Traunsee:Freibeuter der Berge

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Der Traunsee ist wie geschaffen für Kitsch, Kaiserschmarrn und k.u.k. Nostalgie. Was kaum jemand weiß: Er hat auch eine blutige Vergangenheit - einst sollen hier sogar Seeschlachten getobt haben.

Von Christian Döbber

Wenn die sommerliche Abendsonne den Traunstein glutrot färbt, ist Kuschelzeit im Salzkammergut. Auf den Parkbänken und Uferwiesen rund um den Traunsee versammeln sich die frisch Verliebten (und die, die es einmal waren) zur romantischen Bergschau. Auf der Seeterrasse von Schloss Orth, wo bis 2004 die Serien-Schmonzette "Schlosshotel Orth" gedreht wurde, liegen sich die Paare in den Armen. Am Geländer der Holzbrücke, die zum Wasserschloss führt, klicken die Liebesschlösser. Und wenn dann auf dem spiegelglatten See auch noch die Gisela auftaucht, jener schmucke Raddampfer, mit dem sich Kaiser Franz Joseph alljährlich zur Sommerfrische chauffieren ließ, ist sie perfekt, die schnulzig-schöne Heimatfilm-Kulisse.

Um die erste Jahrtausendwende sollen hier Seeschlachten getobt haben

Der Traunsee im Salzkammergut ist ein Ort wie geschaffen für Liebhaber von Kitsch, Kaiserschmarrn und k. u. k. Nostalgie. Beinahe unanständig nahe rücken einem die Berge hier zu Leibe - und sperren die Alltagssorgen gefühlt einfach aus. Touristen schätzen diese heile Welt - und wissen in der Regel nicht, dass das ach so schöne Gewässer eine ziemlich blutige Vergangenheit hat. Um die erste Jahrtausendwende nämlich soll es hier regelrechte Seeschlachten gegeben haben. Piraten hatten es auf das wertvollste Gut ihrer Zeit abgesehen: Salz.

Seeräuber mitten in den Alpen? "Das hat sich für mich angehört wie Wikinger in der Wiener Hofburg", sagt Manfred Schindlbauer. Der pensionierte Gymnasiallehrer und Hobbyarchäologe ist Experte für die Geschichte des Salzkammergutes. Als vor zwei Jahren das Filmteam eines österreichischen Privatsenders samt wild kostümierten Schauspielern an den See kam und eine ziemlich reißerische Reality-Doku in "Fluch-der-Karibik"-Manier drehte, rümpfte der Rentner noch die Nase. "Ich hielt das für einen schlechten Scherz, einen historisch inkorrekten obendrein", sagt Schindlbauer. Überall rund um den See hatte er schon gegraben und in Archiven gewühlt - und nirgends etwas gefunden, das die Existenz der angeblichen Freibeuter aus dem Salzkammergut plausibel gemacht hätte.

Historisch belegt ist, dass der Traunsee Jahrhunderte lang ein wichtiges Nadelöhr für den Salzhandel in Mitteleuropa war. Schon vor 7000 Jahren wurde das weiße Gold in den Stollen rund um Hallstatt und Ischl abgebaut. Über eine 40 Kilometer lange Soleleitung, entlang der heute einer der schönsten Wanderwege des Salzkammergutes führt, gelangte es in flüssiger Form nach Ebensee am Südufer. Dort wurde die Sole zu Blöcken gepresst und auf langen schmalen Salzzillen, die ein bisschen aussehen wie venezianische Gondeln, in Richtung Gmunden verschifft.

Die heute für ihre Keramik bekannte Stadt war bis Anfang des 20. Jahrhunderts das Zentrum des mitteleuropäischen Salzhandels. Den Reichtum, den der Rohstoff Gmunden einst bescherte, sieht man noch immer - an der von pompösen Bürgerhäusern gesäumten Esplanade zum Beispiel. Wo sich heute die Salzburger Hautevolee in den schicken Cafés an Kipferl und Aperol Spritz delektiert, schufteten Jahrhunderte lang die Salzträger - stets unter der Aufsicht des Salzamtsmannes, der direkt dem Kaiser unterstellt war. Aus Angst vor Industriespionage ließ er niemanden ins Kammergut ein- oder ausreisen. "Die Region war damals fast so isoliert wie heute Nordkorea", sagt Doris Murray, die Touristen durch die engen Gmundener Gassen führt. "Mit dem Unterschied, dass sie reich und gut versorgt waren. Eine Art goldener Käfig eben."

