Zugreisen:Explosives im Gepäck

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Die Deutsche Bahn ist auf Selbstmörder, Saboteure und Demonstranten vorbereitet. Doch vor Terroristen kann sie die Reisenden nicht schützen.

Annette Ramelsberger

Wenn in der Weihnachtszeit die Züge voll Reisender sind, die sich auf den Weg zu ihren Familien machen, wenn sich in den Bahnhöfen die Menschen drängeln und sich auf den Bahnsteigen die Koffer und Taschen türmen, dann sind die Männer und Frauen im Lagezentrum der Bahn am Potsdamer Platz in Berlin besonders angespannt.

Die Aufnahme der Überwachungskamera am Hauptbahnhof in Köln zeigt einen der beiden mutmaßlichen Terroristen. Links im Bild steht der Koffer mit der Bombe. (Foto: Foto: AP)

Hier laufen rund um die Uhr die Informationen darüber zusammen, welche Gefahren dem Zugverkehr gerade drohen: Ob, wie in Nordrhein-Westfalen geschehen, wieder einmal eine Eisenplatte gefunden wurde, die ein Unbekannter auf die Gleise geschraubt hat, um einen Intercity entgleisen zu lassen.

Oder ob sich, wie beim Castor-Transport im Wendland, Demonstranten an den Oberleitungen zu schaffen machen und die Gleise unterhöhlen, damit die Züge nicht weiterfahren können.

Oder ob sich auf einer Strecke ein verzweifelter Mensch auf die Gleise gelegt hat und damit den Zugverkehr für Stunden unterbricht.

Auf all das sind die Sicherheitsleute vorbereitet. Doch die größte Gefahr können sie nicht bannen: Einen Terroranschlag auf die Bahn.

Wenn in den Sicherheitsbehörden über die Bedrohungsszenarien nachgedacht wird, mit denen Deutschland zu rechnen hat, dann gilt ein Terroranschlag auf den öffentlichen Nahverkehr als der wahrscheinlichste Fall - wie die Anschläge von Madrid und London gezeigt haben.

Seitdem zwei Anschläge mit Kofferbomben in Nahverkehrszügen von Köln nach Koblenz und Dortmund im Sommer nur um Haaresbreite gescheitert sind, weiß man, dass der Terror in Deutschland keine hypothetische Größe mehr ist.

Der Anschlag mit den beiden Kofferbomben hätte, so weiß man jetzt, zwei Feuerbälle entfacht, durch die die Waggons ausgebrannt und die Züge vermutlich entgleist wären.

Angesichts der "akuten Gefährdungslage" seien weitere Anschlagsszenarien mit terroristischem Hintergrund "auf derzeit nicht absehbare Dauer nicht auszuschließen", heißt es in großer Deutlichkeit im vertraulichen "Programm zur Stärkung der Inneren Sicherheit" des Innenministeriums, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

"Hoch sensibilisiert" sei man, betont ein Bahnsprecher.

"Aber die Bahn ist ein offenes System. Eine hundertprozentige Abschottung ist im Gegensatz zum Flugverkehr nicht möglich."

Sofort nach Aufdeckung der geplanten Kofferbomben-Anschläge hatten Abgeordnete gefordert, Gepäckdetektoren einzusetzen und Bahn-Reisende einzeln zu kontrollieren.

Es sind Rufe, die suggerieren, der Bahnverkehr könnte vor Anschlägen geschützt werden. Doch allein die Zahlen zeigen die Unmöglichkeit: Jeden Tag reisen in Deutschland 4,3 Millionen Menschen mit der Bahn.

Nur in Japan und Indien werden noch mehr Menschen mit dem Zug befördert. Das Streckennetz umfasst 36.000 Kilometer. Mehr als 5600 Bahnhöfe und Haltepunkte gibt es, dazu Betriebszentralen, Bahnstromleitungen, Trafostationen. Pro Tag fahren 36.000 Personenzüge und 6000 Güterzüge. Und jedes Jahr werden in Zügen und Bahnhöfen 40.000 herrenlose Gepäckstücke gefunden.

Am 31. Juli waren es zwei Koffer mit Bomben darin. Wer angesichts solcher Dimensionen fordert, man möge das Gepäck durchleuchten und Detektoren einsetzen, ist schon lange nicht mehr Bahn gefahren.

Die Verletzbarkeit des Nahverkehrs ist der Politik im Sommer schmerzlich bewusst geworden: Nichts deutete darauf hin, dass die zwei jungen Männer, die ihre Kofferbomben in die Züge wuchteten, etwas anderes waren als Studenten, die einen Ausflug machten. Nichts war verdächtig an ihrem Auftreten.

