"Unser schönes Autohaus":Der pure Wohnsinn

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Ein seekranker Jim Knopf und der Eimer voller Matsch: Was Eltern erleben, wenn sie zum ersten Mal mit dem Wohnmobil in den Urlaub fahren.

Alex Rühle

Das Wichtigste zuerst: Hängen Sie nie an der Tankstelle den Dieselschlauch in den Wassertank. Mag sein, dass es elf Uhr abends ist und Sie grell übermüdet sind. Mag auch sein, dass Benzin- und Wassertank direkt nebeneinanderliegen und ähnlich aussehen.

Kaum zu glauben, aber an diesen Orten fehlt einem plötzlich die Käsereibe... (Foto: Foto: iStock)

Und dass Sie ja nach einem halben Liter schon Ihren Fehler bemerken. Egal. Lassen Sie's trotzdem bleiben.

Ein halber Liter Diesel nebst aggressiven Dämpfen reicht locker, um das ganze Sanitärsystem, die Dusche und die Küchenspüle lahmzulegen. Vielleicht ließe sich das Missgeschick vermeiden, wenn Sie vorher die Betriebsanleitung des Hymermobils gründlich studieren würden. Aber dann kämen Sie gar nicht mehr los, die ist nämlich so dick wie die Bibel.

Das Zweitwichtigste: Als Radtouren- und Kleinzelt-geschulter Reisender kommt man doch im Traum nicht drauf, eine Käsereibe mitzunehmen, einen Föhn oder Lego für die Kinder. Mit dieser defensiven Pack-Askese aber verfehlt man das Wesen des Wohnmobil-Urlaubs schon im Ansatz, denn es geht dabei gerade darum, exzessiv zu packen, ja am besten seine ganze Wohnung mitzunehmen.

Auf dem Stellplatz in Siena stand neben uns ein Paar mit Hund, die hatten drei Körbchen dabei, eins für draußen, eins für drinnen und eins für die Nacht, weil "sonst maunzt er".

Allen, die jetzt die Nase rümpfen und sagen, der Wunsch nach einer Käsereibe im Urlaub sei Ausdruck reinsten Spießertums, sei gesagt, dass dieses ausgefallene Begehren tatsächlich rasch wieder vorüberging. Andererseits macht man mit so einem Wohnmobil eben die lebenstechnisch interessante Erfahrung, dass die eigenen Ansprüche parallel mit dem Raum mitwachsen, den man zur Verfügung hat.

So wie Dieseldämpfe in Sekundenschnelle bis in den hintersten Winkel des Wassertanks kriechen, breiten sich die Wünsche blitzschnell bis in die letzte leere Schrankecke aus: Mensch, hier hätten wir doch noch Lego einpacken können...

Wir waren ja selbst überrascht, als wir eines Abends, nach dem Bad in den warmen Schwefelquellen von Pitriolo, irgendwo im freundlichen Gehügel der Toskana, am Straßenrand Nudeln kochten und dann besagte Parmesanreibe vermissten.

Zwei Wochen Urlaub in einem geliehenen Wohnmobil, einem Hymermobil namens B654CL mit schickem Gasherd, Küchenzeile, Bad nebst Dusche und, oh schau mal: Wenn man das schmale Regal hier aufklickt, kommt ein Flachbildschirm rausgefahren, auf geschmeidig geölten Schienen.

Am besten thematisiert man da beim Abholen des Wagens nicht groß, dass man gar kein Auto hat und nur ab und an zu Ikea oder ins Grüne fährt. Mein lieber Herr Gesangsverein, sieben Meter, was für ein Schiff!

Da schwimmt man als Laie im eigenen Adrenalin über den Mittleren Ring. Und selbst am letzten Tag, nach 1500 Kilometer, fast schon wieder zu Hause, muss meine Frau mich zum grienenden Vergnügen einiger Profi-Camper noch aus marktplatzgroßen Parklücken rauswinken, als handle es sich um fahrtechnische Filigranarbeit.

Falls Sie den heimlichen Wunsch hegen, endlich mal all die Nachbarn kennenzulernen, mit denen Sie sich bislang immer nur höflich gegrüßt haben: Stellen Sie sich ein Wohnmobil vor die Tür!

Wir hätten die Markise ausfahren und ein Eiscafé eröffnen können während der Packvorbereitungen, so gesellig ging es rund um das silbrige Ungetüm zu. Einer sagte, er habe gar nicht gewusst, dass man ICE-Abteile jetzt auch einzeln kaufen kann, eine ältere, bislang eher reservierte Dame blühte förmlich auf und erzählte in Raten ihre Lebensgeschichte nebst ihrem innigen Verhältnis zu Marokko, und jeder, der vorbeikam, schaute kurz rein, zum Probeliegen, Spületesten, Schlaumeiern.

Ein Nachbar, der Autos nach Mali vertickt, sagte, wir müssten uns auf massive Fachsimpeleien mit anderen Mobilbewohnern gefasst machen - Spurbreite, Hubraum, "das wollen die alles haarklein wissen".

Stimmt nicht, keiner wollte irgendwas wissen.

Der Mobilist ist stimmungsmäßig anscheinend eher ein diskreter Selbstversorger. Ein holländisches Paar bedankte sich am Bolsenasee ausdrücklich dafür, dass wir uns nicht neben sie gestellt hätten. Oder liegt es daran, dass man mit kleinen Kindern aus der Reihe fällt?

