Unterwegs im Kaukasus:Hier gehen die Kuckucksuhren anders

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Aserbaidschan ist ein wunderschönes Land in Osteuropa mit einem sehr speziellen Faible für alles Deutsche. Ingo Petz hat sich drei Monate in der Kaukasusrepublik bewegt und darüber ein etwas anderes Reisebuch geschrieben.

Matthias Kolb

sueddeutsche.de: Herr Petz, warum sollte man nach Aserbaidschan reisen?

Viel Meer und vertrauensvolle Nachbarn: Klicken Sie auf die Karte, um Aserbaidschan näher kennenzulernen (Foto: Foto: Droemer Verlag)

Petz: Natürlich ist Aserbaidschan nicht unbedingt was für Pauschalreisende, aber es ist nicht nur ein Ziel für Menschen, die sich eine eigene Ölquelle zulegen wollen. In der Sowjetunion waren die Strände Bakus ein sehr populäres Reiseziel.

Als klassische touristische Gründe für eine Reise würde ich aber nennen: Die Altstadt Bakus, die alte Handelsstadt Scheki im Kaukasus, die Seidenstraße und überhaupt der Kaukasus mit seiner großartigen Landschaft. Der Bildungsbürger wird dort sicher seine Freude haben. Aserbaidschan hat eine ziemlich komplizierte Geschichte. Außerdem habe ich gehört, dass das Land unter Vogelkundlern ziemlich hoch im Kurs stehen soll.

Man sieht also: Es gibt sehr viele gute Gründe, in den Kaukasus zu reisen. Mein Buch "Kuckucksuhren in Baku" ist aber kein Reiseführer im klassischen Sinne.

sueddeutsche.de: Worum geht es dann in dem Buch?

Petz: Ich beschreibe darin das Reisen im Kopf. Es geht darum, die Atmosphäre im Land und in einer solch schnellen Stadt wie Baku zu beschreiben.

Häufig ist es ja so, dass Klischees - also Kriminalität oder Korruption - die Leute davon abhalten, in diese osteuropäischen Länder zu fahren und die Menschen dort wirklich kennenzulernen. Natürlich stimmen einige dieser Klischees, das will ich nicht leugnen. Aber ich bin mir sicher, dass man diese Länder interessanter machen kann - indem man spannende, skurrile und auch komische Geschichten erzählt.

sueddeutsche.de: Wie sind Sie durch das Land gereist?

Petz: Ich habe drei Monate dort gelebt und bin jeden Tag Taxi gefahren. 30 Minuten Fahrt kosten nur 1,50 Euro, egal wo man hin will. Auch Ausflüge kann man damit sehr gut machen und zugleich lernt man die spannendsten Menschen kennen.

Jeder fährt dort nebenher Taxi, weil es die einfachste Möglichkeit ist, Geld zu verdienen. So habe ich Professoren, Arbeiter und Bauern kennengelernt. Und auch Leute, die angeblich früher beim KGB gearbeitet haben. Die haben mich mit Geschichten überschüttet - manchmal wollte ich sie gar nicht mehr hören, sondern nur noch weglaufen.

sueddeutsche.de: Welche Sprachen helfen dem Reisenden, das wunderschöne Aserbaidschan kennenzulernen?

Petz: Die Antwort ist ganz leicht: Aserbaidschanisch. Nein, Spaß beiseite. Wenn man Russisch kann, kommt man gut klar und man kommt auch auf dem Land von A nach B oder kann einkaufen. Die jungen Leute lernen Englisch, aber das ist mitunter recht mühsam.

Baku ist ja eine Ölstadt, in der viele ausländische Geschäftsleute leben, die ihre eigenen Kneipen und Restaurants haben. Dort kommt man auch mit Englisch durch.

sueddeutsche.de: Ein durchgehendes Motiv des Buchs ist die Auseinandersetzung mit Deutschland und dem Deutschsein. Offenbar sind Sie permanent auf Deutsches gestoßen. Wie muss man sich das vorstellen?

Petz: Das passierte auf drei Ebenen: Erstens wird man immer mit den in Osteuropa gängigen Klischees konfrontiert. Das heißt Deutschland als reiches, sauberes Land, in dem alle tolle Autos fahren. Vor allem BMW und "Märcädäs" finden alle Aserbaidschaner toll.

Das nervt ziemlich und ich habe versucht, das zu kontern, indem ich etwas vom modernen Deutschland erzähle - also von Schwangerschaftsgymnastik für Frauen, zu der auch die Männer mitgehen. Aber wie man sich vorstellen kann, waren die Aserbaidschaner nur selten dran interessiert.

Die zweite Ebene sind deutsche Glücksritter, die in Baku leben, teilweise schon seit mehr als zehn Jahren. Die kamen kurz nach der Unabhängigkeit und man fragt sich, was die Leute anzieht. Ich glaube: Diese Stadt lockt mit ihrer Unordnung Leute an, die auf der Suche nach einer gewissen Freiheit sind. Freiheit kann hier auch bedeuten, dass man Wege nehmen kann, die man in Deutschland nicht gehen kann.

