02. April 2009:Verhängnisvolle Verbindung

Lesezeit: 4 min

Mediziner im Interessengeflecht aus Politik, Gesundheitsfunktionären und Klinikketten: SZ-Leser schreiben zu Berichten und Kommentaren über Ärztehonorare.

Seelenlose Apparatemedizin?

SZ-Leser diskutieren über ärztliche Wirklichkeit und die Berichterstattung der Medien. (Foto: Foto: dpa)

"Als Ärzte leben wir in zwei Systemen. Im System der Kassen und Gesundheitsökonomen werden wir nach marktwirtschaftlichem Jargon auf den "Leistungserbringer" reduziert. Nach den Gesetzen der Marktwirtschaft hätte Leistung allerdings einen Tauschwert. Die Medien haben nun das System der selbstlosen ärztlichen Ethik und Verantwortung wieder entdeckt und zeigen sich erschüttert über einen Arbeitskampf, der angeblich die Patienten in Geiselhaft nimmt.

Auch alte Tendenzschlagwörter von der "seelenlosen Apparatemedizin", durch die die Patienten geschleust werden, sind nicht zu billig, um Ressentiments gegen fachärztliche Medizin zu beleben. Gleichzeitig stoßen die Medien begeistert mit den Gesundheitsökonomen und Kassenvertretern ins gleiche Horn und beten mit Inbrunst die Formel von der grenzenlosen Qualitäts- und Effizienzsteigerung durch Vernetzung und Transparenz nach, die Propagandaphrasen kapitaler Machtkonzentration.

Wo bleibt ein Bericht über ärztliche Wirklichkeit und das Echo der Patienten, das wir täglich erleben? Welche andere Berufsgruppe erbringt Leistungen mit fixem Gebührenkatalog kostenlos? Wir kennen aus der SZ hervorragenden, investigativen Journalismus, wenn es um Liechtenstein oder die Flick-Connection geht. Wo bleibt die Recherche über die Hintergründe und die wahren Gewinner dieser ruinösen Gesundheitsreform, die Verbindung zwischen Politik, Gesundheitsexperten, Funktionären und den privaten Großinvestoren und Klinikketten, die sich den ambulanten Markt bereits zurichten?"

Dr. Birgit Grzesiek Grafing

Bekenntnis einer Arztgattin

"Nur ungern kündige ich meiner Lieblingszeitung die Freundschaft. Bis dato konnte ich meine Schüler am Gymnasium überzeugen, dass eine ausgewogene Berichterstattung mit fundierter Recherche in sprachlich gefeilter Manier der Reichtum einer Zeitung ist, wie wir ihn heute nur noch selten finden. Bis dato war es mir ein tägliches Vergnügen und ein intellektuelles Muss, die Süddeutsche Zeitung als Abonnement zu beziehen. Bis dato hätte ich meine Hände für Ihre Berichte ins Feuer gelegt. Bis dato.

Denn ich bin "Arztgattin". Und mit zunehmendem Missmut muss ich Ihre Zeitung aufschlagen und Artikel lesen, deren anfänglich neutral erscheinenden Informationen in eine immer einseitiger werdende Ärzteschelte münden. Und die Honorarreform - an der die Ärzte doch maßgeblich beteiligt waren und die sie ja auch genau so wollten, wenn man Ihrer Zeitung glauben schenken soll - sowie der Ärzteprotest, nehmen bei Ihnen nicht wenig Platz ein: Gähnende Informationsleere durch stetige Wiederholung von bereits Bekanntem verärgern.

Kein Wort über einen Herrn Lauterbach, der im Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG sitzt, einem Gesundheitsanbieter, der in den nächsten zwei Jahren 500 Medizinische Versorgungszentren aufbauen will (und für jedes benötigt es mindestens zwei Kassensitze), der danach trachtet die Arztsitze kleiner Praxen billig einzukaufen und sich damit an dem neuen System mit mehr Vergütung für schwerkranke Patienten (Morbiditätszuschlag) doppelt bereichern will - auch weil seine Kliniken damit immer gut gefüllt sein werden.

Nichts lese ich über die kapitalistischen Bemühungen der Familie Bertelsmann und deren Tochtergesellschaften unter Führung von Frau Mohn, die nach dem Untergang der Fachärzte billig Sitze aufkaufen möchten, um mit dem Gesundheitswesen Geld zu machen.

Sie sprechen von der ethischen Verpflichtung der Ärzte. Haben Sie schon über die ethischen Pflichten der Profitkonzerne von Morgen nachgedacht? Enttäuschung macht sich breit bei Betroffenen, wie mir und meinem Mann. Er hat seit einem Jahr eine Facharztpraxis eröffnet und arbeitet Tag und Nacht, um alle Patienten zu bedienen."

Dr. Heidi Fleckenstein Garmisch-Partenkirchen

Klischees des Klassenkampfes

"Das Bundesamt für Statistik veröffentlicht für einen vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer für das Quartal 4/08 ein durchschnittliches Monatsgehalt von 3127 Euro brutto. Davon fließen 484,69 Euro (15,5 Prozent) in die Krankenkassen. Für die ärztliche Versorgung kommen bei den fachärztlichen Internisten davon noch 48,73 Euro pro Quartal, also 16,24 Euro pro Monat an. Das sind gerade mal 3,4 Prozent des Monatsbeitrags.

Zusammengenommen erbringen die Vertragsärzte mehr als 90 Prozent aller ärztlichen Leistungen. Etwa 33 Euro können monatlich für Medikamente in Ansatz gebracht werden. Von den 484,69 Euro Einnahmen verbleiben daher abzüglich ärztlicher Leistungen und Medikamente immer noch 435,69 Euro im System, sofern der Versicherte einen Arzt in Anspruch nimmt. Ansonsten fällt sein Beitrag in voller Höhe dem System zu. Die entscheidende Frage, was mit den verbleibenden Mitteln geschieht, vermeidet die öffentliche Diskussion in peinlicher Weise. Stattdessen werden tumbe Klassenkampf-Klischees bedient und die öffentliche Meinung manipuliert."

Dr. Robert Betz Füssen

Pfui, Herr Munte

"Die Kritik von Ärztefunktionär Axel Munte sollte tatsächlich Schamröte ins Gesicht treiben - allerdings dem Kritiker selbst. Herr Munte hat doch selbst an der verkorksten Situation im Gesundheitssystem entscheidend Anteil. Wobei er für 200 000 Euro pro Jahr fürstlich entlohnt wird. Wen wundert es, wenn er sich nach dem Wind richtet und vergisst, dass er die Keile zwischen die Ärzteschaft getrieben hat.

Wenn er weiter publikumswirksam moniert, es wären schon "zu viele gestorben", straft er der Tatsache Lügen, dass die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten so stark gestiegen ist, dass die Rentenversicherungen die Altersgrenzen nach oben korrigieren müssen um nicht zahlungsunfähig zu werden. Dies ist unbestreitbar ein Verdienst der heutigen Medizin und damit auch der damit beteiligten Ärzte."

Dr. Rainer Fleischer Fürstenfeldbruck

Bravo, Herr Munte

"Die Initiative des Kollegen Dr. Munte halte ich für großartig. Es war längst an der Zeit, dass endlich ein Verantwortlicher den Mut aufgebracht hat, sich diesbezüglich auch in der Öffentlichkeit zu äußern, anstatt den schwarzen Peter immer nur den Krankenkassen zuzuschieben. Bislang war es so, dass sich Ärzte bei ihrer Honorarabrechnung unter dem Zwang der KV an einem Durchschnitt orientieren mussten.

Dieser Durchschnitt durfte nicht überschritten werden. Die ärztliche Versorgung krankte deshalb extrem daran, dass notwendige Leistungen bei Patienten oft nicht im erforderlichen Umfang erbracht wurden. Die "weniger Qualifizierten" zogen das Mittelmaß des "Erlaubten" nach unten. Herr Munte hat sich wenigstens in Bayern für die qualifizierte hochwertige Versorgung stark gemacht. Gleichwohl ist eine grundsätzliche Neuorientierung der KV nach dem Prinzip "Das Therapieergebnis zählt" notwendig."

Dr. Nikolaus Klehr München

© SZ vom 02.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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