Türkei:Der Feind an meinem Strand

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Mal haben die Badegäste zu viel an, mal zu wenig: Nach mehreren Zwischenfällen hat der Kulturkampf türkische Urlaubsorte erreicht.

Von Kai Strittmatter

Zu Anfang schien die Debatte mehr ästhetischer denn politischer Natur zu sein. "In meinem ganzen Leben habe ich so etwas Bizarres nicht gesehen", schrieb der bekannte Journalist Reha Muhtar vor einem Jahr.

Eine junge Muslimin in relativ züchtiger Badekleidung. (Foto: Foto: AFP)

Da war er als Urlauber an der türkischen Ägäis gerade Zeuge geworden, wie zwei junge Frauen von einer Yacht herunter ins Meer sprangen - bedeckt von Kopf bis Fuß, die Haare unter einer Kappe versteckt.

"Dumm, geschmacklos, seltsam"

Die Frauen gingen schwimmen, nicht tauchen: Sie trugen einen islamischen Schwimmanzug, der von ihrem Körper nur das Gesicht, die Hände und die Füße frei ließ.

"Dumm, geschmacklos und seltsam", nannte die Zeitung Hürriyet daraufhin diese für die Türkei relativ neue Schwimmmode, und schon da konnte man ahnen, dass der politische Streit nicht mehr weit war. Schließlich ist dies eine Republik, die den Frauen das Kopftuch in allen öffentlichen Gebäuden verbietet.

Über nichts streitet die Türkei so gerne wie über dieses Stück Tuch. Wie eine Frau sich anzieht, ist hier oft nicht nur eine Frage der Mode, sondern längst auch eine des politischen Standorts.

"Ein Lynch-Mob"

In diesem Jahr nun ist es so weit: Der Kulturkampf hat die Strände erreicht. Den Anfang machte der Bürgermeister der Stadt Antalya, Cem Burak Özgenc. Als er im städtischen Schwimmbad eine Frau im islamischen Badeanzug entdeckte, verbot er ihr, dort baden zu gehen.

Antalya ist einer der beliebtesten Badeorte in der Türkei. Vielen der mehr als vier Millionen Deutschen, die im vergangenen Jahr in der Türkei Urlaub machten, sind die Strände Antalyas schon so sehr Heimat geworden, dass sie mit Grimm auf den Einfall russischer Mitbader in den vergangenen Jahren reagierten.

Man darf annehmen, dass der Bürgermeister, besorgt um das liberale Image der Stadt, seinen Gästen den Anblick einer verhüllten Schwimmerin ersparen wollte. "Wir schreiten nicht nur ein bei den Verhüllten", sagte er später, "sondern auch bei den allzu leicht Bekleideten."

Waren in diesem Fall die Religiösen die Leidtragenden, so sollte es kurz darauf das andere Lager treffen: An einem Strand bei Izmir wurde nun ein Mädchen angegriffen - offenbar, weil es einen Bikini trug. Das Ungemach widerfuhr Gülden Aydin, einer Journalistin des Massenblattes Hürriyet, vor allem aber ihrer Tochter Ceren, einer Studentin.

Warnung vor den Strenggläubigen

Sie machten Ferien in der Sommerwohnung der Familie auf der Halbinsel Karaburun und wollten sich einen schönen Tag am Strand machen. Warnungen ihrer Familie, die Bucht werde seit drei Jahren zunehmend von streng islamisch bekleideten Familien besucht, ignorierten sie.

Der Polizei erzählte die Studentin Ceren später, am Strand habe eine islamisch bedeckte Frau ihre Tochter offenbar mit Absicht vor sie gesetzt und die Kleine ihr Geschäft verrichten lassen. Sie habe dann darum gebeten, dass die Frau bitte die Stelle sauber machen sollte.

So begann der Streit. Ein paar Männer in langen Badehosen kamen der islamischen Frau zu Hilfe: "Bist du hier die Hygiene-Direktorin, oder was?", hätten sie sie angeherrscht, berichtete die Studentin.

Dann habe ihr einer der Männer an die Brust gegriffen und geschrien: "Wir wollen hier keinen solchen Schmutz, der Bikini trägt." - "Das hier ist die türkische Republik", will die Studentin geantwortet haben: "Wenn es euch nicht passt, dann haut doch ab in den Iran."

