12. Juni 2009:Wahlkampf an Europa vorbei

Lesezeit: 6 min

Zu wenig, zu spät, zu einseitig: SZ-Leser diskutieren über den Europawahlkampf der Parteien und dessen Auswirkungen auf die Wahl selbst.

Zu Berichten und Kommentaren über die Europawahl schreiben Leser:

Viele hat der Europawahlkampf der Parteien gar nicht erreicht oder enttäuscht: Nur 43 Prozent der stimmberechtigten Europäer haben ihr Kreuz gemacht. (Foto: Foto: ddp)

"Es gilt nicht, die Wähler kurz vor knapp mittels Schmalspurwahlkampf an die Urnen zu locken. Wollten die Parteien wirklich für Europa werben, müssten sie sich vielmehr langfristig an der EU orientieren: Ein eindeutiges Bekenntnis zu Europa und seiner Politik ist viel zu selten zu hören, Brüssel muss in der Regel als überregulierender Sündenbock herhalten.

Das Problem liegt hier insbesondere in der ständigen Abwesenheit genuin europäischer Themen - die geographische Distanz Brüssels scheint sich auf die Agenda der Berliner Parteizentralen auszuwirken. Denn was nicht oder nur ungenügend angesprochen wird, existiert, politisch gesehen, nicht. Notwendig wäre eine Erweiterung des Parteienhorizonts über nationale Grenzen hinaus.

Europäische Themen müssen ständig auf der Tagesordnung stehen, vor allem um der Bedeutung ihres faktischen Einflusses auf nationale Politik gerecht zu werden. Wird die EU nur als Trostpflaster oder Ruhesitz für abgehalfterte Politiker betrachtet, kann nicht erwartet werden, dass Europa Wähler an die Urnen lockt. Dass der Ausgang der Europawahl von CDU und FDP als Stimmungsbarometer für die Bundestagswahl degradiert wurde - 'eine bürgerliche Mehrheit scheint möglich zu sein' - unterstreicht dieses Defizit: Europawahlkampf war bislang Wahlkampf mit Blick auf Berlin, an Europa vorbei. Dies merkt der Wähler."

Moritz Krell & Manuel Vesely Berlin

Ausländer an die Urnen

"Einerseits wird immer wieder die mangelnde Integration von Ausländern beklagt und kritisiert, dass sie wenig Verständnis für Demokratie oder das deutsche Grundgesetz hätten, andererseits werden sie von Wahlen ausgeschlossen - ich denke insbesondere an die Europawahl. Sollte man nicht entsprechende Gesetzesänderungen ins Auge fassen? Die Klage über mangelnde Wahlbeteiligung erscheint vor dem Hintergrund, dass man Millionen in Deutschland lebende Ausländer ausschließt, ebenfalls scheinheilig."

Dr .Wolfgang Ernst Gauting

Enthaltung ist ein Bürgerrecht

"Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz bedauert die geringe Wahlbeteiligung. Dabei nennt das Grundgesetz ausdrücklich die Möglichkeit der Stimmenthaltung, weil Menschen in einer Demokratie auch diese Möglichkeit der Willensäußerung besitzen sollten. Im Übrigen erscheint das Nichtwählen mitunter das deutlichere Signal an Politiker zu sein, die nach einer Wahl jede abgegebene Stimme ganz in ihrem Sinne und meist dreist auslegen."

Walter Schmidt Bonn

Auf dem Weg zur Gleichmacherei

"Wenn der Lissabonner Vertrag in Kraft tritt, kann eine Mehrheit europäischer Staaten gegen den Wunsch der deutschen Bevölkerung über wichtige Lebensbereiche in unserem Land entscheiden. Das betrifft die Einwanderung, die Ausländerintegration, das Asylrecht, das kommunale Wahlrecht für Ausländer und vieles mehr.

Wie schön war es, als es im Europa der Vaterländer von de Gaulle nur eine Zollunion gab, und die europäischen Völker in ihrer bunten Vielfalt eigenverantwortlich ihre Lebensverhältnisse bestimmen und ihre Währungspolitik gestalten konnten. Da uns keiner gefragt hat, ob wir, die Wähler, überhaupt weitere europäische Gleichmacherei wollen, haben wir uns am 'Wahltag' verweigert."

