Timbuktu:Geschenke an die Finsternis

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Seit Jahrhunderten beflügelt der Name der Stadt die Fantasie der Europäer: Timbuktu ist noch immer so geheimnisvoll wie es der deutsche Afrikaforscher Heinrich Barth vor 150 Jahren erlebte.

Richard Fraunberger

Er litt an Fieber und Dysenterie, trank sein eigenes Blut, hungerte und darbte. Als ihn eine Gruppe Männer bedrohte, schoss er - wohl eher zur eigenen Beruhigung, als zur Demonstration seiner Macht - sechs Pistolenkugeln in die Luft.

Zwischen den Lehmmauern spielen die Kinder. (Foto: Fotos: Fraunberger)

Dieses Ereignis, schrieb Heinrich Barth später in sein Tagebuch, sei entscheidend gewesen für den weiteren Verlauf seiner Reise. Wer heute nach Timbuktu reist, braucht sich dem Gefahrenspektrum einstiger Entdeckungsreisen nicht auszusetzen. Auf der Fahrt in die legendenumrankte Stadt warten andere Hürden - und nach Ankunft, jede Menge Herren in blauen Gewändern.

Natürlich könnte man von Bamako, der Hauptstadt Malis, direkt nach Timbuktu fliegen. Aber mit dem Flugzeug am "sagenumwobenen Ende der Welt" anzukommen, ist vielleicht so reizvoll wie die Altstadtbesichtigung Prags im Auto.

Stattliche Preise

Andererseits der Tradition derer zu folgen, die wie Gordon Laing, René Caillié und Heinrich Barth Timbuktu erreichten, würde wohl angesichts der stattlichen Preise schwer zu bezahlen sein. Und wer hätte schon Zeit und Lust, wie ein verspäteter Afrikaforscher wochenlang auf einem Kamelrücken zu sitzen, sandige Fladenbrote zu kauen und zuzusehen, wie Einheimische im Jeep an einem johlend vorbeirauschen?

Mopti ist die wichtigste Hafenstadt des Landes. Sie ist nicht unbedingt eine Schönheit, aber das muss die Stadt auch nicht sein. Am hufeisenförmigen Hafen liegen uralte Pinassen, Pirogen und Lastkähne, und zwischen den Bretterbuden an der Hafenkante herrscht dichtes Gedränge und viel Geschrei. Mopti ist das Basislager für Timbuktu-Reisende.

Hier gibt es Jeeps, Boote, Flugzeuge, Reisebüros und hilfsbereite Fremdenführer, die am Hafen und besonders vor den Hotels patrouillieren. Es ist nicht leicht, einfach so am Fluss Bani entlang zu schlendern und in aller Seelenruhe die Salzplatten der Händler zu bewundern.

Immer sieht man Touristen von Helfern und Beratern eskortiert, die sie davor bewahren, in die falsche Richtung zu gehen oder von anderen Helfern und Beratern eskortiert zu werden.

Mali ist bitterarm, eine Arbeit muss sich jeder selbst besorgen. Nur Japaner schaffen es irgendwie, den Sonnenuntergang am Flussufer ungestört zu verbringen. So also ist Mopti.

"Nach dem Freitagsgebet, so Allah will."

Zwei Tage lang dauert es, am Hafen einen Platz auf einer der öffentlichen Pinassen nach Timbuktu zu bekommen. Platz gibt es immer, aber immer heißt es auch, ja, sie fährt und nein, sie fährt nicht, bis sich ein Kapitän findet, der endlich klare Worte spricht: "Nach dem Freitagsgebet, so Allah will."

Zehn Holzbänke, darüber ein gewölbtes Bastdach, ein Außenbordmotor und am Heck das integrierte Klo. Abfahrt morgen früh, Punkt neun Uhr. Drei Tage und zwei Nächte soll die Flussfahrt auf dem Niger bis nach Timbuktu dauern.

Jahrhunderte lang beflügelte nicht nur der Name dieser Stadt die Phantasie der Europäer. Besonders die Schwierigkeiten und Gefahren, den für Ungläubige verbotenen Ort zu betreten, rückten Timbuktu ins Utopische.

