Wellness:Kehraus

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Warum Entrümpeln eine Kur für Körper, Geist, Seele und den Geldbeutel ist.

Andrea Bachstein, Grafiken: Rita Berg

Kaum sind die Tage wieder heller und länger, schon kommt auch das Thema Frühjahrsputz wieder ans Licht. Aber mal ehrlich, den hat oftmals nicht nur die Wohnung nötig, sondern andere Lebensbereiche könnten es auch gebrauchen, sie mal richtig durchzulüften und aufzuräumen. Wie steht es mit den Gewohnheiten, die man eigentlich schon zu Neujahr hatte ändern wollen, zum Beispiel beim Rauchen, Essen, Trinken? Was ist aus dem Entschluss geworden, endlich regelmäßig beim Sport den Schweiß fließen zu lassen? Hat nicht ausgerechnet der Beziehungsfrust den Winter vollkommen heil überstanden und der alte Knatsch mit der besten Freundin? Und wollte man nicht überhaupt endlich anders, besser, glücklicher, schöner, ideenreicher werden?

(Foto: Foto:AP)

Jetzt kommt die zweite Chance: Sonnenstrahlen und sprießendes Grün schaffen die heitere Kulisse, aber der Aufbruch wird nicht ganz ohne Eigeninitiative funktionieren. Wer sich dazu aus Büchern Hilfe suchen will, findet reichlich Inspiration und wird sehen, wie ähnlich sich viele Strategien sind - egal ob sie sich aus fernöstlichen Traditionen oder westlichen Life-Management-Konzepten speisen.

Platz zum Putzen Auch wenn es ums große Ganze geht, ums Wohnungsputzen kommt man nicht nur im Frühjahr kaum herum. Doch der erste Elan zum Besen- und Schrubberschwingen erstirbt möglicherweise sogleich, nämlich beim Anblick all dessen, was es da zu säubern gibt und welche Ecken und Stapel es mit dem Staubsauger zu umkurven gilt. Deshalb ist die erste Aufgabe des Frühjahrsrituals: entrümpeln, Platz schaffen zum Saubermachen - und zum Wohlfühlen. Ordnungsprofis raten, klein anzufangen, damit schnell ein Erfolg zu sehen ist. Erst mal eine Schublade in Angriff nehmen, die aber richtig: ganz leer räumen, reinigen - und dann natürlich nicht alles wieder hinein.

(Foto: N/A)

Ein simples System hilft: Drei Kartons sollen beim Entrümpeln mindestens bereitstehen. In die hinein wird sortiert: in einen, das, was man wirklich benutzt, was funktioniert. In einen das, was man seit Zeiten nicht mehr verwendet hat, was halb oder gar ganz kaputt ist. Das ist der Wegwerfkarton, was darin ist, kommt in den Müll - oder vielleicht zur Internet-Auktion. Die Urteile sollten im Schnellverfahren fallen: Mehr als 30 Sekunden sollte man sich pro Gegenstand nicht geben. In den dritten Karton kommen die unklaren Fälle. Wenn das allerdings der bestgefüllte Karton wird, sollte man sich einen zweiten, kritischeren Durchgang nicht ersparen. Dieser Karton, so der Expertenrat, wird mit einem Inhaltsverzeichnis beschriftet und auf den Speicher gestellt. Wenn drei Monate später nichts aus dieser Sammlung wieder benötigt worden ist, fliegt die Schachtel - ungeöffnet! - raus. Mit dieser Dreikarton-Methode lässt sich das ganze Haus durchforsten. Stehen nicht im Bad Tiegel, deren Inhalt ein bisschen ranzig riecht? Ist das Parfum nicht längst verduftet, und wer benützt noch den orangefarbenen Plastikkamm und die rosa Duschhaube? Auch der Kleiderschrank ist natürlich prädestiniert ausgemistet zu werden. Klar, der Hosenanzug war mal teuer, aber falls er je wieder in Mode kommt - wird er noch passen?

Wenn der Schrank - wesent-lich leerer - wieder eingeräumt wird, empfiehlt es sich, die Stücke, die man am häufigsten trägt, so zu hängen, dass man sie auch am schnellsten im Griff hat. Eine Kramschublade pro Haushalt bleibt erlaubt - muss aber spätestens alle drei Monate ausgemistet werden. Mancher Experte lässt für solche Aktionen übrigens einen vierten Karton zu: Dort hinein sollen die Dinge von sentimentalem Wert kommen, vom Hochzeitskleid bis zur Muschel aus dem ersten Mittelmeerurlaub. Wenn alles aufgeräumt ist, ist bestimmt ein Platz für alle schönen Erinnerungen freigeworden, den man dann zur Belohnung ganz gezielt besuchen kann.

