Risikoforscher:Die Gefahr liegt anderswo

Lesezeit: 1 min

Für den Berliner Risikoforscher Gerd Gigerenzer sind ängstliche Reaktionen auf die jüngsten Anschläge genau das, was Terroristen wollen - ein Grund, dagegen anzukämpfen und weiterhin zu reisen. (Foto: Dietmar Gust )

Ein Appell an den Mut der Urlauber: Gerd Gigerenzer über vermeintlich gefährlichen Urlaub und wirkliche Gefahr.

Interview von Jochen Temsch

Nach einem Jahr des Terrors haben viele Touristen das Gefühl, nirgends mehr sicher zu sein. Der Berliner Risikoforscher Gerd Gigerenzer hält das für überzogen und plädiert dafür, die Gefahren des Alltags realistisch einzuschätzen. Er ist Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin sowie des Harding Zentrums für Risikokompetenz.

SZ: Haben Reisende tatsächlich Angst ?

Gerd Gigerenzer: Ja, aber sie wird auch durch die Medien gesteuert. Die Angst hält so lange an, wie über die Anschläge berichtet wird, und dann vergessen wir sie. Das war bei BSE und Vogelgrippe so und gilt jetzt für die Terroranschläge.

Wie intensiv ist die Angst hierzulande?

Die Menschen reagieren unterschiedlich. Ich persönlich reise. Meine Frau ist in Paris, und sie ist Amerikanerin. In Europa sehen wir beide keine größere Gefahr als vor den jüngsten Anschlägen. Wir fahren ja nicht nach Afghanistan. Das Gefährliche am Reisen ist immer noch das Reisen an sich.

Sehen das auch die Urlauber so?

Es gibt durchaus Menschen, die Angst haben. Ich versuche sie zu ermuntern, diese Angst zu überwinden. Denn die Angst ist Teil des Zweitschlags der Terroristen. Es geht ihnen nicht nur um die direkten Opfer, sondern um die Destabilisierung einer Gesellschaft, die Bereitschaft, Überwachungsmaßnahmen zu akzeptieren, die Einschränkung unserer persönlichen Freiheiten.

Gelingt das den Terroristen?

Zum Teil. Das beste Beispiel für einen Zweitschlag war der 11. September 2001. Viele Amerikaner bekamen Angst vor dem Fliegen und stiegen auf ihre Autos um. 1600 Amerikaner sind auf den Straßen umgekommen beim Versuch, das Risiko des Fliegens zu vermeiden.

Wie könnte man es besser machen?

Man kann sich klarmachen, dass die ängstliche Reaktion genau das ist, was die Terroristen wollen. Wenn wir Angst haben, können wir auch eine andere Emotion zeigen: Mut. Es hilft manchmal, sich die wahren Gefahren vor Augen zu halten.

Zum Beispiel?

In Deutschland sterben alle zwei Wochen etwa 150 Menschen auf der Straße. Wer um sein Leben fürchtet, der sollte öffentliche Verkehrsmittel benutzen, nicht rauchen und während des Autofahrens keine Textnachrichten auf dem Handy lesen. Das sind tatsächliche Risiken.

© SZ vom 03.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: