USA:Alles auf Zucker

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Woher kommt eigentlich der Ahornsirup? Aus den Wäldern von Burr Morse und seinen Kollegen in Vermont.

Von Dieter Wulf

Ein schönes Wort haben sie gefunden für das, womit sie sich hier, in den Wäldern von Vermont, an den letzten Tagen des Winters die Zeit vertreiben: Sugaring. So nennt man im Nordosten der USA das Verfeinern des Ahornsaftes zu Sirup. "Wir sind hier sogar im Epizentrum des Sugaring", erklärt Burr Morse, denn nirgendwo in den USA wird so viel Ahornsirup produziert wie in Vermont. Jetzt, wenn der Saft aus den Wurzeln wieder in die Äste steigt, werden die Bäume angezapft. Überall hängen dann die typischen Metalleimer, in denen sich die kostbare Flüssigkeit sammelt.

Es gibt nur wenige große Firmen, die Ahornsirup herstellen. Die meisten Produzenten sind Kleinbauern wie Burr Morse, der etwa 3000 Bäume besitzt. Allein in Vermont gibt es an die 2500 solcher Ahorn-Bauern. An den Waldrändern stehen überall kleine Holzschuppen, jetzt im Frühling steigt Rauch aus den Schornsteinen auf. Sugar Houses heißen diese kleinen Brennereien, wo der Baumsaft zu Sirup verdickt wird.

Burr Morse führt durch sein Sugar House, durch das während der Herstellung des Sirups Dampfschwaden wabern. "Dieser Geruch ist einmalig", sagt Morse, "süßer Baumsaft ist Teil meiner DNA, einfach himmlisch." Wegen des langen Winters in diesem Jahr konnten sie erst spät mit der Sirupherstellung beginnen. Mitten im Raum steht der Verdampfer, ein großer Behälter, in dem der Baumsaft so lange gekocht wird, bis der Zuckergehalt durch Verdampfen des Wassers auf 67 Prozent steigt. "Ahornsirup ist purste Natur", sagt der 70-Jährige.

Der Legende nach stießen die Ureinwohner Neuenglands auf einen Baum, dessen Ast nach starkem Schneefall abgebrochen war, sodass Baumsaft herauslief. Als sie damit einen Rehbraten zubereiteten, entdeckten sie durch Zufall das süße Geheimnis des Ahorns. "Und wir haben das von ihnen gelernt", sagt Burr Morse. Bereits im 17. Jahrhundert stellten seine Vorfahren Ahornsirup her; Familientradition in neunter Generation. Heute besitzt die Familie die Morse Farm. Im Verkaufsraum steht, natürlich, der Sirup. Dazu anderes Handgefertigtes aus der Gegend. Der Parkplatz vor dem Haus ist riesig. Pro Jahr, erzählt Morse, machten 400 Busse hier Halt. Aber die kommen nicht im Frühjahr. Die Attraktion für die meisten Touristen ist die "Foliage", die Herbstzeit, wenn die Ahornwälder sich rötlich färben.

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(Foto: Jim Cole/AP)

"Sugar Houses" heißen die kleinen Brennereien, in denen der Sirup produziert wird.

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(Foto: Ty Wright/Bloomberg)

Für einen Liter Sirup braucht man 40 Liter Baumsaft.

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(Foto: David Duprey/AP)

Plantagen gibt es nicht. Der Saft wird in Eimern gesammelt,...

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(Foto: Toby Talbot/AP)

...die man zum Ende des Winters an die Bäume hängt.

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(Foto: New Hempshire PR)

Und dann wird der Saft so lange gekocht, bis er eindickt.