Weit und breit, von München bis in die äußerste Maremma, wurden die Wohnmobile nämlich fast ausschließlich von älteren Paaren bewohnt.

Dabei eignen diese Autos sich eigentlich ideal für Kinderurlaub. Mit ihrer Liebe für Höhlen, Krusch und Spielzeughäuser finden Kinder so ein Wohnmobil von vornherein großartig: Alles ist so nah beieinander, man kann Betten hoch- und runterklappen, und überall diese interessanten Knöpfe, an die man zu Hause nicht rankommt!

Nett, dass sie uns mitnehmen

Noch bevor wir losfahren, kapern die Kinder das Auto, schiffen sich mit Jim Knopf und Lukas ein, um die Wilde 13 zu finden, machen danach einen Eisladen auf, ein mobiles Kasperltheater und eine Tierhöhle für den Grüffelo. Reine Großzügigkeit, dass sie zwischendrin die Türen wieder aufgemacht und uns noch mitgenommen haben.

Wir hatten Reiseführer über Umbrien, die Marken und Süditalien dabei. Da wir aber außerdem einen Fünfjährigen dabei hatten, dem schlecht wird, sobald man nur ausparkt, sind wir bloß bis in die Toskana gekommen, weil wir eben nur während des Mittagsschlafs oder spät abends gefahren sind.

Trotzdem haben wir wahnsinnig viel gesehen, gerade weil wir so gemächlich durch die Gegend gedümpelt sind wie ein fahrender Schrank: Kalterer See und die letzten Alpenklüfte; weißt du noch, die Pizza in der Poebene; der schwarze Sand am Bolsenasee. Der Blick über das verregnete Florenz. Die grünen Trommler in Siena.

Taubenjagen in San Gimigniano. Womit das Hauptargument für Kinderurlaub im Wohnmobil wenigstens ortsstatistisch angedeutet wäre: Eigentlich ist man mit Kindern im Urlaub so unbeweglich wie das Schiffswrack, das in der Bucht von Talamone seit Jahren im tyrrhenischen Schlick feststeckt.

Hier kommt man selbst als Vollbluttrödler, mit unserer Technik des Dümpelns und Verweilens, so weit rum, dass man im Nachhinein die Stationen durcheinanderwürfelt.

Trotzdem sind diese Gefährte anscheinend nur für die kinderlose Gesellschaft konzipiert.

Auf allen Bildern der Hymer-Prospekte sind ältere Paare zu sehen; und in den Texten wird nie auf familienkompatible Eigenschaften abgehoben, sondern stets der wohnlich-gediegene Wohlstand der Wagen hervorgehoben.

Die Firma schreibt über das unserem Wagen preislich nachfolgende Modell, die Neuentwicklung strahle in der Farbkombination Weiß/Metallic "souveräne Überlegenheit aus". Die wiederum ist noch nichts gegen die S-Klasse, die in den Farbtönen "Champagner und Smaragd" zu haben ist. Unser Fußboden changierte nach wenigen Tagen in den Farbtönen Apfelsaft und Granit, in allen Ecken lagen Gräser, Stöcke, Mineralien.

Was die Dinger nämlich noch angenehmer für Familien macht: Man kann beim Wiedereinpacken alles halbwegs durcheinanderschmeißen. Der Kofferraum heißt tatsächlich Garage.

Weshalb man selbst dem Sammeltrieb eines Fünfjährigen, der höchstens von zauseligen Direktoren naturkundlicher Museen übertroffen wird, keine Zügel anlegen muss: Muscheln, eingetrocknete Algen, überfahrene Käfer, alles muss mit. Na, dann kommt es eben mit.

Der Stock. Das Holz. Den Eimer voller Matsch.

"Und das Holz brauch ich auch!" "Aber Nicolas, du hast noch deine Gießkanne voller Seeschnecken und im Kofferraum liegt inzwischen Holz für ein ganzes Baumhaus." "Ich brauch den Stock aber für ein Schiff." Also noch den Stock.

Nicht zu vergessen der gelbe Eimer voller Matsch, weil: "Das ist Zement! Daraus bau ich den Käfern einen Zoo."

Die Gattung des Mobilisten zeichnet sich besonders durch rätselhaft intensive Häuslichkeit aus: Da fährt er Tausende Kilometer in ein fremdes Land und dann setzt er sich vor sein Auto und löst Kreuzworträtsel. Ob auf dem Stellplatz von Saturnia inmitten maigrüner Wiesen oder am Tyrrhenischen Meer: Kaum einer saß mal am Wasser, im Freien, im Wald.

Am Bolsenasee hat sich zwei Tage lang kein Mensch vorne auf dem schönen schwarzen Strand blicken lassen. Herrliches Wetter, die Luft funkelt silbrig überm See, aber alle sitzen sie vor oder gar hinter ihren Wagen. Kompensieren Menschen, die im Alltag als stille Mieter leben, derart ihre Eigenheimsehnsucht?

Fühlte sich umgekehrt unser Wohnmobil von uns vernachlässigt? Unterfordert? Das täte uns leid.

Zumal es ja nicht mehr hören konnte, wie Sophie am ersten Abend zu Hause, kurz vorm Einschlafen sagte, es sei so schade, dass wir nicht mehr "in unserem schönen Autohaus" schlafen.

© SZ vom 26.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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