10. Juli 2009:Leere Versprechen

Lesezeit: 3 min

Eigentlich sollen Studiengebühren die Studienbedingungen verbessern, doch den Universitäten fehlen noch immer Professoren und PCs. SZ-Leser diskutieren.

Mit dem Beitrag über die Studienreform "Bologna ist die Zukunft" (25. Juni) waren viele Leser nicht einverstanden:

Die Hörsäle sind voll: Eigentlich sollen Studiengebühren die Universitäten aufwerten, doch es fehlt immer noch an vielen Dingen. (Foto: Foto: ap)

"Wir hatten vor den Beschlüssen von Bologna international angesehene Diplomstudiengänge. Wir haben jetzt eine Bachelorausbildung, die den gleichen Lehrstoff in kürzerer Zeit abverlangt. Dass damit die Verschulung des Studiums fast zwangsläufig einhergeht, wird von Wolfgang Seibel elegant verschwiegen. Warum stiegen sonst die Zahl der Studienabbrecher und die Zahl der psychischen Erkrankungen von Studenten so deutlich? Dass Bologna darauf zielt, die Studiendauer zu verkürzen und letztlich die Ausgebildeten schneller dem Arbeitsmarkt bei schlechterer Bezahlung zuzuführen, wird verschwiegen.

Es besteht für Eltern keinerlei Transparenz über die Verwendung der Studiengebühren. Wer selbst Kinder im Studium hat, kann keine nennenswerte Verbesserung der Studienbedingungen feststellen. Meine Kinder studieren beide und ich zahle pro Jahr über 2000 Euro Studiengebühren. Es fehlen dennoch nach wie vor Professoren und werden durch Lehrbeauftragte ersetzt, es fehlen Tutoren, es fehlt an PC-Arbeitsplätzen.

Nach wie vor zahle ich hohe Zusatzkosten für alle möglichen Bücher, Kopiervorgänge, privat beschaffte Rechner, Skripten - obwohl die Steuerquote in Deutschland hoch ist. Warum diese Doppelbelastung für die Eltern? Man zahlt anscheinend lieber Arbeitslosengeld anstatt so zu investieren, um die spätere Arbeitslosigkeit zu vermeiden."

Dr. Günter Reichart Aschheim

Schöne, neue Hochschulwelt

"Wolfgang Seibel hat ein verblüffend einfaches Rezept gegen die Bologna-Misere an den deutschen Hochschulen parat: Immer nur das Beste! Leider ist dieses Rezept nicht neu, sondern schon vor über 100 Jahren soll so Oscar Wilde seinen Geschmack charakterisiert haben; eine bekannte Mineralwassermarke warb lange damit. Auch Seibel scheint die Zukunft der Hochschulen nach dem Motto zu sehen: Sekt oder Selters.

Auf welcher Seite er sich selbst einordnet, kann dabei nicht zweifelhaft sein: In ·gut organisierten· Fachbereichen läuft alles 'wie am Schnürchen'. Die 'besseren Universitäten' produzieren am laufenden Band Absolventen innerhalb der Regelstudienzeit und schultern nebenbei noch die Strukturreformen mit links. Der Bologna-Prozess also eine einzige Exzellenzinitiative? Man kann Seibel gewiss nicht vorwerfen, dass bei ihm die Lehre hinter der Forschung verschwindet. Allerdings tritt bei ihm die Lehre ganz hinter die lehrenden 'Spitzenreiter des jeweiligen Faches' zurück.

Studenten kommen in Seibels schöner neuer Hochschulwelt speziell als 'künftige Besserverdienende' und damit eben nicht mehr in der Hochschule vor. Ich vermisse bei Seibel jede Ahnung davon, dass das Hochschulstudium ein Lebensfeld darstellt, das seinen Zweck in sich trägt, weil es Menschen zu dem bilden hilft, was sie sein sollen - unabhängig von Abschlüssen und wirtschaftlichem Nutzen. Der Typ Hochschule, der dieses Ideal von 'Freiheit und Einsamkeit' (Helmut Schelsky) umzusetzen versucht hat, war die vom Bologna-Prozess zum alten Eisen geworfene Humboldt'sche Universitätsgründung."

Henning Theißen Greifswald

Diktat des Marktes

"Seit langen Zeiten besteht ein Unterschied zwischen Ausbildung und Bildung. Für die Ausbildung waren das Handwerk und die Berufsschulen zuständig und für die Bildung die Schule und die Hochschule. Dazwischen hatten sich die technischen Fachhochschulen angesiedelt, die aber eher der Ausbildung zuzurechnen sind. Die rein wirtschaftlichen Interessen dienende Erosion begann mit der Schwemme der Fachhochschulen für jedes nur denkbare Ausbildungsfach und setzte sich fort mit der Verkürzung der Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre. Und nun werden auch die Hochschulen dieser Denkweise untergeordnet."

Dr. Wolfgang Eckart München

Bologna klappt auch an kleinen Unis

"Es waren gerade nicht die altehrwürdigen und als exzellent erkorenen Universitäten, die die Bologna-Reform zuerst umsetzten. Während sie vielfach noch heute mit der Einführung des Bachelor-Master-Systems kämpfen, können kleinere Universitäten wie Düsseldorf oder Osnabrück in einzelnen Fächern bereits auf eine mehr als fünfjährige Erfahrung zurückblicken. Die Gleichung Exzellenzuniversität gleich Bologna-Champion, die der Autor ohne nähere Begründung aufstellt, muss erst noch bewiesen werden."

Prof. Dr. Roland Czada Universität Osnabrück

Bildung ist Bürgerrecht

"Überall wird von Bildung als Leistung, von Bildung als Service gesprochen. Sieht irgendjemand Bildung noch als ein Menschenrecht an? Der Kosten-Nutzen-Gedanke ist im Denken vieler Menschen mittlerweile so sehr verankert, dass selbst Menschenrechte nicht mehr als diese wahrgenommen werden, sondern als Dienstleistung. In diesem Zusammenhang begeht Herr Seibel einen gefährlichen Denkfehler, wenn er in Bezug auf Studiengebühren von einem Prinzip der 'Leistung und Gegenleistung' spricht. Eben das ist Bildung nämlich nicht! Manche sagen, Bildung sei ihnen so viel wert, dass sie dafür auch zahlen würden, aber das ist der völlig falsche Ansatz! Bildung ist so wertvoll, dass die, die sie in Anspruch nehmen, von finanziellen Vorbedingungen so weit wie möglich befreit sein müssen. Bildung muss unbedingt weiter als ein Recht angesehen werden, ein Recht, das der Staat garantieren muss.

Und jetzt soll niemand kommen und sagen, es gäbe kein Geld. Das gibt es zwar wirklich nicht, aber wie oft hat man Politiker schon sagen hören, dass Bildung unsere wertvollste Ressource ist? Und wie oft hört man von einem milliardenschweren Investitionspaket in die Bildung? Zu guter Letzt ist Seibels Forderung, die Studiengebühren nicht für neues Lehrpersonal auszugeben, eine Klatsche ins Gesicht eines jeden Studenten, der ein Seminar mit weit mehr als 50 Teilnehmern besucht."

Silvio Wagner Mainz

© SZ vom 10.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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