Beitrag von Ingo Schulze "Mein Westen" vom 7./8. März schreiben Leser:

"Trabi"-Fans bei einem Treffen im Jahr 2007. (Foto: Foto: dpa)

"Und schon schlägt Ingo Schulze in opulenter Breite wieder ein großes Kapitel Geschichtsbetrachtung nach dem Muster 'hätte wollen müssen' und 'hätte tun müssen' auf. Wenn es diesmal nun nicht wie bei Günter Grass nach 40 Jahren desavouiertem Sozialismus der in edler Armut erprobte 'wahre' Sozialismus hätte gewesen sein sollen, dann hätte 'man' (wer oberhalb und abseits der Wählerschaft ist denn eigentlich zu historischen Aufträgen dieser Art berufen?) besser 'mit einer Übergangszeit den Ostdeutschen etwas abverlangt' und sie (auf der Basis einer zerrütteten Volkswirtschaft) mit eigener Kraft eine 'Gründerzeit' organisieren lassen sollen.

Das wäre vielleicht plausibel gewesen, dachten damals viele, auch ich. Doch das historische Subjekt, nämlich die Menschen, die sich eine ungewohnte Freiheit als Wähler, Arbeitnehmer und Konsumenten erobert hatten, wollten es ganz einfach anders und hatten auch das Recht, es bis hin zum schweren Irrtum anders zu wollen.

Gewiss musste mancher schmerzlich lernen, dass zwischen der persönlichen Entscheidung, einen gebrauchten Golf oder Japaner zu kaufen, und der Beobachtung, dass 'die' unser Trabantwerk 'plattmachen', ökonomisch ein Zusammenhang besteht. Die Intellektuellen müssen damit leben, dass den Ostdeutschen die Bananen, die Reisen in den Süden und die Mark wichtiger waren als die Nachholung unerledigter historischer Aufgaben von 1848, 1918 und 1945.

Angesichts eines schnellen Verfalles auch der 'gewendeten' Staatsautorität der DDR und einer anhaltenden Wanderungsbewegung nach Westen bei wachsender Unsicherheit über die weitere Entwicklung in der Sowjetunion war es des Weiteren rückblickend nicht so falsch, von Bonn aus die mehrheitlich gewollte Vereinigung zügig zu betreiben. Dass in ihrem administrativen und wirtschaftlichen Vollzug schwere Fehler begangen wurden, steht außer Frage.

Monika Maron hat in ihrer glänzenden Auseinandersetzung mit Günter Grass vor wenigen Wochen ('Die Unke hat geirrt', 7. Februar) jedoch auch darauf hingewiesen, dass wir in der ostdeutschen Realität 20 Jahre später nicht nur das stets wohlfeil beschriebene Jammertal von Hartz IV und Rechtsradikalismus vorfinden. Wer einen Besucher aus Griechenland oder Rumänien oder den abgewirtschafteten Industrieregionen Westeuropas durch den Osten führt, wird bei ihm wenig Verständnis für die stets nur bittere Ironie finden, mit der wir Kohls 'blühende Landschaften' zitieren."

Andreas Knipping, Eichenau

In nostalgischen Reflexen gefangen

"Die erfolgreiche Veröffentlichung von Prosa befähigt nicht automatisch zum politischen Urteil und viel wichtiger: Die Prägungen einer Kindheit und Jugend in einer entmündigenden Diktatur wie der DDR sind möglicherweise überhaupt nicht mehr abzuschütteln.

Es sei denn, man machte sie sich zuerst einmal in einem wahrscheinlich schmerzhaften Prozess bewusst und versuchte dann, sich ihrer aktiv zu entledigen. Andernfalls (siehe Schulze) bleibt man wohl zeitlebens der Gefangene nostalgischer Reflexe von der Idylle in der Diktatur und unpolitischer Phantasien aus dem Wolkenkuckucksheim (ein Gesundheitswesen, in dem die Ärzte nicht zugleich Unternehmer sein müssen, Versicherungen, die nicht dazu verurteilt sind, Profit zu machen, 'ein Verkehrssystem, das sich als ökologische Alternative versteht', eine flächendeckende und kostenlose Krippenbetreuung und vieles mehr).

Wirklich verhängnisvoll sind aber Schulzes 'politische' Vorstellungen, die unverfälscht aus der Ideenwelt der SED kommen: 'Was gebraucht wurde, war eine Übergangszeit. Mit einer Übergangszeit hätte man den Ostdeutschen etwas abverlangt, Wähler verprellt.'

Die verharmlosenden Wörter Schulzes verschleiern doch: So etwas hätte sich nur die SED leisten können. Eine demokratisch ins Amt gewählte DDR-Regierung (etwa unter Lothar de Maizière) hätte ihre Wähler betrügen müssen, deren Vertrauen schlagartig verloren. Entweder wäre auch sie hinweggefegt worden, oder weitere Millionen Menschen hätten die DDR verlassen.