Fastfood-Ketten brauchen sie hier in der Abgeschiedenheit der Grünen Berge nicht

Morse Farm liegt nur ein paar Kilometer außerhalb von Montpelier, der Hauptstadt des Bundesstaates Vermont. Das kleine Städtchen ist idyllisch gelegen, mit seinen alten Häusern, kleinen Geschäften und Bäckereien entlang des Flusses Winooski. Nur ein größeres weißes Gebäude mit goldener Kuppel, eine Miniversion des Kongressgebäudes in Washington, erinnert daran, dass hier Politik gemacht wird. Mit etwa 8000 Einwohnern ist Montpelier die kleinste Hauptstadt eines US-Bundesstaates. Besonders stolz ist man hier offenbar auch darauf, die einzige US-Hauptstadt ohne McDonald's zu sein. "Für so etwas haben wir einfach keinen Platz, und mit geschickten Regeln haben wir's geschafft, solche Läden hier rauszuhalten", sagt John Dumville, der in der Verwaltung für historische Gebäude zuständig ist.

Montpelier ist nur einer von etlichen kleinen Orten mit französisch klingenden Namen in der Region. Die Namen gehen jedoch nicht auf französische Siedler zurück, sondern auf den Dank der Amerikaner für die Unterstützung der Franzosen gegen die Engländer im Unabhängigkeitskrieg. So, wie sich auch der Name des Bundesstaates vermutlich aus dem Französischen herleitet: Monts Verts, grüne Berge. Und tatsächlich fährt man in Vermont fast überall durch eine wunderbare Berg- und Hügellandschaft. Jetzt zur Sirupernte aber präsentiert sich die Region vielerorts noch im letzten Weiß.

Richtung Norden geht es über kleine gewundene Seitenstraßen in das Bergdorf Stowe - zur Trapp Family Lodge. Das Berghotel im Blockhausstil erinnert an die Alpen - und an die österreichische Adelsfamilie von Trapp, die vor den Nationalsozialisten flüchtete und in die USA auswanderte. Einige Jahre zogen die Trapps dort singend durchs Land, bevor sie sich in Stowe niederließen. Eine Geschichte wie für Hollywood gemacht - verfilmt in dem Welterfolg "The Sound of Music". Heute wird die Lodge von dem jüngsten der Kinder, dem 76-jährigen Johannes von Trapp, geführt.

SZ-Karte (Foto: tzh)

Auch hier in Stowe steht zum Ende des Winters alles im Zeichen des süßen Baumsaftes. Zusammen mit Chris Poucher, der für die Lodge historische Touren anbietet, geht es mit Schneeschuhen etwa zwei Kilometer den Berg hinauf in den Sugar Bush der Farm. So heißen die Waldstücke der Sirupbauern. Auch hier gibt es nirgendwo Plantagen. Der Zucker-Ahorn, eine Art, die man nur in Nordamerika findet, wird lediglich angezapft, nicht angebaut. Manche dieser Bäume sind mehrere Hundert Jahre alt. Chris Poucher und seine Kollegen haben etwa auf einem Meter Höhe kleine Metallhaken in die Bäume geschlagen. Mindestens 40 Zentimeter Durchmesser muss der Stamm haben, damit man ihn anzapfen kann. Normalerweise wird ein Haken gelegt. Ganz alte Stämme, die so dick sind, dass selbst lange Männerarme sie nicht umfassen können, werden auch mit zwei Haken angezapft. "Drei verwenden wir aber nie", erklärt Poucher. "Wir wollen den Baum ja nicht stressen." Über eine kleine Rinne läuft der Saft in die Eimer, sobald es nachts geringe Frostgrade hat und untertags etwa vier bis sechs Plusgrade. Dann müssen die Eimer mehrmals täglich geleert werden. "Da spürt man jeden Muskel, von dem man noch nicht mal wusste, dass man ihn hat", sagt Poucher. Für einen Liter Sirup werden 40 Liter Baumsaft benötigt.

