06. Mai 2009:Kreuz und Klassenzimmer

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Die Berliner Initiative "Pro Reli" ist gescheitert, hat aber das Verhältnis von Kirche und Schule zum Thema gemacht. SZ-Leser diskutieren mit.

"Schön, dass die vernichtende Niederlage der Initiative Pro Reli in Berlin auch anderswo zum Anlass genommen wird, über das Verhältnis von Kirche(n) und staatlicher Schule nachzudenken. In einer Zeit, in der viele Menschen die Lehrmeinungen der großen christlichen Religionsgemeinschaften nicht mehr als zentrale Orientierung für ihr Leben empfinden, muss die öffentliche Schule nach anderen Wegen für Vermittlung ethischer Werte suchen. Ethische Bildung gehört natürlich zu den Aufgaben der Schule - einschließlich Information über Religionen -, religiöse Indoktrination dagegen nicht.

Zeichen der Religion: Kinder in einem Klassenzimmer mit Kruzifix. (Foto: Foto: AP)

Wenn man die Religionsgemeinschaften nicht völlig in den außerschulischen Bereich verweisen will (wie in Frankreich), dann kann das Berliner Modell (verpflichtender Ethikunterricht in den Klassen7 bis 10 und zusätzlich freiwilliger Religionsunterricht) vielleicht ein nachahmenswertes Modell bieten. Problematisch bleibt dann, dass die Andersgläubigen und die Nichtgläubigen den Religionsunterricht mitbezahlen (er wird überwiegend aus öffentlichen Mitteln bezahlt und nicht aus der Kirchensteuer). Vielleicht sollte man auch das ändern."

Hans Markert Berlin

Religion gehört in die Familie

"Ich freue mich, dass die Pro-Reli-Initiative in Berlin gescheitert ist, aber nicht, weil ich Religionsunterricht nicht gut, sondern Ethik-Unterricht viel besser finde. Mit Atheismus hat das gar nichts zu tun. Kinder und Jugendliche sollten erst einmal die Grundlage menschlichen Zusammenlebens erlernen, die auf den ethischen Grundwerten wie der Toleranz, der Nächstenliebe, des Vermeidens von Vorurteilen aufbauen. Die zehn Gebote als Zusammenfassung vorhergehender 30 Gebote aus dem alten Ägypten mögen da auch eine perfekte Grundlage sein. Und: Kinder und Jugendliche profitieren doch davon, wenn sie die wichtigsten Weltreligionen erst einmal kennen und differenzieren lernen, Verständnis für den Andersgläubigen entwickeln. Die verschiedenen Religionen dann zu leben, gehört vor allem in die Familien, die Form der Religionsausübung ist etwas sehr Persönliches."

Sven Jösting Hamburg

Moderne Wertevermittler

"Matthias Drobrinski rät den Kirchen, jetzt Werbung für das Fach Religion zu betreiben durch Qualität. Ein guter Aufruf! Dies umso mehr als ein 'Qualitätscheck' in den Religionsstunden aufzeigen würde, dass der Unterricht sich zu 90 Prozent nicht vom Ethikunterricht unterscheidet. Hinzu kommt, dass viele Religionslehrer sich zwar gerne bei der Kirche anstellen lassen, im Religionsunterricht aber sich dann oft dadurch bei den Schülern beliebt machen, indem sie die Lehre der Kirche durch ihre eigene ersetzen. Angesichts der zunehmenden Gewaltbereitschaft und Orientierungslosigkeit von Jugendlichen könnte es auch kontraproduktiv sein, den Einfluss der Kirchen immer mehr zurückzudrängen und zugleich nach Wertevermittlern und Orientierungshelfern zu rufen."