Prof. Dr. Carl-Heinz Tretner Berlin

Zwölf Sterne für die Union

"Die Geschichte der Europaflaggen darf etwas ergänzt werden: Das grüne E auf weißen Hintergrund war ursprünglich das Symbol der in den zwanziger Jahren des 20.Jahrhunderts gegründeten Pan-Europa-Bewegung. Der Ulk, es handele sich hierbei um einen Entwurf von Churchills Schwiegersohn Duncan Sandys ('Sandys' Pants') hat eine eigentliche ironische Bedeutung.

Churchill hatte bei seiner großen Rede im September 1946 in Zürich für den Zusammenschluss des kontinentalen Europa plädiert, das Vereinigte Königreich hingegen als Empire von eigenem Recht und eigener Geltung nicht in den Prozess der Europäischen Einigung einbezogen. Das gab aber dem Widerspruch seines Schwiegersohns damals die treffliche Würze.

Da das grüne E als Symbol einer historischen Bewegung nicht als Symbol der europäischen Staatengemeinschaft hat übernommen werden können, wurde seinerzeit vom Europarat eine Kommission beauftragt, Vorschläge zu präsentieren. Richtig ist, dass die Zahl der zwölf Sterne nicht der damaligen Zahl der Mitglieder entsprochen hat. Ästhetisch gelungen ist die Europafahne allemal.

Doch wie ist es dazu gekommen? Der Vatikan, der in allen politischen Fragen in Europa von für ihn großer Bedeutung unauffällig mitzumischen pflegt, hatte auch hier seine Hand im Spiel. Der damaligen protestantisch geprägten Mehrheit der Mitglieder der europäischen Gemeinschaft war bei der Präsentation einiger Vorschläge nicht aufgefallen, dass das tiefblaue Tuch mit den zwölf goldenen Sternen das Symbol des nach katholischem Verständnis Krönungsmantels der Heiligen Jungfrau Maria ist.

Der ehemalige britische Premier Blair, inzwischen Katholik, hat dann verhindert, dass im Lissabonner Vertrag die zwölfsternige blaue Europaflagge als gemeinsames Symbol der Europäischen Union hat vereinbart werden können."

Prof. Dr. Lutz Dietze Worpswede

Die Mehrheit bleibt enttäuscht zurück

"Wenn die sogenannte 'Partei der Nichtwähler" von Wahl zu Wahl immer größer wird, ist dieses Parteiensystem längst in der Krise und wer die Wahlkampfaussagen der Parteien zur Wahl aufmerksam gelesen hat, wird feststellen, dass viele Themen (und auch Personen) austauschbar geworden sind und die Anliegen der Bürger im Vergleich zur personellen Selbstdarstellung weiter in den Hintergrund getreten sind.

Verloren haben alle Parteien und diejenigen, die die meisten Stimmen bekommen haben, sollten sich über die vermeintlichen "Wahlsieg" nicht freuen, denn sie werden nur noch von einer schwindenden Minderheit unter den wahlberechtigen Bürgern gewählt.

Die große Mehrheit der Nichtwähler bleibt enttäuscht zurück und hat mit ihrer Weigerung, wählen zu gehen, dennoch die Frage aufgeworfen: Welchen Wert haben die Wahlen überhaupt noch, wenn nur noch 40 und weniger Prozent ihre Wählerstimme in der Wahlurne abgegeben?"

Albert Alten Wernigerode

Die zwölf Sterne der Europaflagge

"Durch einen erfreulichen Zufall kam mir der Artikel 'Europaflagge' (aus Ihrem Aktuellen Lexikon, 6./7. Juni 2009, S. 2) zu Gesicht. Ehrlich gesagt wundere ich mich ein bisschen über die Geschichtsvergessenheit und Oberflächlichkeit dieses Beitrags.

Ich erinnere mich an einen Artikel von Thomas Pinzka in der deutschen Ausgabe des vatikanischen Osservatore Romano (39/1998, Seite 8). Darin wurde die Herkunft der Idee von den zwölf Sternen auf der Europaflagge recht genau beschrieben. Ich gebe hier einige wörtliche Auszüge aus diesem Artikel wieder, die m.E der Wiederveröffentlichung durchaus wert sind:

'Die Geschichte der Fahne hat ihren Ursprung in einer Zeit während des Zweiten Weltkriegs. Paul Lévi, ein Belgier jüdischer Abstammung, sah damals in Löwen Eisenbahnzüge fahren, in denen Juden von der deutschen Gestapo nach Osten transportiert wurden. Damals legte Lévi das Gelübde ab, wenn er den Krieg lebend überstehen würde, zum katholischen Glauben zu konvertieren. Er überlebte und wurde katholisch. Am 5. Mai 1949 wurde in London der Europarat gegründet, und Paul Lévi wurde Leiter der Kulturabteilung des Europarats.