Die Touren zu den Bäumen gehören zum Hotelkonzept. Man begibt sich mit den Gästen buchstäblich in die Fußstapfen der Trapp-Familie, die das Areal 1942 gekauft hat und seitdem hier Sirup produziert. Die meisten der amerikanischen Sirupbauern sind mittlerweile jedoch längst auf modernere Methoden umgestiegen. Mit Hilfe von Unterdruck wird der Saft aus den Bäumen gesaugt und in große Container geleitet. Da der Sirup als gesunder alternativer Süßstoff immer beliebter wird, verdoppelte sich die Zahl der angezapften Bäume in Vermont in den vergangenen zehn Jahren. Pro Jahr werden allein in Vermont 240 Millionen Liter Baumsaft zu sechs Millionen Litern Sirup verkocht.

Auch im benachbarten Bundesstaat New Hampshire, im Ort Andover, gibt es Sirup-Spezialisten. Hier betreibt der deutsche Koch Pecco Beaufays zusammen mit seiner Frau Gail das Highland Lake Inn, ein kleines romantisches Bed & Breakfast in einem Farmhaus aus dem Jahr 1767. Bevor Beaufays 1980 in die USA kam, hatte er im Hotel Sacher in Wien gelernt. Später betrieb er jahrelang ein Restaurant in der deutschen UN-Vertretung in New York. Seine jetzige Adresse könnte passender kaum lauten: Maple Street. Tatsächlich stehen riesige Ahornbäume direkt vor seinem Haus. "Die wurden am Ende des Unabhängigkeitskrieges gepflanzt", erzählt er. Sie müssen also etwa 230 Jahre alt sein, und natürlich hängt auch an jedem dieser Bäume ein Eimer. Ahornsirup sei einfach fantastisch, schwärmt Pecco. Rindfleisch bestreicht er vor dem Grillen gern damit. Dieser Geschmack, würzig und dennoch süß, passe auch perfekt in die deutsche Küche, ist er überzeugt.

Entlang dieser alten, knorrigen Ahornallee führt ein staubiger Feldweg zu dem Sirup-Erzeuger Tucker Mountain Maple. Eric Johnson wartet schon in seinem Sugar House. Gestern waren die Temperaturen endlich richtig. Der Saft läuft aus den Bäumen, der Verdampfer ist angeheizt, und im ganzen Raum riecht es betörend süß. Johnsons Hauptberuf ist die Forstwirtschaft, aber sein Herz hängt am Sugaring. "Wir wollten unseren Kindern, als die noch ganz klein waren, die Natur erklären. Deshalb haben wir angefangen, den Sirup herzustellen", erzählt Eric Johnson. Es wurde dann ein bisschen mehr draus. Heute bewirtschaften Eric und seine Frau Heidi Johnson etwa 1 200 Bäume.

Das "Sugaring" bringt Freunde zusammen. Für manche ist das besonders wichtig

Mit ihrem Sirup haben die Johnsons in den vergangenen Jahren etliche Preise gewonnen. Das Sugar House wurde immer größer. Nur der letzte Umbau hatte nichts mit dem wirtschaftlichen Erfolg zu tun. Bei Eric wurde 2012 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) diagnostiziert, eine unheilbare Nervenkrankheit, die ihn bald schon in den Rollstuhl zwingen wird. Schon jetzt sind seine Sätze manchmal abgehackt, er muss langsam sprechen. Vieles funktioniert nur noch, weil Freunde die Familie unterstützen. Er und seine Freunde haben sein Sugar House so umgebaut, dass er auch im Rollstuhl alles dort bedienen kann. Aber auch darum gehe es ja beim Sugaring, sagt Eric: "Man sitzt am Ende des Winters in seinem Sugar House, die Freunde kommen vorbei, man brennt Sirup und redet über Gott und die Welt."

Dann dreht er an einem Hahn, heißer Sirup rinnt in einen Bottich. "Das ist unser Gold, das Gold von New Hampshire, direkt aus unseren Bäumen." Für Eric ist es offenbar auch eine Medizin, die ihn glücklich macht. "Ich mache das hier bis zum Ende meines Lebens", sagt er und lacht.

© SZ vom 21.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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