Man hätte die Mauer gleich wieder neu errichten können. Schulze schreibt: 'Aber dazu fehlte dem Regierungslager der politische Wille.' So geht das halt in der Demokratie: Die Regierenden haben sich am Willen der Regierten zu orientieren, nicht umgekehrt."

Matthias Popp, Hemmingen

Wir haben unsere Chance verspielt

"Während der Kommunalwahlen 1990 war ich in Greifswald. Kommunalpolitiker, Professoren und 'normale' Bürger erklärten mir, das jahrzehntelange Darben und Warten reiche nun. Sie wollten reisen und kaufen und das sofort.

Ich hatte die Wiedervereinigung auch als Chance für den Westen empfunden. Wir haben sie verspielt, der Osten und der Westen. Jetzt da wir, die vermeintlichen Sieger über den Sozialismus, nun auch zu Opfern des ungehemmten Kapitalismus werden, sehe ich neue Chancen für ein besseres Miteinander."

Thomas Doll, München

Ein haarsträubender Skandal

"Als pensionierter Bundesbahnbeamter verfolge ich die ausgezeichnete Berichterstattung der SZ um die Vorgänge bei der Deutschen Bahn AG mit großem Interesse. Skandale und Pannen reihen sich aneinander. Der aktuelle Datenskandal, in der SZ vom 05.02.09 chronologisch aufgelistet, zeigt in erschreckender Weise, wie lax verantwortliche Politiker und Parlamentarier mit der seit Jahren hemdsärmligen Vorstandsarbeit des Herrn Mehdorn umgehen.

Heribert Prantl bringt es im Artikel vom 05.02.09 'Die Bahn bin ich. ...' zutreffend auf den Punkt mit der Feststellung: 'Rechtsbruch ist keine Lappalie'! Klaus Ott kommt in seinem Kommentar vom 07.02.09 'Bahnchef auf Abruf" zur bemerkenswerten Aussage: 'Von Mehdorn bis Merkel: Missmanagement scheint ansteckend zu sein.'! Ebenso bemerkenswert ist der Artikel: 'Union will Mehdorn aus taktischen Gründen halten' in derselben SZ-Ausgabe.

Welche Auswirkungen derartige parteipolitischen 'Spielchen' haben, zeigt sich recht deutlich am weiteren Verlauf der Aufklärungsarbeit dieses haarsträubenden Skandals. Nicht nur die 'Aufklärung im Schritttempo' (SZ-Kommentar vom 11.02.09) ist bemerkenswert, sondern auch die Auftritte verschiedener Vorstandsmitglieder (u.a. Herr Wiesheu, ehemaliger bayrischer Minister) vor den Parlamentariern des Verkehrsausschusses und sodann die Behinderung der Sonderermittler verbunden mit einer offensichtlichen Akten-vernichtung.

In der neuesten Entwicklung kommt nun noch zutage, dass auch die Führung der Eisenbahner-Gewerkschaften hintergangen wurde (SZ vom 07.03.09 'Nun ist aber gut'). Offenbar dehnt sich dieser Fall aber noch weiter aus: SZ vom 09.03.09 'Neuer Verdacht im Datenskandal - Der Bahn-Aufsichtsrat lässt prüfen, ob er ausgespäht wurde'!! Bei diesem Werdegang müsste nun doch der Verkehrsminister als 'Aufsichtsorgan' des Eigentümers Bund aktiv eingreifen, es sei denn, dass er die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft, die hier ja auch eingeschaltet ist, abwartet.

Bisher hat niemand die Frage gestellt, welche Auswirkungen der Skandal auf die Mitarbeiter des Verkehrsunternehmens hat. Das ist aber auch nicht notwendig, denn dank des 'strammen Regiments mehdornscher Prägung' ist das Betriebsklima bereits seit Jahren auf dem Nullpunkt."

Alexander Tomm, St. Ingbert

Reproduktion ist ein Menschrecht

"Ich bin Ärztin und arbeite seit Jahrzehnten mit behinderten Kindern. Vererbungslehre per se ist nicht menschenverachtend. Sie wurde von den Nazis für deren Zwecke missbraucht. Aber was auf den Forschungen von Darwin und Mendel beruht, ist zunächst einmal wertfreie Naturwissenschaft. Dass 80% der Behinderungen während und nach der Geburt entstehen, glaubte man früher, aber es trifft nicht zu.

Die Diagnose 'frühkindlicher Hirnschaden' wurde allzu häufig auch dann gestellt, wenn man nach damaligem Wissensstand nicht genau wusste, was der Grund für die Auffälligkeit war. Etwa mindestens zwei Drittel der angeborenen Behinderungen sind sogenannte Dysmorphie-Retardierungssyndrome, das heißt, es gibt in dem betreffenden menschlichen Organismus eine strukturelle Fehlbildung, die mit entsprechenden Funktionsstörungen verbunden ist.