Sechs Jahre später, 1955, wurde die Frage einer gemeinsamen Flagge der Mitgliedsländer des Rats diskutiert. Sämtliche Entwürfe, in denen, etwa nach dem Vorbild der skandinavischen Flaggen, ein Kreuz enthalten war, wurde von den Sozialisten als ideologisch gebunden und als zu christlich verworfen. Eines Tages kam Lévi an einer Statue der Mutter Gottes mit dem Sternenkranz vorbei. Durch die Sonne beschienen, leuchteten die goldenen Sterne vor dem blauem Himmel.

Lévi suchte daraufhin Graf Benvenuti (ein venezianischer Christdemokrat und damaliger Generalsekretär des Europarats) auf und schlug ihm vor, zwölf goldene Sterne auf blauem Grund als Motiv für die Europafahne vorzuschlagen, was allgemein akzeptiert wurde. So ziert bis heute in allen Staaten der Europäischen Union der Sternenkranz Marias die Europafahne.'

Da aber vermutlich selbst in Bayern heute der Zusammenhang zwischen der erwähnten Marienstatue und den 12 Sternen nicht jedem auf Anhieb einleuchtet, sei ergänzt, dass eine Stelle in der 'Apokalypse' (d.h. der 'Offenbarung des Johannes', dem letzten Buch des Neuen Testaments, Kap. 12,1) in der katholischen Interpretation auf Maria, die Mutter Jesu, bezogen wird. Dort heißt es: 'Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt.'"

Prof. Andreas Fritsch Berlin

Die Rolling Stones der SPD

"Europa hat gewählt und die SPD mutiert mit ihrem Kanzlerkandidaten Steinmeier zur 20%-Partei. Warum? Die Rolling Stones der SPD - S t e i n meier und S t e i n brück - haben abgewirtschaftet und sind unglaubwürdig geworden. Steinbrück wollte übrigens bis 2011 einen ausgeglichenen Haushalt hinlegen, stattdessen rettet er die 'Monopoly-Banken' mit 500 Milliarden Euro aus dem Steuerseckel, er führt 'Bad Banks' ein und hält aber gleichzeitig Steuersenkungen für normale Bürger zur Ankurbelung der Wirtschaft für nicht mehr machbar.

Steinmeier, der neue Bruce Willis der SPD, will dagegen die ganze Welt retten - vor allem Groß-Unternehmen, die unter Managementfehlern bzw. der schwersten, hausgemachten Finanz- und Wirtschaftskrise seit 1929 leiden und dabei gerne das Kapital ihrer Eigner zulasten des Steuerzahlers schonen möchten. Da hilft der SPD im Hinblick auf die Bundestagswahl 2009 auch kein 'Münte-Effekt' mehr.

Müntefering ist mit der Agenda 2010 und den 'Hartz-IV-Gesetzen' schon lange nicht mehr glaubwürdig, da dies mit sozialer Gerechtigkeit absolut nichts zu tun hat. Die sog. 'Ein-Euro-Jobs', welche lt. § 16 Abs. 3 SGB II zusätzlich und im öffentlichen Interesse stehende Tätigkeiten für Empfänger von Hartz IV sein sollten, ersetzen in der Praxis mittlerweile immer mehr reguläre Vollzeitjobs.

Daher kann ich das schwachsinnige Gerede der SPD von den branchenbezogenen Mindestlöhnen für mehr soziale Gerechtigkeit nicht mehr hören. Der Mindestlohn liegt de facto bei einem Euro! Was ist denn außerdem an branchenbezogenen Mindestlöhnen wirklich sozial gerecht, wenn einzelne Branchen wie z. B. die Gastronomie und die 'Mini-Jobber' davon völlig unberücksichtigt bleiben und z. B. bei den Postzustellern für die Post AG und die privaten Zusteller zwei völlig unterschiedliche Mindestlöhne gelten?

Kein Mensch versteht mehr die SPD! Deshalb wird die SPD am 27. September 2009 auch ein ähnliches Desaster wie bei der Europawahl erleben und Gott sei Dank mal wieder in die Opposition gehen, wo sie hingehört. Dann kann und muss sie sich programmatisch endlich erneuern, was dringend erforderlich ist. Adios, SPD!"

Roland Klose Bad Fredeburg

© SZ vom 12.06.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: