03. April 2009:Einladung zum Betteln

Lesezeit: 2 min

Auf Seite eins in der Kuriositätenkiste: SZ-Leser diskutieren über den Göttinger Skandal um einen Bettler, dem der Hartz-IV-Satz gekürzt wurde.

"Einem Harz-IV-Empfänger, der sich was "hinzubettelt", das Geld kürzen! Da muss man ja förmlich in Tränen oder Wut ausbrechen. So ein Schwachsinn! Wenn etwa eine Krankenschwester oder Altenpflegerin, oftmals mit Kindern, die Stütze empfängt, schwarz für private Auftraggeber die Pflege der Angehörigen übernimmt (was ja tausendfach geschieht, wie jeder weiß), muss sie Sanktionen des Amtes fürchten.

SZ-Leser sind über den Göttinger Skandal um einen Bettler empört. (Foto: Foto: dpa)

Sie stiftet aber mit ihrer Tätigkeit privaten und gesellschaftlichen Nutzen. Oder: Wenn derselbe Mensch, der beim Betteln erwischt wurde, stattdessen bezahlte Botengänge, Babysitting oder sonstige Dienstleistungen erbrächte, dann würde ihm jeder Euro angerechnet werden. Offenbar herrscht Unkenntnis darüber, wie viel beim "Sitzungmachen" herumkommt.

Ich hatte viele Jahre einen Verkaufsstand auf der Leopoldstraße. Aus vielen Gesprächen mit "Berbern" und sonstigen Bettlern weiß ich, dass das je nach Platz eine sehr lukrative Tätigkeit sein kann. 20 Euro am Tag dürften da locker drin sein. Das wären bei fünf Arbeitstagen pro Woche immerhin etwa 400 Euro im Monat! Selbst wenn es nur die Hälfte wäre, ist eine Kürzung um 120 Euro doch nicht unangemessen. Das Geschrei über diese "hartherzige", einen immer vorhandenen Ermessensspielraum ignorierende Entscheidung ist ja geradezu eine Einladung an alle Hartz-IV-Empfänger, statt mit sinnvoller Arbeit sich mit Betteln das Budget aufzubessern, steuerfrei und ohne Anrechnung. Die Mitarbeiter von größeren Geschäften und Supermärkten in unseren Städten werden begeistert sein!"

Thomas Zimmermann München

Übertriebenes Pflichtbewusstsein

"Zu diesem pflichtgetreuen deutschen Beamten und dem (formaljuristisch zweifellos völlig korrekten) Vorgehen der Göttinger Behörde fällt mir nur eines ein: "Ich habe nur meine Pflicht getan." (Kurt Waldheim und etliche andere).

Eigentlich ist damit kein weiterer Kommentar nötig. Dass man sich in Göttingen nicht schämt, dem am Boden Liegenden noch einen kräftigen Tritt zu verpassen zeigt, wie tief wir in einem der reichsten Staaten auf der Erde inzwischen gesunken sind. Aber vermutlich wird man mir stattdessen wegen der beleidigenden Nazi-Vergleiche noch eine Anzeige anhängen. Sei's drum. Ich kann wenigstens noch in den Spiegel schauen."

Michael Steets Köln

Dienstleister für ruhiges Gewissen

"Mein Geburtsort Göttingen hat sich mal wieder nicht mit Ruhm bekleckert. Obwohl Universitätsstadt, erscheint sie schon wieder nicht in den SZ-Ausstellungshinweisen. Dafür hat sie es jetzt in die Kuriositätenkiste auf Seite eins geschafft. Mit dem derben Klopper: Göttinger Sozialamt kürzt Bettler den Hartz-IV-Satz. Aber vielleicht sollte man den geschilderten Vorgang der Blechdosenkontrolle unter einem für den Betroffenen positiveren Blickwinkel betrachten.

Wurde hier nicht ein Mensch auch über den behördlichen Alltag hinaus wahrgenommen? Wurde nicht sein Engagement als selbständiger Dienstleister im Bereich Gewissensberuhigung ernst genommen? Es wäre jetzt für den Arbeitslosen nur mehr nötig, die Bettelanstrengungen zu verzehnfachen, damit endlich der break even erreicht wird. Nur wenn die zusammengebettelten Beträge den Hartz-VI-Satz überschreiten, kann das Sozialamt die Kosten gänzlich sparen und dem Betroffenen bleibt das Geld zu hundert Prozent in der eigenen Kasse, es sei denn, der Fiskus schlägt dann zu. Damit das Ziel erreicht werden kann, sollten anstelle von Bewerbungskursen solche zum Thema "Dynamisches Schnorren" abgehalten werden: "Haste ma fünf Euro?""

Joachim Böttger München

© SZ vom 03.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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