Seit man viele, aber noch längst nicht alle dieser Syndrome heute mit modernen molekulargenetischen Untersuchungsmethoden identifizieren kann, ist das Wissen darüber sprunghaft gewachsen. Manche dieser Syndrome sind relativ häufig, manche sehr selten, aber alle zusammen machen sie den größten Teil der angeborenen Behinderungen aus.

Nicht alle dieser Syndrome sind mit geistiger Behinderung verbunden. Mir sind Mütter bekannt, die an Arthrogryposis (angeborener Gelenkversteifung), Achondroplasie (Kleinwuchs), Morbus Recklinghausen (Knötchenbildung unter der Haut und in vielen Organen) oder Tuberöser Sklerose (Hirnverkalkungsherde mit Epilepsie) leiden, und deren Kinder genau dieselben Erkrankungen geerbt haben. Da aber diese Mütter nicht geistig behindert sind, kommen sie mit ihren Kindern genauso gut zurecht wie die Mehrheit aller anderen Mütter auch.

Von Frauen mit Down-Syndrom weiß man, dass sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % wieder Kinder mit Down-Syndrom bekommen. Aber auch viele andere Syndrome haben eine hohe Vererbungsquote. Bei der humangenetischen Diagnostik und Beratung wird versucht, eine Prognose über die zu erwartende Häufigkeit einer Weitervererbung zu stellen. Diese ist für jedes der bekannten Syndrome sehr unterschiedlich.

Aber diese und andere Fakten stellen nicht in Frage, dass Reproduktion ein Menschenrecht ist, das prinzipiell für jeden gilt. Darum ist ein Projekt wie das in dem Artikel beschriebene lebenswichtig für die Kinder geistig behinderter Mütter. Denn die Lebensperspektive für Kinder, die zu diesem Personenkreis gehören und nicht in einem solchen Projekt aufwachsen können, ist leider sehr häufig von physischem und psychischen Elend geprägt.

Und auch wenn ein Kind aus Gründen des Kindeswohls von einer erziehungsunfähigen Mutter getrennt werden muss, ist damit längst nicht alles wieder in Ordnung, sondern sowohl für die Mutter als auch für das Kind bedeutet die zwangsweise Trennung ein schweres psychisches Trauma, welches sie häufig beide nicht verstehen.

Aber auch dann, wenn ein Kind bei seiner geistig behinderten oder psychisch kranken Mutter bleibt und viel zu früh Verantwortung für sie übernehmen muss, wird es in seiner kindlichen Entwicklung beeinträchtigt und kann Schäden davontragen."

Dr. Karin Plagemann, Kiel

Super-GAU schwarz-gelbes Bündnis

"Peter Fahrenholz analysiert in seinem Leitartikel ('Die Attraktivität der FDP', 9. März) sicherlich weitgehend zutreffend die neue Attraktivität der FDP. Ich muss jedoch vehement widersprechen, wenn er behauptet, die Hauptlast der gegenwärtigen Krise trage die Mittelschicht. Dies zu behaupten ist eine Verkennung der gesellschaftlichen Realität, die von der Mehrheit der Menschen hierzulande auch anders wahrgenommen wird.

Nein, die Hauptlast kapitalistischer Krise und neoliberaler Politik tragen selbstverständlich die Armen. Es sind jene, die von rund 350 Euro monatlich ihr Leben fristen müssen . Zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Das ist das Ergebnis der Politik in einer Gesellschaft, in der diejenigen, die Solidarität einfördern bestenfalls belächelt werden. Wäre die heutige FDP noch für linksliberale Gedanken offen, wie sie etwa in den siebziger Jahren in den Freiburger Thesen formuliert wurden, könnte ich die Hinwendung einer bewußten oberen Mittelschicht zur FDP nachvollziehen.

Doch die FDP des Jahres 2009 ist nicht mehr die Vertreterin eines politischen Liberalismus, der von Persönlichkeiten wie etwa Karl-Hermann Flach oder Hildegard Hamm-Brücher geprägt war und der das Wort 'liberal' mit sozialer Verantwortung verband. Die FDP von heute ist vor allem marktradikal, kaltherzig und taugt auch als Burgerrechtspartei nur begrenzt.

Das Schlimmste, was dieser Republik passieren könnte, wäre deshalb ein schwarz-gelbes Bündnis nach der Bundestagswahl Ein politischer Durchmarsch einer derartigen Schreckenskoalition hatte verheerende Konsequenzen für die Restbestände des sozialen Friedens und würde Armut für noch mehr Menschen in der Bundesrepublik konkret erfahrbar machen."

Manfred Kirsch, Neuwied

© SZ vom 14.03.2009/brei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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