Wiederentdeckte Zugspitzkarte:"ybers blath ufn zugspitz"

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Starke Indizien - ja, aber kein Beweis: Nach der vom Alpenverein präsentierten Karte könnten Einheimische oder Hirten vor dem Erstbesteiger den Gipfel erklommen haben.

Tanja Rest

Tatsächlich, da steht es - in einer feinen Schrift, die der Sachverständige vom Bayerischen Hauptstaatsarchiv auf die "erste Hälfte des 18. Jahrhunderts" datiert hat: "ybers blath ufn zugspitz. . . 4 stundt".

So lange dauert's: Der Kartograph vermerkte sogar den Zeitrahmen für die letzte Etappe bis zum Gipfel. (Foto: Foto: dpa)

Der bisherige amtliche Erstbesteiger, Leutnant Josef Naus, hat den Gipfel der Zugspitze am 27. August 1820 erreicht. Wenn nun aber eine Karte auftaucht, die mehr als ein halbes Jahrhundert älter ist, die den Zustieg vom Reintalanger übers Zugspitzplatt auf den Gipfel mit vier Stunden ausweist, auf der dieser Weg zudem als fein gestrichelte Linie eingezeichnet ist - was bedeutet das?

Das bedeutet, dass Leutnant Naus möglicherweise zu spät gekommen ist.

Großer Auftrieb bei der Pressekonferenz des Deutschen Alpenvereins (DAV) auf der Münchner Praterinsel. Die Nachricht, dass ein solches Dokument existiert, hat am Tag zuvor über die Grenzen Bayerns hinaus für Wirbel gesorgt. Von einer "alpinhistorischen Sensation" ist die Rede gewesen und dass die Besteigungsgeschichte von Deutschlands höchstem Berg aufgrund der Karte neu geschrieben werden müsse.

Gefunden hat sie die Kunsthistorikerin Martina Sepp: Sie ist im Rahmen eines von der EU bezuschussten Projekts seit einiger Zeit damit befasst, die Schätze der Alpinbibliothek neu auszuwerten und zu digitalisieren. Als ihr die Karte in die Hände fiel, wusste sie gleich, dass es sich um "etwas Besonderes" handelte.

Detailgetreue Wiedergabe

Die undatierte und nicht signierte Karte zeigt das Reintal, das im Osten an die Zugspitze anschließt. Sie ist etwa 50 mal 110 Zentimeter groß, sehr präzise gearbeitet und im damals üblichen Stil einer 360-Grad-Panorama-Ansicht gestaltet; die Berge am unteren Bildrand stehen folglich auf dem Kopf.

Die Umgebung wird detailgetreu wiedergegeben: Eingetragen sind etwa der Fluss Partnach, der Reintaler Hof und verschiedene Hütten, darunter die bis heute beliebte Reintal-Anger-Hütte. Der braun markierte Weg, der dem heutigen Zustieg weitgehend entspricht, schlängelt sich hinauf aufs Zugspitzplatt und teilt sich dort: Die eine Strichlinie führt hinauf zur Wettersteinspitze, die andere über den Schneeferner auf die Zugspitze; daneben ist das Wort "Gangsteig" eingetragen. Vermutungen, wonach es sich lediglich um die Grenzlinie zwischen Tirol und der Grafschaft Werdenfels handele, sind damit wohl widerlegt.

Kopfzerbrechen über den Abstieg

Das ist der Gipfel: Die Zugspitze, eingezeichnet auf der wiederentdeckten Karte. (Foto: Foto: dpa)

Der 2962 Meter hohe Zugspitz-Gipfel ist in der rechten unteren Kartenecke abgebildet und mit den Jahren fleckig geworden. Darum ist nicht klar zu erkennen, "ob der Gangsteig direkt auf den Gipfel oder knapp darunter vorbei führt", wie Friederike Kaiser, die Leiterin des Alpinen Museums, einräumt. Kopfzerbrechen bereitet den Experten auch der verzeichnete Abstieg: Er führt zum Eibsee hinunter. Dieser Weg ist heute mit Drahtseilen gesichert; ohne dieses Hilfsmittel sind Kletterstellen im dritten und vierten Grad zu meistern - was für die damalige Zeit zumindest erstaunlich gewesen wäre.

Johannes Haslauer, der über die Grafschaft Werdenfels promoviert, vermutet, dass die Karte um 1770 im Zuge von Grenzstreitigkeiten entstanden ist: "Es gab damals mit dem Nachbarn Tirol heftige Auseinandersetzungen um Weidegebiete und Wegerechte", erklärt Haslauer. "Zwischen 1766 und 1768 war deshalb eine große Zahl von Beamten und Feldmessern im Reintal unterwegs."

Der weitere Weg der Karte lässt sich nur lückenhaft rekonstruieren. Im Jahr 1884 gelangte sie offenbar in den Besitz des Münchner Zugspitz-Chronisten Max Krieger, der eine Abzeichnung in seinem Buch veröffentlichte. In den 1930er Jahren war sie im alten Alpinen Museum in München ausgestellt, ging während des Krieges verloren und tauchte schließlich im Besitz des Alpinjournalisten Fritz Schmitt wieder auf. Sein Nachlass ruht seit 1986 im Archiv des Deutschen Alpenvereins.

Hieb- und stichfeste Beweise für eine deutlich frühere Erstbesteigung liefert das Dokument nicht, das räumen auch die Sachverständigen des DAV ein. Es muss von nun an jedoch als zumindest wahrscheinlich gelten, dass bereits im 18. Jahrhundert Menschen auf dem Zugspitz-Gipfel gestanden haben - Grenzbeamte, Jäger oder Viehbauern aus den umliegenden Gehöften. Ihre Namen wird man wohl nie erfahren.

Die Besteigungsgeschichte aber muss wohl doch nicht völlig neu geschrieben werden. Es gilt der erste namentlich belegte Gipfelerfolg. Und der ist immer noch dem Leutnant Josef Naus gelungen.

Am 26. Oktober eröffnet im Münchner Alpinen Museum ein kleine Ausstellung rund um die Karte.

© SZ vom 20.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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