Ich spreche nicht von krimineller Energie, aber es sind mitunter etwas zwielichtige Gestalten, von denen man gar nicht weiß, was sie eigentlich tun. Sie sagen nur, sie machen Geschäfte. Ich habe dort auch Leute getroffen, die planen, nach Kabul zu gehen. Solche Leute und deren Geschichten faszinieren mich und deswegen spielen die eine wichtige Rolle im Buch.

Aserbaidschan
:Ein Land, das es wirklich gibt

Die Kaukasus-Republik Aserbaidschan liegt am Schwarzen Meer und wird von wenigen Touristen besucht. Der Journalist Ingo Petz über seine Erlebnisse in Aserbaidschan das vergnügliche Buch "Kuckucksuhren in Baku" geschrieben. sueddeutsche.de zeigt seine Reiseeindrücke - versehen mit nicht ganz ernst gemeinten Beschreibungen des Autors.

sueddeutsche.de: Und was ist die dritte Ebene?

Autor Ingo Petz trifft alte Bekannte auf der Straßenpromenade von Baku (Foto: Foto: Ingo Petz und Droemer Verlag)

Petz: Anfang des 19. Jahrhunderts sind Schwaben auf das Territorium des heutigen Aserbaidschan ausgewandert. Die meisten sind unter Stalin nach Kasachstan und Sibirien deportiert worden. Ich habe mich auf die Suche nach dem letzten Kaukasus-Deutschen gemacht und ihn wirklich gefunden.

Der lebte in einem kleinen Dorf mit ordentlichen Holzhäusern und kleinen Vorgärten am Ende der Welt - und das ist der Kaukasus ja in der deutschen Perspektive. In seinem Wohnzimmer hat er Gegenstände aus 150 Jahren schwäbischem Leben zusammengetragen und er spricht auch noch ein paar Versatzstücke deutsch. Das war sehr skurril. Die Geschichte steht auch im Buch und war der eigentliche Auslöser für das Buch.

sueddeutsche.de: Wie ist das Buch entstanden?

Petz: Ich reise seit mehr als zehn Jahren durch Osteuropa, habe in Russland studiert und schreibe vor allem über Weißrussland. 2003 habe ich mich für ein Stipendium beworben und konnte drei Monate in Aserbaidschan leben. Dann erschien der Artikel in der Süddeutschen Zeitung über den Kaukasusdeutschen und daraufhin rief mich eine Lektorin an.

sueddeutsche.de: Was kann man beim Reisen durch Osteuropa lernen?

Petz: Mich hat es vor allem gelehrt, gelassen zu sein. In Wolgograd stand ich einmal eine Stunde am Bahnhof in der Schlange an, um mir ein Ticket zu kaufen. Als ich dran war, schaute ich mich die Frau hinter dem Schalter und sagte: "Die Tickets für Ausländer gibt es da drüben."

Ich drehte mich um und die andere Schlange war noch länger. Aber ich habe die Zähne zusammengebissen, bin einfach rübergegangen und habe mich angestellt. Ähnliche Dinge sind auch in Aserbaidschan passiert. So etwas hilft einem auch in Deutschland sehr, wo alle Menschen in jedem Problemchen Anzeichen für den Weltuntergang sehen.

sueddeutsche.de: Auch wenn das Buch kein Reiseführer ist, können Sie ja ein paar persönliche Tipps geben. Was ist denn noch hilfreich in Aserbaidschan?

Petz: Trinkfestigkeit ist nie verkehrt, wobei ich in Aserbaidschan weit weniger Wodka getrunken habe als in Weißrussland oder Russland. Es gibt in Aserbaidschan sogar einen netten Spruch: "Im Koran steht, dass wir keinen Wein trinken sollen, also trinken wir Wodka."

Das sagt natürlich einiges über die Rolle des Islams aus: Wie in der Türkei gibt es eine Trennung zwischen Staat und Religion und die islamische Tradition der Sowjetunion trägt natürlich ihren Teil dazu bei. Überhaupt ist die Türkei der große Bruder und das westliche Vorbild für viele Aserbaidschaner.

In Aserbaidschan leben knapp acht Millionen Menschen; ein Viertel davon wohnt in der Hauptstadt Baku. Das Land lebt vor allem von den Einnahmen aus dem Ölgeschäft. 1846 wurde erstmals am Kaspischen Meer gebohrt und das schwarze Gold gefunden.

Mit 86.600 Quadratkilometern Fläche ist das Land etwas größer als Österreich. 1991 wurde die ehemalige Sowjetrepublik unabhängig und seit 1993 regiert die Familie Alijew das Land. 2003 wurde Ilham Alijew zum neuen Präsidenten gewählt - und folgte somit seinem Vater Heidar.

Ingo Petz: Kuckucksuhren in Baku, Droemer Verlag 2006, 256 Seiten, 16,90 Euro

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