Den Salzherren dürfte ganz und gar nicht gefallen haben, was sich um die erste Jahrtausendwende weiter südlich im See, auf Höhe des heutigen Traunkirchen abgespielt hat. Wie ein Schwert schneidet der schroffe Johannesberg hier in den See hinein. Der Fußweg zum Gipfel raubt Manfred Schindlbauer den Atem, bremst aber nicht den Eifer des Historikers nach einem großen Fund. "Hier ist der Beweis", sagt er und deutet stolz auf eine unscheinbare Steintafel über dem Eingang zur Gipfelkapelle. "Dieser Berg, einst Schlupfwinkel heidnischer Seeräuber, ist jetzt dem hl. Johannes dem Täufer geweiht", steht dort auf einer Tafel, die ins Mauerwerk eingelassen ist. Schindlbauer muss sich erst einmal setzen für eine Rast. Dass der Johannesberg schon immer ein besonderer Ort war, dass hier in grauer Vorzeit Tier- und sogar Menschenopfer dargebracht wurden, wusste er. Aber die pittoreske Landzunge als Piratennest? "Das hat mich ganz schön aus der Fassung gebracht."

Doch schließlich leuchtet die Geschichte ein, die der Film "Die Salzpiraten vom Traunsee" freilich etwas dramatisiert erzählt. Am Fuß des Johannesbergs müssen sie gehaust haben, die heidnischen Freibeuter, die der Gottheit Baal huldigten und sich gegen jedwede Missionierungsversuche der mittelalterlichen Reichskirche zur Wehr setzten. Im Schatten der dicht bewaldeten Halbinsel lauerten sie mit ihren schlanken Zillen den schwer beladenen Salzschiffen auf, die hier, an der engsten Stelle des Sees, unweigerlich vorbei mussten. Deren Besatzungen waren chancenlos, ist sich Schindlbauer sicher. "Wer Widerstand leistete, ist abgesoffen." Nicht nur, weil der Traunsee mit knapp 200 Metern hier seine tiefste Stelle hat. "Die Salzherren haben auch darauf geachtet, dass ihre Schiffer nicht schwimmen konnten, damit sie ihre wertvolle Fracht nicht im Stich ließen."

Das einzige Indiz, die Inschrift an der Johannes-Kapelle, wurde Jahrzehnte lang übersehen

Mit ihren Raubzügen machten sich die Salzpiraten mächtige Feinde. Kirche und Könige bekämpften sie - bis sie wohl im Jahr 1020 in einer alles entscheidenden Schlacht untergingen. Als Symbol für den Sieg über die Wilden wurde das heutige Kloster Traunkirchen errichtet. Weil es bei verheerenden Bränden gleich zwei Mal vernichtet wurde, sind sämtliche Aufzeichnungen, welche die Existenz der Freibeuter wohl bestätigt hätten, verloren gegangen. Das einzige Indiz, die Inschrift an der Kapelle auf dem Johannesberg, wurde von Besuchern wie Einheimischen jahrzehntelang übersehen. Ihre Wiederentdeckung hat für Furore am Traunsee gesorgt. Lange stand der See touristisch im Schatten von Bad Ischl. Mit der Verklärung der "guten alten Kaiserzeit" zieht man dort Besucher aus aller Welt an. Und auch nach Hallstatt, wo Touristen in den gigantischen Salzwelten spektakuläre Bergmannsrutschen hinuntersausen, kamen schon immer mehr internationale Gäste als an den manchmal etwas verschlafen wirkenden Traunsee.

Den Stolz der Traunseer hat das jedenfalls nicht geschmälert. "Das Salz hat die Menschen hier geformt", sagt Doris Murray. Über Jahrhunderte waren Könige und Kaiser auf sie als Lieferanten des weißen Goldes angewiesen. "Sie ließen ihre Untertanen weitgehend unbehelligt, solange die Salzquelle sprudelte", sagt Murray.

Von der Obrigkeit lässt man sich am Traunsee auch heute noch nichts diktieren, ein bisschen rebellisch wie einst die Piraten sind die Leute hier noch immer. Anders lässt sich jene Anekdote nicht erklären, über die sich die Traunseer noch heute köstlich amüsieren: Als US-Milliardär Larry Ellison vor einigen Jahren während einer elitären Segelregatta unweit des Johannesbergs zur Jause anlegte, wurde er vom Wirt einfach nicht bedient. Der Grund: Ellison hatte ihn, den stolzen Traunseer, nicht gegrüßt.

Eine Ausstellung zum Salzhandel und den historischen Salzwegen gibt es im Kammerhofmuseum in Gmunden (http://museum.gmunden.at). Stadtführungen in Gmunden zum Thema Salz sind buchbar bei Doris Murray (www.nepomuk-tourguides.traunsee.at). Die Piraten-Halbinsel: In Traunkirchen lässt sich der Johannesberg am besten zu Fuß oder mit dem Elektroboot erkunden. Der historische Soleweg führt von Hallstatt bis nach Ebensee (www.hallstatt.net).

© SZ vom 29.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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