New Orleans:Der Blues einer alten Stadt

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Nach dem Hurrikan "Katrina" kehren die Touristen nach New Orleans zurück, auch die großen Festivals sollen wieder gefeiert werden. Doch vieles ist nicht mehr so wie früher.

Jonathan Fischer

Selbst aus der Luft zeigt die Stadt ein neues Gesicht. Beim Landeanflug auf New Orleans leuchten Tausende blaue Rechtecke. Es sind keine Swimmingpools, sondern die Planen, mit denen die Katastrophenhelfer zerstörte Dächer notdürftig gegen das Wasser von oben versiegelt haben.

Die Rhythmen der Nacht werden in New Orleans den zahlreichen Jazz und Blues Clubs überlassen. (Foto: Foto: Reuters)

In manchen Bezirken reflektiert jedes zweite Haus die Sonne auf seiner Plastikversiegelung. Denn das Licht über dem Mississippi-Delta ist noch immer so gleißend wie eh und je.

Sonst aber liegt ein merkwürdiger Schleier über der Stadt, und das selbst im Garden District, wo nichts überflutet wurde, die prächtigen Kolonialvillen unversehrt stehen, und auf den ersten Blick nur die vielen Müllsäcke, ausrangierten Küchengeräte und abgebrochenen Äste am Straßenrand irritieren.

Faustregel der Armut

Doch schon beim zweiten Blick - oder dem Befahren einer der weniger noblen Nebenstraßen - wird klar, dass es auch in Uptown vor allem die Ärmeren getroffen hat. Faustregel: Je weniger prestigeträchtig das Haus, umso eher ragen Holzlatten aus dem Dach, liegen eingestürzte Ziegelmauern auf der Straße, hängen windschiefe Balkone vor eingedrückten Fensterscheiben.

Das "Creole Gardens", eine der wenigen wiedereröffneten Herbergen im Garden District, hat zumindest die Fassade bewahrt. Die Bananen und Palmen auf dem Innenhof sind etwas zerrupft. Ansonsten strahlt das traditionsreiche Bed and Breakfast immer noch den kolonialen Flair aus, der einst Millionen Besucher nach New Orleans lockte: antike Möbel, Spitzenvorhänge, gedrechselte schmiedeeiserne Balkone, Zimmer, deren Einrichtung den einstigen Edelbordellen der Stadt nachempfunden ist.

Noch aber fehlen die Touristen. Die meisten Betten sind von "vacuees" belegt. Das sind New Orleanians, die ihre Bleibe verloren haben und hier so lange ausharren, bis die neu geschaffene amerikanische Dringlichkeitsbehörde Fema (Federal Emergency Management Agency) eine neue Lösung für sie findet.

Verliebt in die Stadt

"Unser Bed and Breakfast lief so gut, dass wir das Nebenhaus dazugekauft haben", sagt Inhaber Andrew Craig, ein Bostoner, der sich einst bei einem Besuch des Jazzfestes in die Stadt verliebte. Er zeigt auf ein halb abgedecktes Ziegelgebäude. "Katrina hat uns um Jahre zurückgeworfen: Jetzt müssen wir erst einmal die Ruine wieder herrichten."

Dabei hat Craig noch Glück gehabt. Andere Hoteliers sind noch nicht einmal zu Aufräumarbeiten angerückt. Viele der Geschäfte im Garden District zeigen die Spuren der Plünderer: "Looters Suck" steht auf einer Schaufensterpuppe, zorniger Kommentar eines Modegeschäftsinhabers in der Magazine Street, der nur noch leere Schachteln aus seinem Laden räumen konnte.

"Kathleen Blanco" hat ein anderer Anwohner auf eine Halloween-Hexe an seiner Fassade gepinselt. So heißt die Gouverneurin von Louisiana. Viele geben ihr neben Bürgermeister Ray Nagin und der Fema die Hauptschuld an der schleppenden Hilfe nach Katrina. Auf der gesamten Einkaufsmeile des Garden Districts hat erst ein einziger Coffeeshop wieder geöffnet.

Schon um sieben Uhr morgens stehen die Menschen vor der Tür Schlange. Manche sind Contractors, mit Aufräumarbeiten beauftragte Auswärtige, andere suchen hier die wärmende Gesellschaft anderer Rückkehrer oder checken bei einem Fünf-Dollar-Cappuccino die Mails auf ihren Laptops. Die Preise haben kräftig angezogen. "Post-Katrina-Inflation" nennt es die örtliche Presse. Trotzdem murrt niemand. Jeder geöffnete Laden gilt als kleiner Sieg.

"Alle sind erstaunt, wie schnell sich das Leben hier wieder normalisiert." Christine De Cuir vom New Orleans Tourist und Visitors Bureau erzählt lachend, wie sie vor ein paar Wochen drei Damen mit Einkaufstüten im French Quarter erspäht habe. "Ich bin auf sie zugerannt und habe gefragt: 'Sind Sie Touristen?' - am liebsten hätte ich sie auf der Stelle umarmt."

