Wahl-Modus:Europäische Proporzhauptstadt

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Statt der kulturell innovativsten, wird Europäische Kulturhauptstadt diejenige, deren Land an der Reihe ist.

Richard Fraunber & Florian Sailer

Es war eher Zufall, dass der Titel Patras zufiel. Turnusmäßig wären 2006 die Holländer an der Reihe gewesen. Die aber suchten nach einer Möglichkeit zum Tausch. Griechenland, das ursprünglich für 2018 eingeplant war, sprang in die Bresche. Alternativen zu Patras gab es nicht. "Die Regierung in Athen hat binnen weniger Tage entschieden", sagt Dimitris Touliatos, der Marketingmanager des Organisationskomitees für die Europäische Kulturhauptstadt 2006. Weil Athen und Thessaloniki bereits Kulturmetropole waren, traf es nun die drittgrößte Stadt Griechenlands, das krisengeschüttelte Patras.

Die Kulturhauptstadt-Idee geht auf die ehemalige griechische Kultusministerin Melina Mercouri zurück. Sie wollte die Kulturen und Länder Europas einander näher bringen. Was 1985 mit Athen als erster Kulturhauptstadt begann, ist heute zu einem spektakulären Ganzjahres-Event angewachsen.

PR-Profis polieren das Image der zur Europäischen Kulturhauptstadt auserkorenen Städte. Politiker hoffen vor allem auf die Ankurbelung der Wirtschaft und des Tourismus. Der Titel ist begehrt. 80 Prozent der ehemaligen Kulturhauptstädte gaben an, von der Ernennung profitiert zu haben. Trotz hoher Schuldenberge.

Städtebauliche Fortschritte

"Das Jahr als Kulturhauptstadt 1999 hat Weimar städtebaulich um 20 Jahre nach vorne gebracht", sagt Ulrike Köppel, Geschäftsführerin der Weimar GmbH. Ein neues Kongresszentrum habe der Stadt den Tagungs- und Kongresstourismus eröffnet, der sehr gut laufe. Ähnlich bilanziert Barbara Parteder vom Tourismusbüro der Stadt Graz, die 2003 den Titel trug: "Wir haben Projekte verwirklicht, die sonst vielleicht nicht in Angriff genommen worden wären, außerdem konnten wir unsere Stadt auf neuen Märkten bekannt machen".

Mehr Besucher habe das Label "Kulturhauptstadt Europas" angelockt, das sei bis heute in beiden Städten spürbar. Vor allem bei internationalen Gästen. "Man braucht spannende, kontroverse Projekte", sagt Barbara Parteder. In Graz sei dies die anfangs sehr umstrittene "Murinsel" gewesen. Jeden Tag waren es immer mehr Bürger, die zur Baustelle kamen um zu sehen, wann die Stahlkonstruktion endlich zu schwimmen anfange.

Wie dauerhaft sich eine Stadt im Reigen von bisher 33 Europäischen Kulturhauptstädten durchsetzen kann, hängt aber vor allem von originellen Ideen im Kulturbereich ab. Die Plakette "Kulturhauptstadt" läuft jedoch, ähnlich wie das Prädikat "Weltkulturerbe" Gefahr, inflationär und beliebig vergeben zu werden.

Im EU-Parlament wurde der Vorschlag Griechenlands, Patras zu nominieren, mit Skepsis aufgenommen. "Patras verfügt über nichts Singuläres. Jede der zehn deutschen Städte, die sich um die Nominierung zur Kulturhauptstadt 2010 bewarben, ist besser positioniert", sagt Olaf Schwencke, ehemaliges Mitglied der von Brüssel beauftragten Kulturhauptstadtjury. Diese hielt das kulturelle Konzept für wenig künstlerisch. Sie reiste eigens an, um sich ein Bild von der faden Bewerberstadt zu machen.

"Alles Vergangenheit", ärgert sich Marketingmanager Touliatos. "Käme die Jury heute nach Patras, sie hätte eine andere Meinung." Seit der Zusage regiert in Athen eine neue Partei und in Patras ein neuer Bürgermeister. Kulturmanager wurden ausgetauscht, neue Konzepte entwickelt. Jedes der 25 EU-Länder soll in einem Stadtteil zu Gast sein. Einer der Höhepunkte wird eine Leonardo-da-Vinci-Ausstellung sein.

Die Stimmung unter den Malern, Musikern und Theaterleuten ist jedoch schlecht. Im Organisationskomitee, so heißt es, herrsche Kleinkrieg. Streitigkeiten über die Verteilung der Gelder sowie das Programm sorgen für Enttäuschung. Viele ansässige Künstler fühlen sich ausgeschlossen. "Einige lokale Künstler nehmen am Programm teil - falls genügend Geld übrig bleibt", sagt Bildhauer Dimitris Dsumanis. "Mich kümmert das Spektakel wenig."

Das meiste Geld, so heißt es insgeheim, lande bei regierungsnahen Bauunternehmern und befreundeten Künstlern. Kostas Makris, Betreiber eines Schattentheaters, sieht das ähnlich. "Welche Unterstützung werden lokale Künstler haben, wenn 2006 vorüber ist? Wer profitiert von dem Ganzen?"

Andere Auswahl-Kriterien gefordert

Immerhin, die Sanierungsarbeiten haben in Patras begonnen. Und davon soll die Stadt langfristig etwas haben. Künftig soll sich das Auswahlverfahren für die Europäische Kulturhauptstadt aber ändern. Der Fall Patras sei ein guter Anlass dafür, findet Schwencke. "Die Brüsseler Kriterien zur Auswahl der Bewerberstädte müssen schärfer und bindend formuliert werden."

Außerdem sei eine Jury nur sinnvoll, wenn sie Alternativen zur Auswahl habe und mehr Kompetenzen erhalte. "Was die Regierungen der EU-Länder vorschlagen, muss die Jury ablehnen können, und zwar ohne Angst vor diplomatischen Verstimmungen." Trotz großer Bedenken hat die Jury schließlich doch - mit einigen Auflagen - Patras zur Kulturhauptstadt ernannt. "Die Bewerberstadt des Landes abzulehnen, in dem die Idee der Europäischen Kulturhauptstadt geboren wurde", sagt Schwencke, "das wäre doch etwas prekär."

© SZ vom 26.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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