Siegfried Kothmeier Schrobenhausen

Die Suche nach dem Sinn

"Ethische Maximen und Normen haben ihre tiefsten Wurzeln in den einzelnen Religionen. Daher wird ein in Sinn- und Lebensfragen scheinbar über den Religionen und dem Atheismus stehender, nur neutral informierender Ethiklehrer seinen Schülern kaum zur Identifikationsfigur werden können. Wenn es nämlich ernst wird im Unterricht, muss der Lehrer Farbe bekennen. Wer meint, man könne den Schülern der Unter- und Mittelstufe einfach die Antworten der Religionen und des Atheismus zur persönlichen Entscheidung vorlegen, hat von Entwicklungspsychologie und Pädagogik keine Ahnung. Wenn im Ethikunterricht alle religiösen und antireligiösen Standpunkte gleich gültig nebeneinander gestellt werden, sind sie für den nach Sinn und Halt suchenden Schüler bald gleichgültig."

Josef Bürger Salzweg

Ethik im Hörsaal

"'Jungen Leuten ist es zuzumuten, etwas von ihrer Freizeit zu opfern und den Religionsunterricht als Zusatzfach zu wählen, wenn er ihnen wichtig ist' schreiben Sie. Warum aber soll irgendeinem Schüler das Fach Ethik zugemutet werden? Ethik ist eine Disziplin im Fächerkanon der Universitätsphilosophie. Dort sollte man das Fach auch belassen. Kant hielt Vorlesungen über Geographie mit der Begründung, die jungen Leute begännen zu früh zu 'vernünfteln'. Man kann das aus dem Griechischen kommende Wort Ethik auch übersetzen und ist dann bei der Moral, der Sitte oder dem, was man tut oder nicht tut. Das aber darf doch nicht Thema eines schulischen Nebenfachs sein, sondern ist allgemeine Erziehungsaufgabe von Schule, Elternhaus und Gesellschaft."

Josef Silbermann München

Massive Unwahrheiten

"Tanjev Schultz vernebelt die Situation auf elegante Weise. Wenn alles relativiert wird, dann kommen wir dem angestrebten Ziel des Atheismus schon deutlich näher. Wie sollten junge Schüler dies erkennen können? Schlimmer noch, es sieht so aus, als nutze die atheistische Bewegung den Ethik-Unterricht, um besonders das Christentum verächtlich zu machen.

Tatsache ist, dass das offizielle Ethik-Lehrbuch 'Fragen an das Leben' von Brüning , Landesausgabe für Sachsen, für die 7. und 8. Klasse (also für 13- und 14-Jährige) schon auf den ersten zwei Seiten massive Unwahrheiten und Verdrehungen bezüglich des Christentums bringt. So wird die 'via dolorosa' als 'Kreuzzug Jesu' umbenannt. Der Schüler soll wohl dahin gelenkt werden, den Ursprung der Kreuzzüge direkt bei Jesus zu suchen. Und als Lesetipp wird empfohlen: Als Literaturgrundlage könnt ihr die Bücher 'Märchen der Welt' aus dem Diederichs-Verlag nehmen."

Dr. Helmuth Hilz München

Was Schüler tatsächlich lernen

"Tanjev Schultz missversteht den Religionsunterricht, wenn er ihn als den Ort beschreibt, 'Menschen zu erleben, die authentisch ein Glaubensbekenntnis ablegen'. Daraus besteht er nicht. Aus Sicht eines Schülers - der normale Schüler übrigens nimmt tatsächlich nur Vorrückungsfächer ernst - besteht er vordringlich darin, Wissen über die Glaubens- und Sittenlehre, philosophische Themen, andere Religionen, die Religionskritiker und vielleicht ein wenig Liturgie zu erwerben.

Dazu mag vielleicht der dem Schüler nicht so ersichtliche Effekt einer gewissen geistigen Bildung kommen, die en passant erworben wird und, wie auch im Deutschunterricht, nicht benotbar ist, sicher aber nicht eine Glaubenserfahrung. Es ist im Übrigen zutreffend, dass der interreligiöse Dialog und die Philosophie in der Gewissheit des eigenen Glaubens geführt wird; daraus aber einen Vorwurf zu machen, ist falsch.