Alexander von Humboldt als Vorbild

Auch der 1821 in Hamburg geborene Heinrich Barth träumte schon als Junge von der legendären Stadt. Wie sein großes Vorbild Alexander von Humboldt wollte er Forscher werden. 1849 schloss er sich einer von der Anti-Slavery Society finanzierten englischen Afrikaexpedition an.

Man wollte die Sahara von Tripolis aus durchqueren und im Tschad engere Kontakte zum Königreich Bornu knüpfen. Als der Expeditionsleiter Richardson am Tschadsee einem Fieberleiden erlag, übernahm Barth die Führung und zog weiter nach Westen. Fünf Jahre lang versteckte der Deutsche seine Identität unter einer Tuaregtracht und erforschte, ganz auf sich gestellt, die Länder des Sahel. Seine Reisegefährten waren unterwegs längst gestorben.

Die ersten Stunden Flussfahrt verscheuchen die Gespenster Moptis. Der Niger, ein mächtiger Strom, 4.200 Kilometer lang und bis zu zwei Kilometer breit, fließt zäh dahin. Gelegentlich kommen uns Fischer in Pirogen entgegen, mehrmals sogar Pinassen mit dem Hausrat einer Familie auf dem Bastdach. Stühle, Kochgeschirr, Matratzen und Kleider, die in der Sonne trocknen.

Kinder winken. Ein weißer Vogel stiebt aufgeschreckt aus dem Ufergebüsch. Strohdächer kleiner Dörfer ziehen vorbei. Am Ufer sammeln Männer Reusen ein. Es fegt ein steifer Wind.

Nachts, kurz nach dem Eintritt in den Débo-See, hält der Kapitän, ohne jegliche Erläuterung, am Ufer eines Dorfes. Im Nu ist man von dreißig Kindern umzingelt. "Cadeau" sagen sie: Geschenk. "Non" sagen die Bootsreisenden und so geht das etwa eine Viertelstunde.

Der Dorfvorsteher kommt, schüttelt Hände, man unterhält sich, bis einer der Franzosen zum Kapitän herüberruft und fragt, wie es denn nun eigentlich weiter gehen soll. Wo schlafen? Wann essen? Der Kapitän zuckt mit den Achseln, als gehe ihn das alles nichts an. Er sei für den Transport und die Zubereitung des Essens zuständig, alles weitere müsse mit der "voyage agence", eben mit Ammadou geregelt werden.

Leben am großen Fluss: Familien sind mit ihrem ganzen Hausrat auf dem Boot unterwegs. (Foto: N/A)

Die Franzosen ergreifen kurzerhand die Initiative. Zwischen Reissäcken finden sich Zelte. Damit kann die Hälfte der Reisegäste notdürftig versorgt werden. Die übrigen schlafen auf der Pinasse und in einer vom Dorfvorsteher - gegen ein Geschenk - zur Verfügung gestellten Hütte.

Von Wegelagerern überfallen

Zwei Stunden nach der Morgendämmerung legt das Boot am Hafen Timbuktus, in Korioumé an. Schon vor der Ankunft Heinrich Barths hatte die kurze Wegstrecke zwischen dem Hafen und der Stadt einen schlechten Ruf. Wegelagerer machten sich mit Dolchen über Reisende her.

Heute geht es geordneter zu. Wer in Korioumé das Wunder vollbracht hat, sich mit dem Taxifahrer auf einen humanen Fahrpreis zu einigen, der muss auf halber Wegstrecke am Kontrollhäuschen der örtlichen Polizei anhalten und den Beamten erklären, warum er nicht mit dem Kauf einer "Timbuktu-Eintrittskarte" einverstanden ist.

Als Barth im September 1853 die Tore Timbuktus erreichte, war er bereits drei Jahre unterwegs. Er adaptierte schnell die einheimische Lebensweise, sprach fließend Arabisch, etliche Tuareg-Dialekte, Songhai, Fulani, Haussa, die Lingua franca Westafrikas - war von Einheimischen kaum noch zu unterscheiden.

