03. April 2009:Zerrüttetes Verhältnis

Lesezeit: 3 min

Kritik und Misstrauen der Türkei: SZ-Leser reagieren auf Berichte und Kommentare zum zukünftigen Nato-Generalsekretär Rasmussen.

"Sollte die Türkei einen Kandidaten Rasmussen für den Posten des Generalsekretärs der Nato ablehnen, müsse dieser trotzdem zum Generalsekretär gewählt werden, so die Forderung von Martin Winter in "Wes Geistes Kind ist Erdogan?".

SZ-Leser diskutieren den Streit zwischen Erdogan und Rasmussen. (Foto: Foto: dpa)

Diese Worte zeugen von einer Gutsherrenmentalität: Es wird offen dazu aufgerufen, das Recht eines Nato-Mitglieds auf Mitbestimmung des Generalsekretärs mit Füßen zu treten und auf seine Interessen keinerlei Rücksicht zu nehmen. Noch bedenklicher erscheint mir die Tatsache, dass Herr Winter zur Begründung seiner im missionarischen Eifer aufgestellten Forderung in altbekannter Manier das Totschlagargument "Demokratie und Freiheit" bemüht. Warum?

Die Türkei ist inzwischen eine funktionierende Demokratie. Gerade deshalb muss eine türkische Regierung Rücksicht nehmen auf die Befindlichkeiten ihrer Wähler. Da kann sie nicht mehr wie sehr oft in der Vergangenheit einfach die Entscheidungen europäischer oder amerikanischer Politiker absegnen. Das scheinen manche Europäer immer noch nicht akzeptieren zu können. Der Rasmussen-Fall taugt nicht zur Diskussion über Demokratie in der Türkei.

In diesem Fall handelt es vielmehr um einen letztlich banalen Abwägungsprozess bei der Besetzung eines frei werdenden Postens in einer Organisation. Es ist deshalb mehr als legitim, dass jeder "stimmberechtigte Teilhaber" sehr genau abwägt, wem er das Amt des Generalsekretärs anvertrauen möchte und wem nicht. Wer daraus eine Frage um Demokratie machen möchte, hat offensichtlich etwas gründlich missverstanden.

Im Falle von Herrn Rasmussen haben die Türken viele Gründe, an dessen Eignung zu zweifeln, ja ihm sogar zu misstrauen. Dieser hat nämlich in der Vergangenheit mehrfach deutlich zum Ausdruck gebracht, wie feindlich er türkischen Interessen gegenübersteht. Beispiele: Rasmussen gegen EU-Beitritt der Türkei; Rasmussen für die Duldung des TV-Senders der PKK, einer von der EU als Terrororganisation anerkannten Gruppierung; Verdacht auf Islam-Feindschaft bei Rasmussen nach Duldung der Mohammed-Karikaturen und seine Weigerung, mit der muslimischen Community auch nur zu sprechen.

Ein weiteres Argument gegen Rasmussen: Die Nato ist eine internationale Organisation (im Moment sind zum Beispiel Tausende türkische Soldaten für die Nato im Einsatz in Afghanistan oder Kosovo). Da wäre ein Generalsekretär Rasmussen eine Belastung bei den Kontakten zum muslimischen Kulturraum. Dies bewerten ja auch andere europäische Kommentatoren so. Fazit: Jeder einzelne der eben genannten Gründe würde im normalen Geschäftsleben als Misstrauensbeweis gegenüber einem Bewerber und zu dessen Ablehnung genügen. Nur beim Posten des Nato-Generalsekretärs soll dies nicht gelten. Hier soll plötzlich das berechtigte Misstrauen der Türkei zurückstehen. Nicht die Türkei brüskiert ihre Nato-Partner, wie Sie schreiben, sondern diejenigen Nato-"Partner", die der Türkei einen Kandidaten Rasmussen aufdrängen wollen, brüskieren die Türkei.

Hätten Sie den Vorgang in diesem sachlich-geschäftlichen Sinne verstanden, dann hätten Sie vielleicht erhellende Antworten geben können auf folgende Fragen: Welche Nato-Staaten möchten trotz des zerrütteten Verhältnisses zwischen Rasmussen und der Türkei einen solchen Vorschlag machen? Entspricht das den Anstandsregeln zwischen "Partnern"? Heißen diese Nato-Staaten zufällig USA, Großbritannien und Deutschland? Rasmussen ist als bedingungsloser Gefolgsmann der Bush-Politik im Irak bekannt. Und Merkels sowie Blairs bedingungslose Unterstützung für Bush ist auch noch nicht vergessen. Versuchen hier die Falken in Europa, einen der ihren an die Nato-Spitze zu bringen?

Aber: Die türkische Regierung könnte den Fall Rasmussen aber auch ganz machiavellistisch als Chance begreifen: Ministerpräsident Erdogan könnte in einem Kuhhandel das lang ersehnte Verbot des PKK-Senders in Dänemark erreichen und dafür im Gegenzug Rasmussen sein Plazet erteilen. Das Verbot des Senders wäre für ihn immerhin ein gutes Argument dem türkischen Wähler gegenüber. Ein Ja zu Rasmussen aber ohne glaubwürdige Gegenleistung würde ihn vor dem türkischen Wähler kompromittieren."

Müslüm Kilinc Dachau

Religiöse Bevormundung

"Mein Lob mit Dank gilt Martin Winter für seine Meinung. Unsere freie, demokratische Welt sollte stets offen für alle Dialoge sein, braucht aber keine religiöse Bevormundung, die stark nach unehrlichen Absichten gegen die Grundfeste unserer Gesellschaft mieft.

Als interessiert-kritischer Bürger frage ich mich, ob die Türkei bei einer ganzheitlichen Betrachtung der dortigen Kritikthemen Politik, Militär, Menschenrechte, freie Presse, Unterdrückung der Frauen und Islamismus, überhaupt innerhalb der nächsten 50 bis 100 Jahre in der Lage sein wird, die Hürden zur Eignung als integriertes Mitglied einer freien europäischen Gemeinschaft wird nehmen können. Den Bürgern dort wünsche ich es dennoch."

Michel Sturiale Hamburg

Ein treuer Vasall Bushs

"Neben Erdogans Mohammed-Argumenten gegen Rasmussen als Nato-Generalsekretär gibt es viel schwerer wiegende Gründe, die gegen den Dänen sprechen: Er war einer der treuesten Vasallen von George W. Bush bei dessen Irak-Abenteuer - ein kleiner Tony Blair gewissermaßen. In einem Bündnis, das Peter Scholl-Latour einmal die Fremdenlegion der Amerikaner genannt hat, offensichtlich keine schlechte Voraussetzung für eine leitende Funktion."

Ulrich Hartter Eppstein

© SZ vom 03.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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