Platz für angenehmere Gedanken Der praktische Nutzen von Ordnung liegt auf der Hand. Aber so äußerlich ist die Sache nicht. Die Fachleute blicken tiefer. Und wer ehrlich ist, weiß selbst, dass unaufgeräumte Plätze, verstaubte Stapel, unerledigte Post ein schlechtes Gewissen machen und auf der See-le lasten können - stets erinnern sie an Versäumnisse, an nicht Bewältigtes. Jeder Blick darauf schafft Unwohlsein. Die Macht der Gewohnheit schafft es zwar, diese Mahnmale des Versagens irgendwann zu übersehen, das Unterbewusstsein lässt sich aber nicht täuschen. Weil solcher Ballast an Vergangenes erinnert, bremst er Energien, stört die Konzentration auf Neues, Wichtigeres. Das Hängen an alten Dingen, eigentlich Überflüssigem ist auch ein innerlicher Zustand. Eine Spezialistin behauptet sogar, sie habe festgestellt, dass Menschen in unnütz gefüllten Wohnungen auch häufig Übergewicht haben, das Hortenwollen äußert sich demnach auch körperlich. Und ist die Wohnung entrümpelt, löse sich oft auch manches Gewichtsproblem.

Das mag auch mit dem samt der Unordnung verschwindenden Unwohlsein in der eigenen Umgebung zu tun haben, für das die Seele dann kein Futter mehr verlangt. Es geht darum, unnützen Ballast jeder Art abzuwerfen. Gerümpel ist, was man nicht braucht oder nicht liebt. Als besonders wichtig - für die Optik, für das Wohlbefinden und die Funktion des Raumes - gilt bei Experten jeder Schule ein freier Fußboden. In jedem Raum sollten leere Flächen entstehen, luxuriöse Freiräume, bei deren Anblick angenehme Gedanken durch nichts gestört werden, neue Ideen nicht am Ballast zerschellen. Das kann im Wohnzimmer Wunder wirken, gilt aber mindestens so sehr für das Schlafzimmer - wer beim Aufwachen und Einschlafen nicht mehr an seine Versäumnisse erinnert wird, geht besser gestimmt in den Tag und in die Nacht. Wer praktisch denkt, sollte nachrechnen, wie viel Prozent seiner Miete er für die Aufbewahrung von Stapeln alter Zeitungen oder anderen Platzräubern ausgibt ...

Nach einer solchen Diät für die Wohnung, die mit genauso hart erscheinenden Verzichtsentscheidungen verbunden sein kann, wie eine Schlankheitskur kann man sich ruhig belohnen - vielleicht mit einer Party, Raum für Gäste ist ja nun.

Die Seele entrümpeln Ist die Wohnung in Ordnung, bleibt noch das immaterielle Gerümpel: seelische Altlasten. Gibt es da nicht schon einen ziemlich betagten Groll, dessen Ursache längst verjährt ist, ein zum Reflex gewordenes Schuldgefühl? Manches lässt sich leicht lösen - wie hoch ist der "Stapel" von alten Freunden, bei denen man sich längst melden wollte? Wenn man nur jeden Tag zehn, fünfzehn Minuten für einen Anruf, eine E-Mail reserviert, schmelzen der Stapel und das schlechte Gewissen rasant.

Woher die Zeit plötzlich kommen soll - nun, zum Beispiel von den Minuten, die man spart, weil man in der aufgeräumten Wohnung keine Zeit mehr mit dem Suchen verkramter Dinge verplempert. Aber auch davon, dass man seine Beziehungen entrümpelt. Gibt es Menschen, mit denen es eigentlich nur noch nervt, Zeit zu verbringen? Auch hier lohnt es sich zu sortieren; das mag kaltherzig klingen, doch ist es ehrlicher für alle.

Fernöstlicher Ordnungssinn In uralten asiatischen Lehren vom Bauen, Einrichten und Wohnen, wie dem chinesischen Feng-Shui oder dem indischen Vastuveda wird im Haus, ja in jedem Zimmer jeder Himmelsrichtung eine bestimmte Funktion und Wirkung zugeordnet. Vastuveda zufolge sollte sich die Küche am besten im Südosten der Wohnung befinden und der Raum im Norden quadratisch sein. Das lässt sich in oft beengtem und gemietetem Wohnraum nicht verwirklichen, selbst wenn man diese Lehren für plausibel halten sollte.

Worum es dabei geht, ist der Fluss von Energien, die sich auf Psyche und Körper auswirken. Was diese Traditionen auf jeden Fall mit prosaischeren westlichen Prinzipien gemeinsam haben, ist die Überzeugung, dass Veränderungen der äußeren Welt auch auf die innere wirken. Wer diesen Thesen folgt, muss sich allerdings auf sehr weit gehende Umgestaltungen einlassen. An bestimmten Stellen Schalen mit Wasser aufzustellen, in denen Blüten schwimmen oder duftende Pflanzen zu platzieren, was Vastuveda zufolge Energieflüsse begünstigt, kann aber auf keinen Fall schaden.

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