Selbst gezupft:Ein Kraut für alle Fälle

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Die Natur hat ein Teechen für beinahe jedes Wehwehchen: Auf Kräutersuche auf den Bergwiesen im Biosphärenpark Großes Walsertal.

Von Johanna Pfund

Gut 1500 Meter über dem Meeresspiegel, an der Grenze zwischen den beiden Vorarlberger Regionen Bregenzerwald und Großes Walsertal. Hier findet sich allerhand interessantes Gewächs auf den ungedüngten Wiesen, die sich steil hinaufziehen zu den Felsen. Hildegard Sperger kennt sich aus mit dem Lila, dem Gelb, dem Grün, das im Juni auf den Bergwiesen gedeiht. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sich die Walsertalerin mit Kräutern.

Wer sich dann allerdings eine ältere Dame mit weitem Mantel und wettergegerbtem Gesicht vorstellt, liegt daneben. Hildegard trägt Outdoor-Kleidung und blondes Haar und ist munter unterwegs. Im Hauptberuf ist sie Chefin des Hotels Faschina, das zum Alpenresort Walsertal gehört, und mit dem großen Haus auf dem Faschinajoch hat sie genug zu tun. Doch die Beschäftigung mit der Natur ist ihre Leidenschaft, und die hat sie weiterentwickelt. Aufgewachsen ist sie im Großen Walsertal. "Ich komme aus der Landwirtschaft und habe von der Familie viel gelernt." Sie ist auch nicht die einzige Frau im Großen Walsertal, die sich mit Kräutern beschäftigt.

Im neu eröffneten Hotel Schäfer in Fontanella etwa wird mit Kräutern gearbeitet. Einige Walsertalerinnen, meist Bäuerinnen, haben sich zudem zur Kräuter-Initiative "Alchemilla" zusammengeschlossen und bieten den Sommer über geführte Wanderungen an. Und wer nicht mitwandern kann, der kann im Biosphärenparkhaus eine Portion Walsertaler Sommer in Form von Tee oder Honig mitnehmen.

Biosphärenpark ist das Große Walsertal schon seit dem Jahr 2000. Eine Idee des Bürgermeisters Josef Türtscher, der die sechs Gemeinden mit ihren knapp 3500 Einwohnern überzeugen konnte, sich diesem UN-Programm anzuschließen. Dafür muss die Region Kernzonen ausweisen, in denen die Natur sich selbst überlassen wird, dazu Pflegezonen, die nachhaltig bewirtschaftet werden, und schließlich klar umgrenzte Entwicklungszonen. Im Großen Walsertal war dies wohl nur eine logische Entscheidung. Seit Jahrhunderten bewirtschaften die Walser, die im Mittelalter aus dem Wallis zuwanderten und sich das Recht ertrotzten, als freie Bauern zu leben, die steilen Hänge des V-Tals weitgehend nachhaltig. Die blühenden Frühsommerwiesen bezeugen, dass übermäßiges Düngen hier keine Tradition hat.

Schön gesund: die Gewächse der Bergwiesen. (Foto: Alpenregion Bludenz Tourismus)

Das schmeckt man im Tee. Zum Start in den regnerischen Kräuterwandertag serviert Hildegard Sperger erst einmal ihre eigene Mischung. Mindestens sieben verschiedene Zutaten seien darin, erzählt sie, manchmal auch neun, je nach Mischung. Schlüsselblumen oder Spitzwegerich zum Beispiel. Letzterer dient auch als jederzeit verfügbares Heilmittel. Wenn die Kinder der Gäste über juckende Mückenstiche klagen, zerquetscht die Hotelchefin Spitzwegerich und gibt die Blattmasse auf den Stich. "Das hilft."

Das ganze Jahr über sammelt Hildegard Sperger Kräuter, später in der Saison Beeren und Pilze. Für die Kräuterernte gilt: "Es sollte nicht regnen, und am besten ist es, man geht gegen Mittag, wenn die Blüten weit offen sind." An diesem Junitag entdeckt sie Schlüsselblumen weiter oben, dort, wo noch vor Kurzem Schnee lag. Wunderbar, denn die Schlüsselblumensaison ist ja eigentlich vorbei. Am Wegesrand weist sie auf eine Besonderheit hin, die aber nicht in den Tee kommt: Lebendgebärendes Rispengras. Winzige Grasbüschel hängen an den Rispenenden. Später werden sie abfallen und direkt wurzeln. "Je nach Höhenlage", erklärt sie. Weiter unten vermehrt sich das Rispengras auf andere Weise. Ein eigenartiges Gewächs.

Wie Kräuter im weitesten Sinne verarbeitet werden, das sieht man in der Hütte, die auf dem Weg liegt. "Vielleicht ist der Ludwig da", meint Hildegard. Tatsächlich, Ludwig ist da. Wenn man ihn denn entdeckt in dem Dampf, der aus den Kupferkesseln aufsteigt. Ludwig käst. Drei Bauern liefern die Milch ihrer Kühe an Ludwig, den Senner, der zudem die Milch seiner eigenen Kühe mitverarbeitet. Das Ergebnis ist ein mehrfach ausgezeichneter Käse. Und wie macht man das? Ludwig sagt, er wisse es nicht. Aber Gefühl brauche man. Zum Beispiel im vergangenen Jahr, an einem warmen Tag, da habe er schon vormittags gewusst, dass das nichts wird. Aber das richtige Gefühl für die Zugabe von Lab und Salz, das spielt wohl auch eine Rolle.

Draußen hat mittlerweile der Regen aufgehört. Hildegard zeigt auf den Frauenmantel, auf dessen muschelförmigen Blättern sich Tropfen sammeln. Ein klassisches Frauenheilkraut, das sich auch gut im Bergkräutertee macht. Ebenso wie Minze. Weiter oben am Berg säumen knospende Alpenrosen den Weg. Ein zweiter Stopp, bei der Hütte von Franz-Josef Konzett. Noch ist Ruhe, die Sommersaison steht ja erst bevor. So gibt es einen Plausch mit Franz-Josef, bevor es wieder runtergeht.

Aber hat eine Hotelchefin Zeit fürs Sammeln? Hildegard lacht. Beim Kräuterernten bekommt sie oft Hilfe, wenn sie nach dem Mittagessen loszieht, dann schließen sich Gästekinder an oder die eine oder andere Bekannte. "Das ist eher Erholung, das mach' ich gerne." Viele Kräuter verwendet der Koch gleich direkt für Forelle im Kräuterheusud oder für gebeizte Saiblingsfilets mit Bergkräutern. Das Trocknen der Teekräuter übernimmt Hildegard selbst. Auch das der Pilze, die sie später im Sommer sammelt. Und wenn die im Hotel getrocknet werden, dann riecht es im Haus intensiv nach Steinpilzen. Man kann ja nicht nur Kräuter sammeln.

© SZ vom 23.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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