Skihütten-Architektur in Hochgurgl:Balance auf dem Gipfel

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Der "Top Mountain Star" von Architekt Peter Schuck unterwirft sich der Bergwelt nicht, sondern fordert sie heraus.

Gerhard Matzig

Im Restaurant des feinen, mit fünf Sternen ausgezeichneten Hotels ,,Top Hotel Hochgurgl'' hängt ein Stich an der Wand. Darauf zu sehen sind eine kleine Kirche, zwei Ställe, eine Menge Schnee und eine einfache Inschrift: ,,Dorf Gurgl, der höchstgelegene Ort in Österreich''.

Das Bild ist die Chiffre eines Idylls und das Signum alpiner Einsamkeit. Es stammt aus dem Jahr 1876. Wer aber an dem Stich vorbei und aus dem Fenster schaut, um in einer Höhe von 2150 Metern die grandiose Bergwelt der Gegenwart in den Blick zu nehmen, der begreift auf Anhieb, dass sich die Region am Ende des Tiroler Ötztals mittlerweile dramatisch verändert hat. Das Idyll ist nun alles andere als einsam.

Das Kirchlein St.Leonhard gibt es zwar immer noch - doch den Schutzheiligen des Viehs müsste man inzwischen umschulen: zum Schutzheiligen der Skifahrer.

Die bescheidene Architektur der Kirche, die sich vor 131 Jahren noch so malerisch behaupten konnte, scheint nun im Klammergriff zweier Liftstationen gefangen zu sein. Stählern schiebt sich der aufgeständerte Lindwurmkörper der Hochgurglbahn auf der einen Seite heran; und auf der anderen Seite nehmen die heranschwebenden Passagiere eines Sechser-Sesselliftes potentielle Kirchgänger mit ihren Skispitzen aufs Korn.

,,St.Leonhard schütze unser Vieh'': Das ist auf dem Portal des Gotteshauses zu lesen. Aber der Heilige hat seine Gunst offenbar auch dem Skitourismus gnädig erwiesen. Das in der Tat herrlich gelegene Plateau wurde als Skigebiet Hochgurgl-Obergurgl zwar erst vor wenigen Jahrzehnten erschlossen, aber inzwischen wird es bereits auf der Hitliste der zehn besten Skigebiete der Welt geführt. Die Leute kommen gern hierher. Und sie kommen massenweise.

Der Preis dafür ist üblich. Er ist überall auf dem Terrain des immer noch boomenden Skizirkusses zu entrichten: Doppel-, Vierer- und Sechsersessellifte, dazu Gondelbahnen, Schneekanonen, Kinderclub, Funpark - bis hin zu jenen Hotels, die nur noch selten den ,,Enzian'' und dafür immer öfter den Begriff ,,Alpen-Wellness-Resort'' im Namen führen. Es ist laut geworden in den aufgerüsteten und zur Not sogar künstlich beschneiten Bergen.

Das wissen auch die Skifahrer und Hoteliers. Sie wissen, dass ihr ,,Naturerlebnis'' ohne die Kultivierung und Technisierung der Bergwelt kaum so komfortabel zu haben wäre. Der artifizielle Triumph der Maschinenära über die Natur ist nirgendwo so anschaulich wie in jenen Regionen, in denen schreiend bunt gepolsterte Skifahrer bequem auf die Dreitausender gehievt werden, um sich von dort oben als menschliche Lawinen in die umliegenden Täler zu ergießen.

Vielleicht bestehen die üblichen Skihütten in solchen Gebieten auch deshalb meist aus einer reinen Kulissenarchitektur: aus alten Holzskiern, die man an die künstlich patinierten Wände geschraubt hat; aus einem Pferdegeschirr, dessen Nutzen in zwei- oder dreitausend Metern Höhe fraglich erscheint; aus Heugabeln, Heiligenbildern oder Schützenscheiben.

Die Funktion solcher alpinen Indoor-Grotesken besteht offenbar nicht nur darin, dem Selbstbedienungsrestaurant samt ,,Only Cash Payment'' Hinweis eine räumliche Fassung zu geben - sondern auch darin, die Erinnerung an eine Bergwelt aufrechtzuerhalten, die wir einst ihrer Entrücktheit wegen erobert haben.

