Norwegen:Auf der Streif mit Sonja

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Volkswandertag mit der Königin: Norwegen feiert ausgiebig seine 100-jährige Unabhängigkeit von Schweden und die Königin macht eine Wanderung - begleitet von Tausenden.

Von Ingrid Brunner

An diesem Freitag, der eigentlich ein ganz normaler Werktag ist, sind in Reiseter, einer kleinen Gemeinde am Hardangerfjord mitten im Herzen Norwegens, alle aus dem Häuschen. Was für ein Outdoor-Volk wie die Norweger, die es auch bei Eiseskälte lieben, an der frischen Luft zu sein, eigentlich nichts Besonderes ist.

Die Königin (links) macht während der Wanderung eine Pause. (Foto: Foto: A. Antal, LMD)

Ganz Reiseter ist also draußen auf den Beinen, aber keineswegs aufgeregt, vielmehr in einem Zustand fröhlicher und zugleich entspannter Geschäftigkeit.

Die Kinder haben schulfrei, und wer es sich einrichten konnte, bleibt von der Arbeit zu Hause. Viele haben zur Feier des Tages ihre norwegische Tracht, den Bunat, angelegt.

Eisig-blauer Fjord

Auf der Dorfwiese sind Stände aufgebaut: gegrillter Lachs, Lammschinken, selbst gemachter Apfelwein, Ziegenkäse, Pflaumenkompott mit Sahne, Apfelkuchen.

Alles Spezialitäten aus heimischer Produktion für den Mittagssnack unter freiem Himmel mit atemberaubendem Blick hinunter auf den eisig-blauen Fjord oder hinauf auf die Ende April noch schneebeckten Gipfel.

Auch das Wetter spielt mit. Das Massenpicknick findet bei strahlendem Sonnenschein statt. Denn nicht nur die Dorfbewohner haben sich versammelt, nein, Tausende Menschen aus der gesamten Region Hardangerfjord wollen beim Großereignis dabei sein: Die Königin kommt, und sie kommt nicht nur auf eine Stippvisite kurz eingeflogen, um nach wenigen Minuten wieder zu entschwinden.

Schwindelerregend steile Hänge

Nein, ihre Majestät Königin Sonja kommt an diesem 22. April nach Reiseter, um auf eine Wanderung zu gehen - durch die grandiose Fjordlandschaft, die zugleich Kulturlandschaft ist.

"Garten Fjord-Norwegens" wird die Gegend um den Hardangerfjord auch genannt. Soweit das Auge reicht, krallen sich insgesamt um die 600.000 Obstbäume, ordentlich in Reihen gepflanzt, an die schwindelerregend steilen Hänge hinab zum Fjord.

Die Bauern brauchen gute Nerven und vor allem extra wendige kleine Spezialtraktoren, um bei dieser Neigung am Berg arbeiten zu können. Sie prägen die Landschaft, die heute Norwegens bedeutendstes Obstanbaugebiet ist.

Auch wenn Ende April die zahllosen Apfel-, Kirsch- und Pflaumenbäume gerade erst zaghafte Triebe zeigen und die Apfelblüte nicht vor Mitte Mai erwartet wird.

Man stelle sich die prachtvolle Obstblüte in dieser Kulisse vor: blauer Fjord, schneebedekcte Berge, rauschende Wasserfälle.

Wenn die Königin öffentlich wandert, kommen Tausende mit. (Foto: Foto: O. Puschmann, NIJOS)

Den kurzen Sommer machen die weißen Nächte wett, wenn die Sonne fast den ganzen Tag scheint. So reifen in diesem wohl nördlichsten Anbaugebiet Europas dennoch schmackhafte, resistente, lagerfähige Äpfel.

Aber wen kümmert jetzt, um 13 Uhr, die Obsternte, da die Königin eintrifft, in schicker Wanderkluft und in gelassener Stimmung, umringt von ihren Landsleuten und ganz ohne Berührungsängste.

Nach einigen norwegischen Volksliedern, einer Reihe von Begrüßungsreden, der obligatorischen Blumenstrauß-Übergabe steigt Sonja aufs Podium, erzählt, was ihr so am Wandern gefällt: die Bewegung an der frischen Luft, dass der Kopf ausruht und die Gedanken auf die Reise gehen, während die Füße einen weitertragen - meditatives Wandern also.

In gebührendem Abstand

Und los geht's. Die Königin setzt sich in Bewegung, und Hunderte, wenn nicht gar Tausende Norweger folgen ihr - in gebührendem Abstand, versteht sich. Kein Zweifel: Die Norweger lieben ihre Royals, aber sie erdrücken sie nicht mit ihrer Liebe.

Die königliche Familie ist volksnah, unprätentiös, und Sonja ist eine von ihnen, eine Frau aus dem Volk, die ihre Herkunft nicht vergessen hat.

Rührend, wie Sonja mit kleiner Entourage - auch der Landwirtschaftsminister ist mit von der Partie - und extrem unauffälliger Security da so vor ihren Landleuten hermarschiert. Kinder, Junge, Alte, Mütter mit Kinderwagen, bilden einen Zug, der sich immer bergab zwischen Obstbäumen, über Wiesen, durch Dörfer schlängelt.

Ein Schauspiel für sich: die Presse, die mal der Königin voraneilt, mal hinter ihr her rennt, mal neben ihr her läuft, das Mikro und die Kamera immer bereit, falls Sonja doch unerwarteterweise etwas sagen sollte. Fragen zuzurufen sei unerwünscht, wurden die Medienleute vorher informiert, aber man kann ja nie wissen, was sich ergibt.

Denn nicht irgendein beliebiger Wandertag ist dies, sondern einer, der durchaus historische Dimensionen in sich birgt, handelt es sich doch um den Auftakt zu einer ganzen Serie von Wanderungen, Streif genannt, die anlässlich der Hundertjahrfeiern im ganzen Land stattfinden werden.

Wanderungen der Geschichte

Hundert Jahre ist es her, dass Norwegen aus der Union mit Schweden ausgetreten ist. Per Volksabstimmung haben sich die Norweger damals mit überwältigender Mehrheit für eine Monarchie und gegen eine Republik entschieden.

Ein bedeutsames Jubiläum für die nationalstolzen Norweger, das während des ganzen Jahres mit einem dichten und vielfältigen Festprogramm gefeiert wird. Die Wanderungen sind da nur eine Aktion unter vielen anderen.

So richtig los mit der heißen Phase der Feierlichkeiten geht es am 7. Juni, dem Tag, an dem im Jahr 1905 die Union mit Schweden für beendet erklärt worden war.

Während im norwegischen Parlament, dem Storting, ein feierlicher Festakt stattfindet, feiert die Bevölkerung im ganzen Land eine "Volksparty". In der Festwoche wird das Nobel-Friedenscenter Norwegen in Oslo eröffnet und das Leipziger Gewandhausorchester wird ein Konzert in Oslo geben.

Weiterer Höhepunkt ist zweifellos die Eröffnung der Svinesundbrücke. Die Konstruktion überbrückt mit einer Spannweite von 247 Metern den Idefjord und verbindet Schweden mit Norwegen - quasi als ein Zeichen der Verbundenheit, im 100. Jahr der Trennung.

Insgesamt finden übers Jahr gesehen landesweit mehr als 500 Konzerte, Festivals, Ausstellungen, Austauschprogramme oder Seminare statt, zu denen auch Urlauber - nicht nur als Wanderer - herzlich eingeladen sind.

Ob die Königin dazu etwas sagen wird? Zur jungen Nation Norwegen, wie stolz alle Norweger auf ihr Land sind? Während der Wanderung ist dies jedenfalls nicht vorgesehen, da ist Hände schütteln mit Bürgermeistern auf dem Programm, Kühe und Pferde tätscheln, Kinder herzen, Bäumchen Pflanzen.

Gegen Ende der Wanderung, in der Gemeinde Nå, enthüllt sie an einem obeliskförmigen Stein eine kleine Gedenktafel. Den grob behauenen Stein haben die Menschen der Gegend vor 100 Jahren aus den nahen Bergen herausgeschlagen, unter Mühen und Gefahren heruntergeschafft und im Dorf zum Gedenken an die historische Wende aufgestellt. Eine schlichte Messingtafel erinnert nun an das Ereignis.

Ganz ohne Applaus und Tschingderassa

Die Königin verharrt einen Augenblick respektvoll, aber ohne Pose, dann ist die Zeremonie vorüber. Kein Freudentanz, keine weihevollen Reden, kein Siegesgeheul - ganz ohne Applaus und Tschingderassa.

Zum Abschluss des Tages, quasi nach dem steineren Zeugen, noch ein wenig lebendige Zeitgeschichte: Königin Sonja trifft Gyda Opedal, 106 Jahre alt. In Ullensvang, auf der anderen Seite des Hardangerfjords sitzt die alte Dame im Rollstuhl - die Schiebegriffe links und rechts sind mit Norwegen-Fähnchen beflaggt - und wartet auf die Königin, die soeben dem königlichen Schiff MS Granvin entsteigt.

Gyda, eine einfache Frau, die ihr ganzes Leben hier am Fjord verbracht hat, hat zwei Jahrhundertwenden, eine Jahrtausendwende und zwei Weltkriege erlebt. Ein wenig schwerhörig ist Gyda geworden, und die Beine machen nicht mehr so mit. Aber geistig ist sie noch rege.

Die Gedanken einer Königin

Sie war sieben Jahre alt, als Norwegen unabhängig und Haakon VII. König wurde. Sie erinnert sich noch an die Unionsauflösung 1905. Damals galt ihre Hauptsorge ihrem Vater: Sie fürchtete, er müsse in den Krieg ziehen.

Aber nun geht die Königin auf sie zu, begrüßt sie herzlich, ohne Berührungsängste, ohne Allüren plaudert sie mit Gyda ein wenig, hält sie an den Händen, drückt sie zum Abschied an sich. Von der Begegnung sagt Gyda: "Es war ein ganz nettes Gespräch mit einer wunderbaren Königin."

Worüber sie mit der Königin gesprochen habe, wollen die Reporter später von ihr wissen. Das aber will Gyda nicht preisgeben: "Das geht nur die Königin und mich etwas an."

Ob die Königin an diesem "Volkswandertag" den Gedanken freien Lauf lassen konnte? Wohl eher nicht, zum meditativen Wandern war das vollgepackte Programm eher nicht geeignet. Aber sie nahm es heiter und gelassen - und was sie gedacht hat an diesem Tag, tja, das geht nur die Königin etwas an.

>>> Informationen auf der folgenden Seite

Informationen:

Der Hardangerfjord liegt drei Autostunden von Bergen entfernt.

Anreise: täglich mit LH oder SAS nach Oslo, von dort weiter nach Bergen, mit dem Bus zum Hardangerfjord

Norwegisches Fremdenverkehrsamt: www.visitnorway.com, www.fjordnorway.com, www.hardangerfjord.com

Unterbringung: Hotel Ullensvang, www.hotel-ullensvang.no

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