10. April 2009:Schein und Scheinheiligkeit

Lesezeit: 3 min

E-Mails werden häufig kontrolliert, Internetseiten gesperrt: Warum musste ausgerechnet Bahnchef Hartmut Mehdorn gehen? SZ-Leser diskutieren.

"Es wird eine Schein- und vor allem eine scheinheilige Debatte geführt. Hartmut Mehdorn war und ist ein erfolgreicher Unternehmer und einer der wenigen "ehrlichen" Manager. Warum konnte in diesem Fall nicht wenigstens solange abgewartet werden, bis das Ergebnis einer Untersuchungskommission fest steht? Wie kann es sein, dass ein Minister, der seinerseits schon länger aufgrund seiner ihm ureigenen und allgemein anerkannten und zur Schau gestellten Inkompetenz auf der Abschussliste steht, mitverantwortlich für Mehdorns Ende ist? Nicht zuletzt sollten sich alle Medien gegeißelt fühlen. Jede Woche neue Katastrophenmeldungen, die Datenaffäre zieht weitere und noch weitere Kreise, Kreise in einem nie dagewesenen Ausmaß. Es fehlt die Geduld und es fehlt am nötigen Abstand in derartigen Dingen.

Bahnchef Hartmut Mehdorn machte am 30. März seinen Posten frei. (Foto: Foto: AP)

Wir alle haben irgendwann in den letzten Jahren zusätzliche Richtlinien zur Internetnutzung beziehungsweise zum Umgang mit E-Mails im eigenen Unternehmen unterzeichnet. Der Computer, steht da in der Regel geschrieben, wird nur für dienstliche Zwecke zur Verfügung gestellt. Zuwiderhandlung zieht arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich. Welche arbeitsrechtlichen Folgen könnten das jetzt sein? Jedes Unternehmen überprüft seine Mitarbeiter in irgendeiner Form.

Es werden Mails geblockt, weil bestimmte Schlüsselwörter darin vorkommen. Es werden Internetseiten gesperrt, weil deren Gebrauch alles ist, aber nicht geschäftlich. Und es werden Listen erzeugt auf denen ein Vorgesetzter nachlesen kann, auf welchen Internetseiten sich seine Mitarbeiter rumtreiben. Alles rechtlich vollkommen in Ordnung. Ob moralisch auch steht auf einem anderen Blatt. Also bitte tun wir doch nicht so, als ob das, was da bei der Bahn passiert ist, so unglaublich und vor allem so neu ist in Deutschland. Denken wir an unseren Innenminister, der noch ganz andere Dinge mit uns vor hat."

Michael Dumproff Pinzberg

Falsches Bild des wilden Schnüfflers

"Es ist bedauerlich, dass auch die Medien ein falsches Bild des wilden Schnüfflers zeichnen. Es bleiben eine Unmenge von Fragen und es ist zu hoffen, dass man sich nun endlich aufrafft, ein einheitliches Bundesdatenschutzgesetz zu erstellen. Für jedes Bundesland eigene - das macht keinen Sinn. Die aufgeworfenen Fragen zeigen, dass Bahn und Telekom mit ihrer eingesetzten Sicherheits-Software auf der Höhe der Zeit sind.

Es klingt reißerisch, wenn man schreibt, 200000 Mitarbeiter wurden überprüft. In Wirklichkeit wurde eine Datenbank nach einer "wenn-dann"-Abfrage ausgewertet. Jeder Informatikstudent im ersten Semester kann darüber nur lachen. Ob diese dann gelisteten Datensätze bereits den Status einer personenbezogenen Datei aufwiesen, sollte sich in den Security Police Unterlagen nachlesen lassen. Wenn in der ursprünglichen Betriebsvereinbarung stand, dass private Mails nicht gestattet sind, dann ist es nur billig hier Fehler aufzuzeigen.

Den wenigsten Nutzern dürfte bewusst sein, dass eine Mail auf dem elektronischen Briefpapier des Unternehmens erstellt wird. Immerhin gab es bereits Kündigungen, wenn jemand für 1,20 Euro privat telefoniert hatte. Telefonanlagen kennen hierzu übrigens eine eigene Taste für Privatgesprächskennzeichnung mit einer eigenen Rechnung am Monatsende für den Mitarbeiter. Kein Wort wird darüber verloren, dass die Datenbestände auch einer Aufbewahrungspflicht unterliegen."

Werner Gugetzer München

Überwachung immer und überall

"Eine Regierung, die mit den Schlagworten "Terrorismus, Kinderpornografie, Steuerhinterziehung" die permanente Überwachung der Bürger vorantreibt und jede Diskussion darüber mit eben diesen Schlagworten verhindert, kann in ihrem Einsatz für den Datenschutz nicht ernst genommen werden. Es stinkt der Fisch eben noch immer vom Kopf her."

Dr. Günther Perthen Tübingen

Für Pleiten mitverantwortlich

"Rüdiger Grube, Manager von Daimler, Hafen Hamburg, EADS und Dasa, von Auto, Schiff und Flugzeug, soll jetzt ausgerechnet die Bahn retten. Klingt wie ein Aprilscherz. Als solle der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werden. Herr Grube war mitverantwortlich für die Pleite der Daimler-Chrysler-Fusion und als Vertrauter von Hartmut Mehdorn sicher auch für dessen unzählige Fehltritte. Aber die deutsche Politik hat offenbar kein großes Interesse mehr an der Bahn: Gewünscht ist Privatisieren, Verramschen; die Bürger sollen sich dann per Auto fortbewegen: Dazu dient ja auch die Abwrackprämie.

Rentner, Kinder und Menschen ohne Auto sollen zu Fuß gehen. Die Vernunft würde vorschreiben: Deutschland braucht keinen weiteren Manager aus der Auto- und Flugzeugindustrie, der - wie Hartmut Mehdorn - daran arbeitet, die Bahn im Interesse seiner Kernkompetenzen (Auto- und Flugzeugverkehr) abzuwirtschaften. Stattdessen brauchen wir einen Bahnkenner, oder eine Bahnkennerin, um ein flächendeckendes, kundenfreundliches Bahnnetz in öffentlicher Hand, etwa nach Schweizer Vorbild, zu installieren. Und natürlich muss der neue Vorstand auf ein Ende des Privatisierungskurses eingeschworen werden."

Justus Dallmer Bad Aibling

© SZ vom 11.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: