Zum Nordpol und zurück (V):Knut, der neue Dinosaurier

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Der Eisbrecher verlässt das Einflussgebiet des Golfstroms, und schon wird es kalt. Zeit für ernste Fragen: Ist die Welt noch zu retten?

Birgit Lutz-Temsch

Die Yamal hat das Einflussgebiet des Golfstroms verlassen und schon wird es kälter. Was bedeutet das? Und was wird der Klimawandel hier bewirken? Ein Gespräch mit Sepp Friedhuber, Biologe, Geologe, seit Jahren Arktisreisender.

Sepp Friedhuber (Foto: Foto: bilu)

sueddeutsche.de: Was trägt der Mensch dazu bei, dass sich das Klima verändert? Friedhuber: Genau das ist ein Punkt, zu dem ich keine Aussagen treffen möchte.

sueddeutsche.de: Warum nicht? Friedhuber: Weil ich es für ausgesprochen kühn halte, den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel in Prozent zu quantifizieren. Klimaveränderungen hat es immer gegeben, auch sehr dramatische. Es liegt natürlich nahe, zu sagen, für den jetzigen Wandel sei der CO²-Ausstoß verantwortlich. Aber in welchem Ausmaß, darüber gehen die Meinungen auch in der Wissenschaft auseinander. Immer noch.

sueddeutsche.de: Das heißt, wir können alle so weitermachen wie bisher? Friedhuber: Nein! Auf keinen Fall! Aber das Klima ist eine komplexe Angelegenheit, auf die viele Faktoren einwirken. Der Mensch ist in diesem System ein Beschleuniger des derzeitigen Wandels. Die Frage ist jetzt vielmehr, ob man weiterhin in diesem Ausmaß an dieser Schraube drehen will oder nicht.

sueddeutsche.de: Mittlerweile ist es ja überall angekommen, dass man eben das nicht will. Friedhuber: Genau das bezweifle ich doch stark. Teilen der Politik kommt es ja überhaupt nicht gelegen, dass man Ressourcen bewahrt und nicht weiterhin einen Riesenanteil an Energie sinnlos verbraucht und eine effizientere Nutzung anstrebt. Auch wenn die Auswirkungen dieses beschleunigten Klimawandels schon deutlich spürbar sind. Aber unglücklicherweise sind es vor allem Menschen in sehr armen, sehr dicht besiedelten Ländern, die derzeit schon in einem dramatischen Ausmaß unter den Auswirkungen leiden. Wie Bangladesch zum Beispiel. Und diese Länder haben keine Lobby.

sueddeutsche.de: Was müsste sich denn ändern? Friedhuber: Es müsste sich in der Politik die Denkweise ändern: Von kurzfristigen, durch Legislaturperioden bestimmten Mustern hin zu langfristig wirkenden Maßnahmen. Und: Wir brauchen auch andere Strategien als die, die den Klimawandel angeblich verhindern. Denn der Wandel findet bereits statt. Jetzt. Was nun gefragt ist, sind Maßnahmen, die sich mit den Konsequenzen dieses Wandels auseinandersetzen. Auf nationaler, internationaler, globaler Ebene. Momentan wird ein seltsames Bild propagiert. Es wird der Eindruck erweckt, dass wir, wenn wir den CO²-Ausstoß bis 2012 verringern, das Weltklima retten können. Und das ist definitiv nicht der Fall. Das ist höchst unseriös.

sueddeutsche.de: Was für Auswirkungen sehen Sie in der arktischen Region?

Friedhuber: Eine ganze Reihe. Die Eisdicke hat in den vergangenen Jahren um etwa 40 Prozent abgenommen. Die offenen Flächen zwischen dem Eis werden immer größer. Aber auch die hat es schon immer gegeben, weil die Eisdichte der Arktis auch stark von warmen und kalten Meeresströmungen abhängt. Wie sehr die Wassertemperatur das Klima beeinflusst, haben wir gerade gespürt: Mit dem Verlassen des Gebiets des Golfstroms ist es deutlich kälter geworden.

sueddeutsche.de: Was bedeutet das? Friedhuber: Das muss man sich genauso wie bei den Gletschern in den Alpen vorstellen. Da gibt es das Nähr- und das Zehrgebiet. Entscheidend für das Nährgebiet, den Nachschub für den Gletscher, ist zum einen die jährliche Durchschnittstemperatur. In dem Ausmaß, in dem die Nullgradgrenze nach oben rutscht, nehmen auch die Gletscher ab. Analog dazu verschiebt sich in der Arktis die Eisgrenze immer weiter nach Norden.

sueddeutsche.de: Und zum anderen? Friedhuber: Zum anderen sind natürlich die Niederschläge wichtig. Die Arktis ist eine extrem trockene Region, mit 300 Millimetern Niederschlägen pro Jahr. Das regnet es in Österreich oft an einem Nachmittag. Das bedeutet - wenn man im Gletschervergleich bleibt - dass für das Nährgebiet sowieso wenig nachkommt. Wenn das beispielsweise durch den wärmer werdenden Golfstrom auch noch wegschmilzt, gibt es ein Problem.

sueddeutsche.de: Das vor allem die Tiere spüren? Friedhuber: Ja. Die ans Eis gebundenen Tiere werden verschwinden. Eisbären, Robben, Walrosse. Für die ist dieses Jahrhundert ganz sicher das letzte - falls sich die Klimaspirale weiter nach oben dreht.

sueddeutsche.de: Warum?

Bildergalerie
:Vorhang auf: Der Tanz der Eisbären

Am sechsten Tag im Eis geht der Vorhang auf. Eisbären. Erst ruhig, dann wild, dann spielend, die Tiere geben eine Vorstellung wie ein Konzert. Das Crescendo eines Abends im Eis, der gestandenen Bärenbeobachtern die Tränen in die Augen trieb.

Friedhuber: Nehmen wir den Eisbären: Ein hochspezialisiertes Tier. Er ist in der Jagd am erfolgreichsten, wenn er vor Eislöchern sitzt und auf das Auftauchen von Robben wartet. Für die Jagd an Land ist er viel zu langsam. Er kann nicht überleben. Die Menschen können sich ihren Knut dann nur noch im Zoo anschauen. Als Relikt. Das gilt für alle Tiere, die so hoch spezialisiert sind. Nimmt man ihnen ihren Lebensraum, ist das das Ende für sie.

sueddeutsche.de: Gibt es auch Tiere, die vom Wandel profitieren? Friedhuber: Natürlich wird es die geben. Im gleichen Ausmaß, in dem Tiere verschwinden, werden andere Tiere diese Lebensräume erobern. Wie einst die Säuger den Lebensraum der Saurier eingenommen haben, als diese ausstarben. Damals besetzten die Saurier alles: Es gab schwimmende, fliegende, pflanzen- oder fleischfressende, große und kleine. Als sie weniger wurden, war das eine Riesenchance für die Säuger, die diese verlassenen Räume sukzessive besetzten.

sueddeutsche.de: Wie stehen Sie als Naturwissenschaftler zum Thema Poltourimus? Friedhuber: Tourismus ist immer ein Problem. Puristisch betrachtet, dürfte man im Urlaub ja gerade ein Stück mit dem Fahrrad fahren. Dem Tourismus werden viele Gebiete einfach geopfert. In denen man dann alles erlaubt, weil es angeblich eh schon egal ist. Wie in den großen Skigebieten in Österreich zum Beispiel.

sueddeutsche.de: Trotzdem sitzen Sie auf einem Atomeisbrecher in der Arktis. Friedhuber: Ja. Und ich habe kein schlechtes Gewissen. Weil es auch einen Tourismus gibt, der Lebensräume erhalt. Ohne Tourismus würde es heute in der Serengeti oder auf den Galapagos-Inseln ganz anders, und zwar schlimmer aussehen. Natur, die nichts bringt, wird auch nicht geschützt, so ist es doch. Ich persönlich nutze die Chance, einem internationalen Publikum, das sich erstaunlicherweise immer sehr für die Klimaproblematik interessiert, bestimmte Dinge nahezubringen, ein Bewusstsein zu schaffen oder zu schärfen.

Dieses Publikum wiederum gibt seine Erkenntnisse weiter. Wer die Schönheiten der Arktis erlebt hat, wird auf andere mit einer wesentlich größeren Überzeugungskraft zugehen, wenn es um den Schutz dieses Lebensraums geht, der ja von vielen komplexen Faktoren abhangt. Trotzdem werden diese Multiplikatoren die Welt natürlich nicht retten. Und ich mit meinen Vorträgen auch nicht. Es ist zu spät.

Sepp Friedhuber, 59, ist Biologe und Geologe und hat an vielen Expeditionen nach Südamerika, Afrika und Asien teilgenommen. Für den ORF hat er zahlreiche Folgen der Reihe "Land der Berge" realisiert. 2001 ist er für seinen Film "Uramazonas, Fluss aus der Sahara" mit dem österreichischen Fernsehpreis "Goldene Romy" ausgezeichnet worden. Seit 2004 nimmt er an den Reisen der Yamal teil. Von ihm ist im Tecklenborg Verlag das Buch: "Uramazonas: Fluss aus der Sahara" erschienen. Zusammen mit Gunter Guni hat er außerdem im gleichen Verlag "Die Berge Afrikas" veröffentlicht.

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