Turin:Der Sponsor geht vor

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Wahrhaft olympische Preise muss bezahlen, wer die Winterspiele in Turin besuchen möchte.

Hans Gasser

Schneller, höher, weiter - das olympische Credo lässt sich ohne weiteres auf jene übertragen, die versuchen, den Athleten ihr Publikum zu verschaffen.

Die Stadt in den Alpen: Turin (Foto: Foto: AP)

Reiseveranstalter müssen nämlich auch ziemlich schnell sein und höher bieten als die Konkurrenz, wenn sie Hotelkontingente zu den Turiner Winterspielen bekommen möchten.

Und schließlich gehen sie auch noch ein äußerst hohes Risiko ein. Denn wegen der hohen Hotelpreise ist es nicht gewiss, ob die Planung aufgeht, es also genügend Menschen gibt, die bereit sind, auf den Tisch zu legen, "womit sie sich im Australienurlaub einen gebrauchten Kleinwagen kaufen könnten", so Tom Rostek von Dertour.

Der deutsche Reiseveranstalter hat die Generallizenz, in Deutschland Olympiatickets zu verkaufen und bietet dazu auch Reisepakete an.

Zwar verkaufen sich die Tickets nicht schlecht, ein Kontingent von 15.000 ist für Deutschland vorgesehen, 80 Prozent davon werden vermutlich an den Mann gebracht werden. Allerdings sage dies kaum etwas über gebuchte Pauschalreisen aus, so Rostek, der sich als Produktleiter für Dertour-Eventreisen um die Winterspiele kümmert. "Wir wissen nicht, wo die alle eine Übernachtungsmöglichkeit gefunden haben."

Jedenfalls ist es verständlich, dass viele vor den hohen Preisen kapitulieren: So kosten bei Dertour fünf Übernachtungen mit Frühstück in einem Dreisternehotel in Turin zu Beginn der Spiele im Doppelzimmer 790 Euro, gegen Ende, wenn Biathlon- oder Alpinskientscheidungen fallen, 980 Euro. Einzelzimmer sind fast doppelt so teuer.

Und im Club Med in den Bergen, den der Veranstalter jenen empfiehlt, die die Bewerbe in Sestriere, Bardonecchia oder Sauze D'Oulx sehen wollen, belaufen sich fünf Übernachtungen in der attraktivsten Zeit auf 2090 Euro. Anreise, Ticket und Essen müssen separat bezahlt werden.

Solche Preisexplosionen sind umso verwunderlicher, als das Interesse an Winterspielen generell viel geringer ist als an dem sommerlichen Pendant. Von einer Million Karten wurden bisher erst 600.000 verkauft.

Die Italiener planen erstens nicht lange im Voraus und zweitens hat die Wintersportbegeisterung deutliche geographische Grenzen. Südlich von Mailand interessiert sich kaum jemand für Eishockey oder Skispringen.

Bei den Sommerspielen in Athen sei die Unterkunftslage schon schlimm gewesen, sagt Rostek, "aber in Turin ist es nun extra krass". Das liegt einerseits daran, dass die Hotelkapazitäten für ein Großereignis mit einer Million erwarteten Besuchernviel zu gering sind.

Insbesondere gilt dies für die Bergortschaften, die zwei Fahrtstunden von der Stadt Turin entfernt liegen und die meisten der 84 Bewerbe beherbergen. Zudem werden 90 Prozent aller Betten vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) blockiert, der Rest bleibt den Reiseveranstaltern.

Sponsoren statt Touristen

Das IOC braucht die Zimmer für eigene Mitarbeiter, Funktionäre, Betreuer und vor allem für die Sponsoren. Deren Mitarbeiter und Führungskräfte stellen einen großen Teil des Publikums.

"Das Problem ist", so weiß Rostek aus Erfahrung, "dass die Olympischen Spiele immer mehr auf Sponsoren und somit internationale Konzerne ausgerichtet werden." Die normalen Besucher könnten oder wollten die extrem hohen Preise oft nicht mehr bezahlen.

Der Sportreiseveranstalter Vietentours arbeite denn auch vor allem mit Firmenkunden aus den USA, Japan und Skandinavien, sagt Projektleiter Frank Jungemann. Die beziehen die Eintrittskarten aus den nationalen Kontingenten und buchen Hotel und Transfer dazu. Das funktioniert gut, Geld scheint keine große Rolle zu spielen. Von den 1000 Gästen, die Vietentours nach Turin bringt, kommen nur 200 aus Deutschland. Mit Flug nach Turin kosten fünf Tage im Dreisternehotel je nach Zeitpunkt zwischen 1590 und 2290 Euro.

"Je nach den Stärken ihrer eigenen Sportler wählen die verschiedenen Nationen ganz unterschiedliche Bewerbe", sagt Jungemann. Bei den Deutschen sei es in diesem Jahr vor allem Biathlon und Langlauf, die Schweizer zögen Eishockey nunmehr dem Alpinski vor und die Japaner wollten vor allem Skispringen sehen.

Da manche Sportarten sehr gefragt sind, andere eher wenig, muss jeder, der eine Karte für einen A-Bewerb kauft, auch eine für eine B- oder C-Veranstaltung nehmen. Weil zwischen den Austragungsorten aber oft 30 und mehr Kilometer zum Teil recht schmaler Bergstraßen liegen, wurde bereits lange im Vorfeld ein Verkehrschaos befürchtet.

Mathematik der Busse

Zudem hat das Personal der Fluglinie Alitalia für den Olympia-Beginn am 10. Februar einen Streik angekündigt. Den Stau auf den Bergstraßen versucht das Turiner Organisationskomitee (Toroc) mit Shuttlebussen zu vermeiden. 700 Busse sollen von Oulx, das mit dem Zug erreichbar ist, in die anderen Orte weiter fahren. Privatautos sind gar nicht erlaubt.

Bei Tests wurde jedoch errechnet, dass pro Stunde maximal 350 Busse auf die Straße zwischen Oulx und Sestriere passen - ansonsten droht Stau. Überdies sollen täglich 69 Züge von Turin in die Berggebiete fahren.

Jene, die sich spät entscheiden und wenigstens ein, zwei Tage Winterspiele erleben möchten, können direkt beim Organisationskomitee (www.torino2006.org) Tickets kaufen, oder in Deutschland unter http://dertour-live.de. Da Reiseveranstalter zur Risikominimierung nur Fünf-Tage-Pakete anbieten, muss man sich für kürzere Zeiträume selbst um das Quartier kümmern.

Erfahrungsgemäß wird ein paar Wochen vor Beginn der Spiele ein Teil der vom IOK blockierten Zimmer wieder freigegeben. Das wird zwar auch nicht billig, aber unter www.jumbograndieventi.it kann man noch nach Restplätzen suchen. Die Deutsche Bahn bietet während der Spielezeit zwischen dem 10. und 26. Februar täglich direkte Nachtzugverbindungen von München nach Turin an. 13,5 Stunden dauert das und wer kein Zimmer gefunden hat, so meint die Bahn, kann ja am Abend nach der Sportveranstaltung wieder im Schlafwagen heimfahren.

© SZ vom 19.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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