Serie: Reisebegleiter:Der Weg des Samurai

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Auch Gefühle gehören ins Handgepäck: Es ist nicht unbedingt schlecht, die Angst mit auf Reisen zu nehmen - immerhin schützt sie davor, ins offene Messer zu laufen.

Helge Timmerberg

Reisende sind selten allein. Unterwegs begegnen ihnen andere, die ein Stück ihres Wegs mit ihnen teilen. Oder sie entscheiden sich von Anfang an, gemeinsam mit jemandem loszuziehen. Das ist oft schön, manchmal nur lästig. Immer aber führt es zu speziellen Situationen, in denen sich die Reisenden bewähren müssen und sich besonders intensiv kennenlernen. Am Ende sind es gerade die Reisebegleiter, die eine Reise unvergesslich machen. In dieser Serie stellen wir einige von ihnen vor.

Die Angst ist immer im Gepäck. Auch wenn die Reise ungefährlich ist. Dann ist es die Angst, nichts zu erleben. Das Abenteuer zu verpassen. Die Liebe. Die Inspiration. Die Sonne. Oder auch nur den Traum, den wir von der Reise gehabt haben. Natürlich kann man die Angst vor enttäuschten Erwartungen dadurch unterlaufen, dass man keine Erwartungen hat. Aber das ist nicht so leicht. Wer keine Erwartungen mehr hat, hat entweder resigniert oder ist wirklich aus dem Gröbsten raus. Ein Freund von mir, ein Yogi aus dem Himalaya, sagte immer:

"I am ready for everything", wenn ich ihn während unserer Wanderschaft durch das Annapurna-Massiv nach seinen Wünschen fragte. Ob wir weitergehen oder rasten wollen, essen oder schlafen, reden oder meditieren, noch eine Woche oder zwei oder ein ganzes Leben?

"I am ready for everything." Und nachdem ich mir das zwei Wochen angehört hatte, war ich sicher, dass er es nicht nur so meinte, sondern auch so lebte. Aber so weit bin ich nicht. Ich erwarte mir auch von der nächsten Reise noch ziemlich viel. Das wäre im Einzelnen:

1.die Prinzessin.

2.das halbe Königreich.

Damit sich diese Art Erwartungen erfüllen, muss der Reisende für gewöhnlich Prüfungen bestehen. Werfen wir also einen Blick auf die Route. Sie beginnt, wo der Nil ins Mittelmeer mündet, und endet am Kap der Guten Hoffnung, und obwohl man mit dieser Route nicht direkt das Schicksal herausfordert, weil sie weder durch Somalia, noch durch den Kongo führt und auch nicht durch den Südsudan, so führt sie doch durch den Nordsudan und über ein paar halb-koschere Grenzen (Äthiopien-Kenia/Uganda-Tansania), und da heißt es nüchtern sein und nüchtern bleiben, also keine Drogen, und Alkohol wirklich nur zu psycho-medizinischen Zwecken.

Die Nüchternheit ist ein Teilaspekt der Wachsamkeit, und die ist ein Teilaspekt der Angst. In Afrika wäre es unprofessionell, sich zu wünschen, keine Angst mehr zu haben.

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Es gibt die gute Angst. Und die böse Angst. Die böse Angst blockiert deinen Mut und deine Möglichkeiten. Die gute Angst dagegen bremst deinen Trieb, in offene Messer zu reisen. Die böse Angst ist ein Psychodämon und ein Seelengift, die gute Angst ist, wie der Schmerz, ein Warnsignal. Ohne sie wäre man auf dieser langen Reise durch Wüsten, Hochtäler, Savannen, Urwälder und Monsterstädte ziemlich bald erschlagen, erschossen, aufgefressen oder sonst wie tot, denn dort wartet die weltweit höchste Population freilaufender Bestien auf den dämlichen Touristen.

Der dämliche Tourist hat keine Angst vor Elefanten (weil er glaubt, dass sie grundsätzlich gutmütig sind), der dämliche Tourist vertraut afrikanischen Polizisten, der dämliche Tourist geht mit Mama Afrika ins Bett, und der saudämliche macht das ohne Präservative. Mit der guten Angst macht man das alles nicht, das heißt, die gute Angst ist das Wichtigste, was man dabei hat, und sie gehört ins Handgepäck.

Lieder gegen Schlangenbisse

In diesem Zusammenhang wird natürlich die Frage interessant, woran man die gute von der bösen Angst unterscheiden kann. Ein paar Beispiele. Die böse Angst möchte verhindern, dass ich in Uganda zu den letzten Berggorillas gehe. Die gute Angst würde das zulassen, aber unterbinden, dass ich ihnen in die Augen sehe. Für Menschenaffen bedeutet der direkte Blick in die Seele Aggression. Für Zuhälter und Hells Angels gilt dasselbe. Daher kenne ich das Prinzip.

Die böse Angst ist paranoid. Die gute ist informiert. Die böse sieht in der Nacht überall Schlangen, die gute weiß, dass die meisten nur Stöcke und Äste sind oder irgend etwas anderes, das nicht beißen kann, aber es durchaus auch ein paar echte Schlangen in der Gegend gibt, gegen die man sich durch laute Schritte schützt. Das vertreibt sie. Auch ein beherztes Lied.