Nichts ließ sie als gefährlich erscheinen. Im Gegenteil, einer der beiden trug als T-Shirt das Nationaltrikot von Michael Ballack - als wenn er zum Training wollte. Und stand extra auf, um seine leere Limo-Dose korrekt in den Abfalleimer zu werfen.

Das Programm der Bundesregierung zur Stärkung der Inneren Sicherheit wird Anschläge wie die der beiden jungen Männer aus dem Libanon nicht verhindern, es kann sie höchstens erschweren. Und es dient auch als Selbstbestätigung für die Regierung, dass sie wirklich alles gegen terroristische Gefahren getan hat.

Schon jetzt arbeiten 5700 Bundespolizisten zur Sicherung der Bahn, Polizeihubschrauber fliegen die Strecken ab, um Manipulationen an den Gleisen zu erkennen. 550 Polizeihunde schnüffeln nach Drogen und Sprengstoff.

Nun soll das Personal von Bahn und Bund noch besser zusammenarbeiten, die Videoüberwachung soll ausgedehnt und die Reaktionszeit kürzer werden.

Die Bahn wolle die Zahl der Sicherheitsmitarbeiter bis Ende 2007 um etwa ein Drittel erhöhen, sagt ein Bahnsprecher: Dann sollen statt 2100 Beschäftigten etwa 3000 in den Bahnhöfen, entlang der Strecken und in den Zügen Ausschau halten, ob sie etwas Verdächtiges sehen.

Auch baulich ist man dabei, es möglichen Attentätern schwer zu machen. So gibt es im neuen Berliner Hauptbahnhof keine Schließfächer mehr, in denen man Bomben verstecken könnte.

Am Hauptbahnhof in Berlin müssen die Reisenden das Gepäck, das sie abstellen wollen, bei der Gepäckaufbewahrung abgeben. Und jeder Koffer, jede Tasche wird von Detektoren durchleuchtet.

Gleichzeitig soll die Zahl der 2800 Videokameras erhöht werden, die die Bahn auf den Bahnsteigen in Betrieb hat. Eine eigene Arbeitsgruppe von Bahn und Bundespolizei sitzt derzeit daran und grübelt, wo noch Kameras fehlen, wie man die Publikumsströme effizienter ins Visier nehmen könnte und auch, wie die Aufnahmequalität besser werden könnte.

Vorteil für Kriminelle

Denn nicht überall funktionieren die Videokameras so einwandfrei wie am Kölner Hauptbahnhof, wo sie die Identifizierung der beiden libanesischen Attentäter ermöglicht hatten.

In Dresden zum Beispiel waren die Videokameras schlicht defekt, als ein Erpresser dort vor drei Jahren eine scharfe Bombe abstellte. Erst monatelange Ermittlungen führten dann auf die Spur des Täters.

Damit die Bundespolizei schneller eingreifen kann, wird jetzt damit begonnen, die 2800 Videokameras der Bahn auf die Bundespolizei-Inspektionen umzuschalten. "Das soll Schritt für Schritt erfolgen", sagt ein Sprecher des Innenministeriums, an manchen Stellen laufe das bereits.

Zukunftsmusik allerdings ist, was im schönen, neuen Sicherheitsprogramm bereits als Faktum dargestellt wird: Die Einführung intelligenter Technik, die es nicht nur ermöglichen soll, dass die Polizei länger allein stehende Koffer erkennt, sondern auch gleich per Tonaufzeichnung mithören kann, ob sich Ungewöhnliches auf dem Bahnsteig tut.

Davon ist der Bahn nach eigenen Angaben nichts bekannt, und auch im Innenministerium heißt es, darüber werde erst nachgedacht. Das Geld dafür hat der Haushaltsausschuss schon genehmigt.

Nichts vorwerfen lassen

Ganz konkret sind andere Maßnahmen, doch auch sie zeigen, dass es nicht um absolute Sicherheit geht, sondern vor allem um das Bemühen, wenigstens soviel zu tun, dass man sich später nichts vorwerfen muss: Statt bisher zehn Wärmebildkameras soll es demnächst 20 geben, die in Hubschraubern eingesetzt werden und mit denen die Polizei erkennen kann, ob sich jemand im Dunklen an den Gleisen zu schaffen macht.

Und auch die Zahl der Diensthunde wird aufgestockt. Zu den 550 Tieren sollen noch einmal 70 hinzukommen, allerdings nicht nur aus Sicherheits-, sondern auch aus Spargründen.

Denn, so heißt es in der Vorlage für den Haushaltausschuss, die Preise für diese Hunde "werden aufgrund der Marktsituation erheblich steigen". Mit billigen Hunden sicher Bahn fahren - so ein Argument musste die Haushälter ja überzeugen.

© SZ vom 21.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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