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In New Orleans geht das Leben weiter - mit einem bezaubernden Südstaaten Flair wie eh und je.

Noch waren die drei Damen die Ausnahme. Dafür seien viele Freiwillige aus anderen Bundesstaaten gekommen, um beim Trümmerräumen zu helfen. De Cuir spricht von 500 wiedereröffneten Restaurants bis Dezember. Und davon, jetzt erst recht auf das traditionelle Erbe der Stadt zu setzen: So soll im Louis Armstrong-Park zwischen French Quarter und Treme District ein Museum und eine Freiluftausstellung zur Geschichte des New Orleans Jazz entstehen.

Auch der Wiederaufbau der zerstörten Häuser obliege strengen architektonischen Regeln. Niemand dürfe die historische Fassade von Big Easy beschädigen. "Die zerstörten Stadtteile sind nicht die Gebiete, in die sich normalerweise Touristen verirrt haben", sagt De Cuir. Die interessierten sich vor allem für Essen, Musik und das French Quarter.

Offizielle Wiedereröffnung

Eine Frage aber erhitzt die Gemüter der Stadt: Soll New Orleans als bloße Museumsfassade auferstehen? Mit einem French Quarter, das auch ohne das Hinterland der armen schwarzen Viertel auskommt? Christine De Cuir schüttelt entschieden den Kopf. Bürgermeister Ray Nagin habe von künftig 300.000 statt 500.000 Einwohnern gesprochen, die dann mit besseren Sozialleistungen, mehr Wohnungseigentum und einer gesünderen Umwelt rechnen könnten. Und diese Menschen bräuchten dringend den Tourismus als Einkommensquelle.

"Im Januar wollen wir die Stadt offiziell für Besucher wiedereröffnen. Spätestens zum Jazzfest und French Quarter Festival im April werden Tausende Musikfans in die Stadt zurückfinden." Und Mardi Gras? Der in den vergangenen Jahren überkommerzialisierte Karneval soll diesmal in einer abgespeckten Version mit "nur" 34 Krewes stattfinden.

"Beignets are back" verkündet eine Banderole vor dem "Café Du Monde". Seit kurzem wird hier, unter einer grünen Markise zwischen Jackson Square und Mississippi wieder serviert: Chicoree-Kaffee und in Schmalz gebackene "Beignet"-Krapfen.

Auf dem gegenüberliegenden Karree haben sich die ersten Kleinkünstler eingefunden. Ein Maler unter einem Strohhut bannt in groben Strichen die French Quarter-Kulisse auf seinen Block. Zwei Hippie-Typen verkaufen selbst gebastelten Schmuck. Und ein Handleser mit exotischem Kopftuch bietet seine Dienste an. Kundschaft gibt es noch kaum.

"Got Fema? Katrina"

Aber was kann man angesichts einer traumatisierten Stadt schon Besseres tun, als die alten Geschäfte wieder aufzunehmen? Überall Schilder: Personal gesucht. Die T-Shirtverkäufer haben ein neues Sortiment im Angebot: "Got Fema? Katrina" lauten die Aufdrucke oder: "Looters of New Orleans, home of the 5 finger discount".

Im Treme Distrikt haben sich in der St. Claude Street ein paar hundert Menschen zur ersten Second Line Parade nach Katrina versammelt. Sylvester Francis, ein selbst ernannter Stadtteil-Historiker, hat sie organisiert.

Trotz fünf schrecklicher Tage im Superdome und Wochen im Exil sprüht der Afroamerikaner vor Zuversicht: "Wir können Haus und Habe verlieren, aber wir dürfen niemals unsere Traditionen vergessen." Francis betreibt seit sechs Jahren im Gebäude eines ehemaligen Beerdigungsinstituts das Backstreet Cultural Museum. Sein Viertel gilt nicht nur als "America's oldest black neighbourhood".

In Faubourg-Treme schlägt auch seit jeher das kulturelle Herz des schwarzen New Orleans: Das Viertel hat Dutzende berühmte Jazzvirtuosen, Brassbands und Rhythm'n'Blues-Sänger hervorgebracht. Abseits des Touristenrummels der Bourbon Street treffen sich in heimeligen Spelunken wie der "Candle Light Bar", "Donna's", dem "Funky Butt" oder "Little People's Place" lokale Musiker zu hochkarätigen Jamsessions. Noch berüchtigter sind die Black Indian Tribes, die hier das ganze Jahr über ihre Tänze üben.

Sylvester Francis hat ihnen den größten Raum seines Backstreet Cultural Museums gewidmet: Ein Dutzend ihrer aus farbenprächtigen Straußenfedern und Perlen gestickten Kostüme dokumentieren eine lebensfrohe Prunksucht, die ganz im Gegensatz zum ärmlichen Leben der meisten Treme-Bewohner steht.