Und noch ein Unterschied. Die böse Angst hypnotisiert. Die gute macht wach. Das heißt, die böse Angst gehört den Feiglingen. Die gute den Samurai.

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:Hilfe, wir landen!

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Eines meiner Lieblingsthemen. Die alten Krieger Japans. Super Typen, wenn auch ein bisschen stur. Ihr Leben war Kämpfen und Dienen. Dem Kaiser, dem Shogun, der aufgehenden Sonne. Sie konnten allerhand mit dem Schwert, dem Speer, dem Messer und der Faust, aber ihre wichtigste Waffe war die Wachsamkeit.

Es gibt eine Geschichte darüber. Ich weiß nicht, ob sie stimmt, aber nach meinen Erfahrungen mit ausstrahlenden Psycho-Energien könnte es durchaus so gewesen sein. Drei junge Samurai werden geprüft. Sie sollen durch eine Tür gehen, hinter der ein Angreifer mit gezogenem Schwert auf sie wartet. Sie wissen das nicht. Der erste öffnet die Tür, geht rein, kriegt nichts mit und verliert seinen Kopf. Der zweite spürt, nachdem er in den Raum getreten ist, die feindliche Energie, kann noch ausweichen und verliert nur einen Arm. Der dritte bleibt vor der Tür stehen. Und rührt sich nicht. Er spürt die Gefahr, ohne sie zu sehen. Mit diesem Grad an Wachsamkeit hast du mehr oder weniger nirgendwo ein essenzielles Problem, es sei denn, Gott schickt es dir, das Schicksal, der Zufall, der finale Moment. Aber das ist dann auch kein Problem. Denn: Das Wesen der Samurai ist die absolute Bereitschaft zum Tod.

Großes Scheitern ist besser als kleine Siege

Große Worte, gewiss, aber wenn es um die Angst geht, gibt es eigentlich keine anderen. Die Angst ist ein zu fundamentales Phänomen, um sie kleinzureden. Außerdem bedeutet die Bereitschaft zum Tod nicht nur die Bereitschaft zum körperlichen Ableben, sie bedeutet auch, für den Misserfolg einer Unternehmung bereit zu sein, für das Ende der Karriere, für das Scheitern einer Liebeserklärung, für das Aus einer Beziehung.

Die absolute Bereitschaft zum Tod bedeutet: keine Angst vor dem Verlieren. Man gibt alles, um den Kampf zu gewinnen, aber wenn es nicht klappt, ist es okay. Dann hat man wenigstens alles gegeben. Großes Scheitern ist besser als kleine Siege. Und das Lustige daran ist: Wer keine Angst vor dem Verlieren hat, verliert selten. Und wer noch dazu seine Grenzen kennt und akzeptiert, verliert fast nie. Ein guter Krieger zieht in keinen Kampf, den er nicht gewinnen kann. Das wäre kein Mut, sondern Blödheit, um es milde auszudrücken.

Um an einer dieser Partys teilzunehmen, die somalische Piraten feiern, nachdem sie ihr Lösegeld eingesackt haben, müsste ich eine Mischung aus Peter Scholl-Latour, Rambo und Bob Marley sein. Und so mische ich mich nicht. Also lasse ich es sein.

Ich gehe auch nicht allein in die Slums von Nairobi rein, die inzwischen gefährlicher als die Slums von Lagos und Johannisburg sind, und ebenso wenig werde ich es wagen, in einem Fluss zu baden, in dem Nilpferde schwimmen. Auch dafür habe ich zu viel (gute) Angst. Die hält nicht nur gesund, die ist auch gesund. Die böse Angst ist krank.

Kein Warnsystem, kein Radar, keine Mitte

Und, ach ja, es gibt noch eine pathologische Angst. Das ist zu wenig Angst. Menschen, die an ihr erkrankt sind, werden Spieler, Kriminelle, Draufgänger. Die sind nicht mutig. Sie wissen nicht einmal, was Mut ist. Weil sie nicht wissen, was Angst ist. Sie sind an zu wenig Angst erkrankt, wie andere an abgestorbenen Nerven. Sie haben kein Warnsystem mehr, keinen Radar, keine Mitte, die automatisch das Förderliche und Nichtförderliche sortiert, und diese Leute führen einen ständig in die Scheiße. Woran man sie erkennt? An den verrückten Augen.

Ja, es wird einige Verführer geben, die sich als Führer aufdrängen, einige Fressfeinde und falsche Freunde, einige Unwetter und weggeschwemmte Pisten sowie jede Menge abgelaufene Reifen, versagende Bremsen und Stoßdämpfer, die bereits vor einem Vierteljahrhundert ihren Dienst quittiert haben. Das in etwa sind die Prüfungen, die ich erwarte, und ich weiß natürlich auch, dass es genauso viele gibt, die ich nicht erwarte, auf diesem langen, wilden, heißen und atemberaubend schönen Weg zu meiner Prinzessin in Malawi. Denn die Managerin einer Dschungellodge ist das (nun nicht mehr) heimliche Ziel dieser Reise. Sie wartet auf mich. Hat sie gesagt.

Und nun frage ich mich: Wie viel Angst braucht die Liebe?

© SZ vom 27.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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