Denn umgekehrt ist vielmehr die staatliche Gemeinschaft aus, ja, philosophischen Gründen nicht berechtigt, den zukünftigen Bürgern hier einen ethischen Konsens oder die Betonung des Gemeinsamen vorzuschreiben, selbst wenn es aus guten Absichten geschieht und selbst wenn die konkrete Form etwa in Berlin nicht unbedingt unrechtsstaatliche Züge angenommen hat. Daher kann man es den Befürwortern des Volksbegehrens nicht verwehren, mit der Polemik, ohne die Demokratie schlicht keinen Spaß macht, zu sagen, mit der Ja-Stimme entscheide man sich für die Freiheit und gegen staatliche Bevormundung, weil das, unabhängig vom konkreten Aussehen des gegenwärtigen Berliner Ethikunterrichts, im Grundsatz zutreffend ist."

Moritz Gruber Landshut

Vermintes Gelände

"Heftige Kritik äußert Kia Vahland an der Ausstellung im Frankfurter Städel, die Zeichnungen von Michelangelo und Michelangelo-Nachahmern zeigt ('Ein Feuer, das nicht sein durfte', 21. April). Besucher hätten keine Chance gehabt, echte Michelangelo-Zeichnungen zu sehen. Vielmehr beschränke die Ausstellung den Blick durch eine 'parteiliche Auswahl'. 'Manipulativ' wirkten zudem die Begleit- und Katalogtexte. Eine Verdunkelungsaffäre also, die eine besorgte Expertin hier aufzudecken bemüht ist?

Nein. Die Grundlage für die demonstrierte Expertise hat Vahland in einer Art Crash-Kurs bei Alexander Perrig erworben. Perrig ist ein echter Kenner, der in der Diskussion um die Frage, welche der vielen für Michelangelo heute in Anspruch genommenen Zeichnungen als echt gelten können, einen klaren, zugleich extrem reduktionistischen Standpunkt einnimmt. Das ist sein gutes Recht. Die Fachwelt ist ihm darin überwiegend nicht gefolgt.

Dass auch die Frankfurter Ausstellung ihm nicht folgt, ist der eigentliche Vorwurf, den Frau Vahland gegen sie erhebt. So gerät ihre Besprechung insgesamt zu einer Hommage für den Fachmann, den sie sich als absolute Autorität auf dem Gebiet der Michelangelo-Zeichnungen auserkoren hat. Das ist, bei allem Respekt, nicht wenig übertrieben und konnte nur ein schiefes Bild ergeben.

Weniger irreführend wäre es gewesen, dem Beitrag die Überschrift zu geben 'Mit Alexander Perrig in einer Ausstellung von Michelangelo-Zeichnungen, die nach seinem Dafürhalten keine sind'. Vielleicht hätte man dann auch über die Gründe der Ablehnung mehr erfahren und sich nicht nur mit allgemeinen Hinweisen auf Strichbildung und Kontur, Schraffur und Tintenschub begnügen müssen. Man kann auf dem verminten Gelände der Michelangelo-Zeichnungen durchaus verschiedener Meinung sein. Hier aber wird ein Standpunkt in reichlich naiv anmutender Weise verabsolutiert.

Unverständlich ist zudem der Vorwurf, dass in der Ausstellung versucht werde, ein hauseigenes Blatt dem zeichnerischen Oeuvre Michelangelos zuzuordnen. Was soll daran verwerflich sein? Sachlicher und ehrlicher als es in der Ausstellung geschieht - im direkten Vergleich mit motivisch verwandten Blättern aus London, Windsor und Florenz - , kann ein solcher Versuch gar nicht unternommen werden. Ich selber bin von der Zuschreibung des Städel-Blattes zwar nicht überzeugt, sehe aber keinen geeigneteren Weg, der Authentizitätsfrage auf den Grund zu gehen.

Der Text lässt den Leser gänzlich im Unklaren darüber, dass in Frankfurt erstrangige und von namhaften Kennern einmütig anerkannte Michelangelo-Zeichnungen aus dem British Museum zu sehen sind, die im Vergleich mit den beigefügten Nachzeichnungen und angeleitet durch informative Begleittexte eingehend studiert werden können und den Besucher zur eigenen Urteilsbildung einladen. Man lasse sich durch den Streit der Experten davon nicht abhalten. Die Ausstellung ist klein, jedoch sehr fein, vor allem äußerst instruktiv."

Prof. Dr. Joachim Poeschke Münster

© SZ vom 06.05.2009/dab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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