Tausende Dollars und monatelange Arbeit, erklärt Francis, steckten in den traditionellen Federgewändern. Jedes Jahr würden sie für den großen Showdown der Big Chiefs aufs Neue gefertigt. Die dazugehörigen afrikanisch-karibischen Chants und Tänze hat Francis auf mehr als 300 Amateurfilmen dokumentiert - wie auch die regelmäßig durch sein Viertel ziehenden Second Line Parades und Jazz-Beerdigungen.

Aus dem Müll gezogen

"Viele meiner Ausstellungsstücke wie Trommeln, Federschmuck und Second-Line-Uniformen habe ich sprichwörtlich aus dem Müll gezogen. Die Leute hatten vorher nie über den Wert dieser Dinge nachgedacht." Nach Katrina hat sein Museum an Bedeutung gewonnen: Die Flut hat viele historische Dokumente, Filme und Aufnahmen von New Orleans' afroamerikanischer Kultur weggespült.

Francis' Sammlung blieb trocken. Und hat gar Zuwachs bekommen: Viele Black Indians haben ihm vor der Flucht ihre persönlichen Memorabilia anvertraut.

Eine aus vielen Brassbands bunt zusammengewürfelte Musikertruppe setzt sich vor Francis Haus in Bewegung. Manche mit geliehenen Instrumenten, andere in unvollständiger Uniform. Doch das tut der Begeisterung der Second Line keinen Abbruch.

Im Rhythmus solcher Klassiker wie "Lil' Liza Jane" folgen die zurückgekehrten Nachbarn nebst zwei Dutzend weißen Lebenskünstlern aus dem French Quarter dem Wummern der Tuba. Sie tanzen zu donnernden Bläserriffs an windschiefen Häusern, ausrangierten Kühlschränken und zugenagelten Fensterhöhlen entlang. Sie schwenken bunte Sonnenschirme und springen johlend auf die Dächer der vom Sturm zerbeulten Autos. Die begleitende Polizeistreife lacht nur.

Auch für sie symbolisiert der Zug durch die einst von Drogenkriegen gebeutelten Armenviertel eine Abwechslung vom Katastrophen-Management. "Du sollst nicht töten" wurde an eine Hausfassade gepinselt. Doch seit Katrina ist die Kriminalität auf null gesunken.

"Wir haben jetzt die Chance auf einen Neuanfang", sagt Father Ledoux. Seine 1842 erbaute St. Augustine-Kirche ist nicht nur eine der ältesten afroamerikanischen Gotteshäuser überhaupt, sie verbindet auch beispielhaft katholische Frömmigkeit mit dem Geist des Jazz.

Das große Herz der Stadt

Porträts von Mahalia Jackson und Louis Armstrong hängen da neben Ölgemälden der heiligen Mutter Maria. "New Orleans hat ein großes Herz". Father Ledoux weiß, wie schwer es Außenstehenden zu erklären ist, dass Menschen, die alles verloren haben, freiwillig hierher in "Amerikas Armenhaus" zurückkehren.

Zumal die schwarze Community immer wieder zugunsten der Vororte und Touristenzentren zurücktreten musste: So zerschneiden heute die Betonbrücken des Interstate 10 das Treme, wo bis 1960 noch ein Eichenpark das Zentrum des Viertels markierte. Später wurde das historische Bordellviertel Storyville für einen städtischen Konzertsaal im Louis Armstrong Park eingeebnet.

In den vergangenen Jahren haben sich zunehmend kleine Hotels und Läden an der Grenze zwischen Treme und French Quarter angesiedelt. Für den Geistlichen der Anfang einer Wende: Er sehe zum ersten mal schwarze und weiße Gesichter, die sich als Nachbarn begrüßen.

Auch manche Touristenbusse hätten seine Kirche mit dem Grab des unbekannten Sklaven in ihr Programm aufgenommen. "Das wahre New Orleans kann nicht untergehen", sagt Ledoux, "und wir im Treme werden seinen Herzschlag vorgeben."

Informationen:

Anreise: Lufthansa, Air France, Delta Airlines, United oder US Airways und andere fliegen New Orleans überwiegend ab Frankfurt und München mit jeweils einem Zwischenstopp an. Hin- und Rückflug ab 732 Euro.

Unterkunft: Creole Gardens Guest House, 1415 Prytania Street, New Orleans LA70130, ca. 80 Dollar pro Nacht inkl. Frühstück, Tel.: 001/504/56 98 700, Internet: www.creolegardens.com, E-Mail: creolegardens@att.net

Weitere Informationen: New Orleans Convention And Visitors Bureau, Tel.: 001/504/56 65-003 oder -011, Internet: www.neworleanscvb.com

© SZ vom 15.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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