Wassermangel:Wildwest auf der Alm

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Viele Rinder fanden in diesem Sommer zu wenig Futter auf den Almen. In der Schweiz brachten Helikopter der Armee den Tieren Wasser. (Foto: Andrea Warnecke/dpa)

Der heiße Sommer hat dem Tourismus in den Alpen Rekorde beschert - aber auch Probleme mit sich gebracht.

Von Dominik Prantl

Als Jörg Beck vor einigen Wochen die Almen in seinem Heimatkanton Freiburg inspizierte, da traute er seinen Augen kaum. Nun ist davon auszugehen, dass Jörg Beck schon die ein oder andere Alpe in diversen Zuständen besucht hat, denn Beck ist Geschäftsführer des Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verbandes, der eidgenössischen Interessenvertretung der Bergbauern. "Aber das habe ich noch nicht gesehen." Die Kühe hätten Staub hochgewirbelt wie in einer Steppe, und überhaupt erinnerte Beck die Szenerie an etwas ganz anderes als eine saftige Bergweide: "Das war wie in einem Wildwestfilm."

Dieser Sommer war nicht nur ein im Wortsinn merkwürdiger. Er polarisierte auch, und exemplarisch war das mal wieder in den Alpen zu beobachten, wo sich Phänomene oft auf kleinem Raum zeigen. In einem der österreichweit 20 trockensten Sommer der Messgeschichte - gemäß Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) - meldete beispielsweise die Landwirtschaftsabteilung von Vorarlberg Wasserknappheit auf jeder zweiten Alm. In der Schweiz mussten in der Hochphase der Trockenperiode im August allein im Kanton Waadt 3,8 Millionen Liter Wasser zu den durstenden Kühen geschafft werden, knapp 20 Prozent davon durch Helikopter der Armee. Die gewaltige Masse erklärt sich schnell, wenn man bedenkt, dass eine Kuh an einem heißen Sommertag locker 100 Liter wegsäuft. Die Hilfe von oben konnte allerdings nicht verhindern, dass der zweite und dritte Heuschnitt laut Beck ausfallen musste, weil das Gras nicht nachwuchs. Und auch wenn sein deutscher Kollege Michael Honisch, Geschäftsführer des Alpwirtschaftlichen Vereins Allgäu, die Lage in seiner Region generell als "nicht besorgniserregend" bezeichnet, machte die Trockenheit auch dort einigen Almbauern zu schaffen.

Neben zu wenig Niederschlag brachte der diesjährige Sommer laut ZAMG aber auch zwölf Prozent mehr Sonnenschein als im Mittel. Einher ging damit auch eine mindestens zwölfprozentige Steigerung bei der Zufriedenheit der Tourismusabhängigen. Die österreichische Gästebilanz für die Monate Mai bis Juli enthält beispielsweise Rekordzahlen, die den Temperaturanstieg von exakt zwei Grad gegenüber dem langjährigen Durchschnitt in den Schatten stellen: ein Plus von 3,8 Prozent bei den Übernachtungen, was diese erstmals seit 1982 auf mehr als 37 Millionen steigen ließ. Für das Bergland Tirol sprang sogar ein Plus von 5,7 Prozent auf mehr als zehn Millionen Übernachtungen heraus. Eine Steigerung von fünf bis zehn Prozent erwartet auch der mit 20 000 Betten größte Beherbergungsbetrieb der Alpen, der Deutsche Alpenverein (DAV), bei den Übernachtungen auf seinen Hütten. Viele Hütten seien aufgrund der guten Wetterprognosen zudem bereits bis Ende der Saison ausgebucht, heißt es in einer Pressemitteilung des DAV.

Der Almabtrieb hat in diesem Jahr vielerorts schon vier Wochen früher begonnen

Noch nicht wirklich abzusehen ist dabei jedoch, wie die heißen Sommer die Berge und damit auch den Tourismus der Alpen mittelfristig verändern. Wegen des seit Jahrzehnten anhaltenden Gletscherschwunds müssen schon jetzt gewisse Routen abgeändert werden. Zudem steigt für Bergsteiger die Gefahr, etwa weil sich tiefe Rinnen auf dem Gletscher bilden oder die Randkluft, also der Übergang zwischen Eis und Fels, zum immer größeren Graben anwächst. Zwar ist, was die Gletscherschmelze betrifft, laut Andrea Fischer, Glaziologin an der Universität Innsbruck, heuer "kein Rekordsommer" zu erwarten. Verhindert habe diesen neben der guten Schneebedeckung im Frühjahr und den Schneefällen der vergangenen Tage in den höheren Lagen die andauernde Trockenheit. Regen hätte die Schmelze noch verstärkt. Allerdings seien die Gletscher "in einem sehr schlechten Zustand", so Fischer.

Der sukzessive Verlust der alpinen Eisfläche ist dabei aber nur die sichtbarste Veränderung. Als "die große Unbekannte" bezeichnet Fischer den Permafrost. "Man weiß bislang noch nicht, wie er auf welche Umstände genau reagiert." Der Permafrost gilt vielen als "der Klebstoff der Alpen", weil er dem Boden oberhalb von 2500 Metern verkittet und damit Halt gibt. Taut der Permafrost, drohen Hänge abzurutschen. Das Hochwildehaus in den Ötztaler Alpen musste wegen Schäden am Fundament, die mit dem Rückgang des Permafrosts zusammenhängen, geschlossen werden.

Jörg Beck vom Alpwirtschaftlichen Verein der Schweiz glaubt, dass die Trockenheit der vergangenen Monate nur ein Vorbote war. "Das sind langfristige Tendenzen, auf die wir mit entsprechenden Maßnahmen regieren müssen, etwa eine verbesserte Wasserführung." Ob dies nur ein Problem der Almbauern ist? Jedenfalls hat der Almabtrieb, ein touristischer Höhepunkt im September, vielerorts schon begonnen, "zum Teil vier Wochen früher", wie Beck sagt. "Im Kanton Freiburg ist es auf manchen Alpen schon extrem ruhig." Und wer will schon einen Wilden Westen ohne Rinder?

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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