Daraufhin kam es zu einem Handgemenge. Insgesamt 13 Angreifer, Frauen und Männer, seien auf sie losgegangen, erzählten Mutter und Tochter der Presse. Erst als sie in höchster Panik gerufen habe: "Ich bin Journalistin", hätten sie abgelassen.

"Es war ein Lynch-Mob", sagt die Mutter. Der Arzt stellte später Kratzer an Gesicht, Hals und Schultern fest. Polizei und Staatsanwalt von Izmir ermitteln.

Erschrockene Zeitungen

Die Zeitungen reagierten auch deshalb erschrocken, weil die Küste des Landes von solcher Bigotterie bislang verschont geblieben war. Die Türkei nennt sich seit ihrer Gründung 1923 eine säkulare Republik, auch wenn es nie zu einer echten Trennung zwischen Religion und Staat kam - weil sich der Staat nie getraut hat, die Kontrolle über die Religion aus den Händen zu geben.

Das staatliche Religionsamt in Ankara hat die Imame des Landes denn auch an die Leine gelegt und lässt sie einen gemäßigten Islam predigen. Und die Strände sind seit Jahren voll von Sonnenanbeterinnen - auch Türkinnen -, die Bikinis tragen, nicht weniger gewagt als jene, die man an der Cote d'Azur zu sehen bekommt. Eben erst feierte die New York Times den türkischen Ägäis-Hafen Bodrum als "neues Saint Tropez": ein schicker Hort der gepflegten Ausschweifung.

Die Prügelei von Izmir ist bislang ein Einzelfall, und doch bietet sie den Gegnern der Regierung willkommenes Futter. Das Land wird seit mehr als drei Jahren von der AKP regiert, einer gemäßigt islamischen Partei. Die AKP zeichnet sich selbst als eine Art CDU der Türkei: eine konservative Partei, der die Familienwerte ebenso am Herzen liege wie die Hinwendung zu Europa.

Die von der AKP entmachtete säkulare Elite jedoch behauptet, das sei alles Verstellung: In Wirklichkeit warte Premier Tayyip Erdogan nur darauf, die Türkei in einen Gottesstaat à la Iran zu verwandeln. Noch weiter geht die Vorsitzende des Frauenrates der Istanbuler Anwaltskammer, Aydeniz Tuskan: "Die AKP erntet, was sie gesät hat. Sie wollen es so weit bringen, dass die Frauen wie in islamischen Ländern alle Schleier tragen und gesteinigt werden."

Vorschlaghammer-Rhetorik

Solche Vorschlaghammer-Rhetorik wenigstens sparten sich die Zeitungen. Doch schwärmten die Reporter aus nach Izmir, um zu berichten, dass auf der Karaburun-Halbinsel schon mehrere Hotels sich der religiösen Klientel geöffnet hätten. Dass streng religiöse Frauen überhaupt schwimmen gehen, ist ja eine neue Sache.

Das hängt zusammen mit dem Aufstieg einer neuen islamischen Bourgeoisie - und machte die Geschäfte des islamischen Badeanzug-Herstellers Hasema-Tekstil erst möglich. Hasema rühmt sich, 2005 schon 25.000 seiner Ganzkörper-Anzüge verkauft zu haben. Heuer preist Besitzer Mehmet Sahin die gewagteren Modelle, wie jenes in Knallorange: "Wir hoffen auf ernsthaftes Interesse."

Die Zeitung Vatan druckte am Sonntag Fotos des "Club Asya" auf Karaburun, das vor kurzem erst in Besitz einer islamischen Bruderschaft übergegangen sei. Genüsslich merkte die Zeitung an, dass das Hotel unter dem Namen "Narcissius" einst einer berühmten armenischen Bordellmutter gehört habe, aus deren Hinterlassenschaft wohl auch zwei marmorne Venus-Statuen in der Lobby stammen.

Die doppelte Venus steht da noch immer. Bloß nicht mehr so wie sie der Künstler geschaffen hat: In Kalk getauchtes Tuch verhüllt nun die göttlichen Brüste. Ein Kopftuch, immerhin, meldet der Reporter, trägt sie keines.

© SZ vom 21.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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