Über das Aïrgebirge ritt er bis ins heutige Nigeria und gelangte an den Homboribergen entlang als dritter Europäer nach Timbuktu. Zur Begrüßung schritt ihm eine bewaffnete Schar Leute aus der Stadt entgegen. Um keinen Argwohn aufkommen zu lassen, ritt er geradewegs mit der Flinte in der Hand auf sie zu.

Visitenkarten statt Krummsäbel

Das hat sich zum Glück geändert. Nicht Krummsäbel werden einem entgegengestreckt, sondern jede Menge Visitenkarten.Timbuktu also: Karawanenstadt und Verwaltungssitz, 36.000 Einwohner, drei alte Moscheen, ein Tourismusbüro und eine Vergangenheit, die in Reisemagazinen und Reportagen zuweilen für verbale Paukenschläge sorgt: "Stadt der 333 Heiligen, gebaut aus Sand und Sonne. Rätselhaft, magisch, immer mystisch." Oder "Ein Kaff zerbröselnder Lehmhäuser, das schon so mancher bitter heulend vor Enttäuschung verlassen hat."

Die Legende von Timbuktus Reichtum und Glanz wurde um 1325 geboren, als der Herrscher des Songhai-Reiches Mali, Mansa Moussa, mit 8000 Sklaven und 60.000 Dienern im Gefolge, eine Pilgerreise nach Mekka unternahm. Er verschenkte so viel Gold, dass dessen Preis in Kairo für Jahre in den Boden sank.

Aufstieg zum Handels- und Kulturzentrum

Timbuktu stieg zum südlichsten Handels- und Kulturzentrum des islamischen Westafrika auf. Seine Universität genoss in der islamischen Welt einen hervorragenden Ruf. Die Ärzte Timbuktus führten bereits Augen-Operationen zur Behandlung des Stars durch.

Nach der Eroberung durch die Marokkaner, 1591, setzte Timbuktus Niedergang ein. Die Utopie Timbuktus ist dem Reiz der geographischen Isolation gewichen. Für ein paar Euro kann man sich die Spurensuche in den Gassen durch einen Stempel in den Reisepass bescheinigen lassen.

"Die Straßen Timbuktus sind meistens wenig belebt und bieten nicht das rege Treiben einer großen Handelsstadt", notierte Heinrich Barth. Das gilt bis heute, trotz der Geschäftigkeit der in blauen Gewändern gehüllten Männer. Bereits vor Stunden hat eine Gruppe Herren, das Gesicht bis auf die Augen vermummt, einen Belagerungsring um das Hotel gezogen.

Schwerter, Taschen und Kamele

Neben der Verandamauer dösen Kamele. "Ça va? Ça va." Man reicht sich die Hände. Die Männer, die sich als Tuaregs ausgeben, breiten innerhalb einer Minute ihre gesamte Produktpalette aus. Es gibt Tuareg-Schwert, Tuareg-Holzschachtel, Tuareg-Ledertasche und Kamele, die einen drei Kilometer hinter die Stadt vor ein Tuareg-Zelt bringen, in dem man sitzen und bei Tee den Sonnenuntergang bestaunen kann.

Die Abenddämmerung ist die beste Zeit für die tausend Winkel Timbuktus. Die harten Schatten der Mittagssonne haben sich aufgelöst, das Blau der Nacht senkt sich über die safrangelben Mauern. Aus den Türmen der Moscheen ragen Bauhölzer wie dunkle Stacheln. In den sandigen Gassen sitzen Männer in weiten Gewändern auf Stühlen und schauen den bleichen Männern und Frauen nach, die irgendetwas suchend, eilend an ihnen vorüberziehen.

Timbuktu ist klein, und außerhalb der Stadt gibt es im Umfeld von hundert Kilometern nur Sand und Sträucher. Tagsüber absorbiert Afrika das Licht der Welt. Nachts hüllt sich der Kontinent in völlige Finsternis.

Wenn es so etwas wie ein Geheimnis Timbuktus gibt, dann ist es die Nacht. Nirgendwo sonst ist es so stockdunkel und so schwer, den Rückweg zum Hotel zu finden.

© SZ vom 5.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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