Die wie Antiquitätensammlungen hergerichteten Skihütten bemühen deshalb so angestrengt die Images eines längst untergegangenen Luis-Trenker-Jahrhunderts, weil sie uns mit der Wahrheit versöhnen müssen. Die Wahrheit aber ist: Die Magie der Berge ist uns schon längst abhanden gekommen.

Sie weiß sich auch in Hochgurgl fast nur noch in Zahlen auszudrücken: durch 110 Pistenkilometer, 23 Lifte, zwölf Loipenkilometer und endlose Winterwanderwege. Stündlich können hier bis zu 37000 Skifahrer von Gipfel- zu Gipfelglück geschaufelt werden. Die Alpen: Das ist im Grunde eine reibungsarme, funktionale Industrielandschaft, die allmählich auch die höchsten Gipfel überformt.

Mehr als nur eine weitere Attraktion

Genau hieraus speist sich aber die Bedeutung einer Sehenswürdigkeit namens ,,Top Mountain Star'', die mehr sein könnte als nur eine weitere Attraktion. Gemeint ist eine spektakulär gestaltete, kürzlich eröffnete Panoramakanzel, die der Münchner Architekt Peter Schuck dem Wurmkogl-Gipfel wie einen aufreizenden Balanceakt aufgesetzt hat.

In unmittelbarer Nähe zum Ausstieg der bis auf 3082 Meter Höhe führenden Sesselbahn erleben die Skifahrer nun nicht nur eine weitere Maßnahme zur beschleunigten Umsatzsteigerung, sondern endlich auch einmal ein irritierendes Moment der Entschleunigung, so abgenutzt dieser Begriff inzwischen auch sein mag.

Vordergründig lässt sich in der Panoramakanzel, die einen geradezu fernsüchtigen Rundblick über die Ötztaler Alpen bis zu den Dolomiten bietet, gut essen. Aber hinter- und untergründig wirkt die gläserne, licht und transparent erbaute Kanzel wie ein großes, Raum gewordenes Staunen. Ein Innehalten ist das, welches einen daran erinnert, wo man eigentlich ist: auf dem Berg.

Peter Schuck hat zusammen mit seinen glücklicherweise ehrgeizigen Bauherren, der Familie Alban Scheiber (die auch das Top Hotel Hochgurgl mit Umsicht betreibt), einen imposanten Ort geschaffen, der sich anders als die üblichen Skihütten-Imitationen der Bergwelt nicht unterwirft, sondern sie geradezu herausfordert. Und erstaunlicherweise ist ihr damit durchaus gedient.

Nach allen Seiten einladend

Schon von weitem macht der kleine, auf dem schmalen Fundament einer alten Schutzhütte errichtete und kaum mehr als zehn Meter im Durchmesser zählende Baukörper auf sich aufmerksam. Nach allen Seiten scheint die kreisrund um einen festen Versorgungskern organisierte Architektur einladend zu winken.

Der einfache, aber wirkungsvoll möblierte Zentralraum, in dem sich die wenigen Materialien Stahl, Glas und warmes Lärchenholz harmonisch ineinanderfügen, ist vollständig aufgeglast und durch eine rundum auskragende Terrasse behutsam von innen nach außen geschichtet.

Hier können sich die Gäste, die nebenan vom Sessellift ausgespuckt werden, um sogleich abzufahren, auf angenehme Weise bewirten lassen: Aber auch feine Speisen und erlesene Getränke können es nicht aufnehmen mit dem Genuss, den der 360-Grad-Panoramablick gewährt. Er macht aus einem typischen Skigebiet wieder eine einzigartige Bergwelt, die aus Königsjoch, Hochfirst oder Liebenerspitze, also aus Charakteren besteht. Und aus Größe, Anmut, Fremdheit.

Eine Begegnung in Würde

Nur ein paar Meter neben dem Top Mountain Star sind ein paar schmale, lose zusammengenagelte und inzwischen verwitterte Bretter zu sehen: ein Ausguck, den sich einst tapfere Bergsteiger errichtet haben, um die Welt in aller Stille von oben zu betrachten. Die Bretter wirken wie Knochenfunde einer untergegangenen Epoche. Wie die Künder einer Alpenschönheit vor dem Massentourismus. Aber eben dort lässt sich nun auch studieren, wie man den Bergen sogar heutzutage in Würde begegnen könnte.

© SZ vom 1.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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