Neulich in Istanbul:Fackel am Ohr

Lesezeit: 3 min

Im neuerdings hippen Karaköy kann man sich beim nicht ganz so hippen Kuaför Tee für wenig Geld die Gesichts- und Kopfbehaarung im Zaum halten lassen. Als Hipster geht man mit dem neuen Haarschnitt allerdings nicht durch.

Von Hans Gasser

Hipster oder Salafist? Man kann die langen Bärte schon in München oder Berlin nicht immer eindeutig zuordnen, wie erst in Istanbul? Am besten funktioniert es noch anhand des Viertels, in dem die Bartträger unterwegs sind. In Karaköy etwa, dem Stadtteil gleich nördlich der Galatabrücke, wo immer schon Christen und Juden wohnten, verweist der Vollbart bei 90 Prozent seiner Träger eher auf Konsum als auf Koran. Besonders die Straßenzeilen zum Hafen hin befinden sich mitten in der Gentrifizierung. An jeder Ecke machen Cafés und Bars auf, in ehemaligen Schweißer-Werkstätten, natürlich alles im Shabby Chic, unverputzte Wände innen und Graffiti außen. Das ist hier relativ neu und so cool, dass ständig irgendwelche Modeshootings in den Gassen stattfinden.

Hier, denkt man, wenn nicht hier, wo dann, wird es doch einen Friseur geben, der das Vogelnest auf meinem Kopf in eine Frisur verwandeln kann, die einigermaßen cool aussieht. Und als die Hostelbesitzerin, die in München aufgewachsen ist und in den USA studiert hat, mir einen Friseur empfiehlt, habe ich ein gutes Gefühl. Das schwindet allerdings zusehends, als ich vor dem Laden stehe, der von außen nach klassischem türkischem Friseursalon aussieht, auch wenn neben dem Eingang ein Graffito prangt. Kuaför steht darüber und drinnen sitzen an einer langen Theke mit eingelassenen Waschbecken bereits mehrere Männer mit eingeseiftem Gesicht. Ihre Bartmodelle gehen eher in Richtung anatolischer Schnauzer. Die Gentrifizierung scheint hier noch nicht angekommen zu sein, was gut für das Viertel ist. Aber für meinen Kopf?

Was soll's. Der Haarschnitt ist überfällig und in München muss man eh wieder eine Woche auf einen Termin warten. Ich setze mich also rein, einer der beiden freundlichen Kuaföre bietet mir Tee an. Sprachlich wird es eine Herausforderung, denn die beiden sprechen nichts als Türkisch und ich kann nur Merhaba und teşekkür ederim, danke. Aber was heißt: Die Geheimratsecken bitte nicht freilegen und den Pony nach links und alles bitte nicht so kurz?

Da sitze ich auch schon auf dem Sessel und zwar nicht beim Chef, sondern beim Arbeitnehmer. Der wundert sich, dass ich meinen Fünftagebart nicht erst mal rasieren lassen will. Mit Handkantengesten versuche ich, den Schnitt zu skizzieren, der Kuaför nickt und dann legt er los. Was folgt ist ein mehrstufiges Kopf-Wellness-Programm, bei dem das Haareabschneiden eher nebenbei und recht rasant geschieht. Die Highlights: zweimaliges Haarewaschen, vor und nach dem Schneiden. Gesichtsmassage durch das Handtuch hindurch. Eiskaltes Haarwasser und längere Kopfhautmassage. Nasenhaare stutzen mit dem Elektrotrimmer. Ohrenhaare abfackeln. Ja, abfackeln! Als der Friseur ein größeres Wattestäbchen nimmt und etwas draufsprüht, denke ich mir noch nichts. Als er es mit dem Feuerzeug anzündet und die kleine Fackel an meine Ohren hält, dass es heiß wird und nach verbrannten Haaren stinkt, denke ich: Der wird das schon gelernt haben; falls nicht, brauche ich länger keinen Haarschnitt mehr. Aber natürlich kann der das. Die brennenden Härchen löscht er gleich mit einem Fingerdruck aus. Es tut immer nur kurz weh.

Die Männer rundherum schauen belustigt zu, zumindest bilde ich mir das ein. Und plötzlich wird mir klar, warum die meisten türkischen alten Männer - im Gegensatz zu vielen deutschen alten Männern - immer so gepflegt aussehen. Die gehen einfach zum Kuaför, der hier ein Rundum-Dienstleister ist und für wenig Geld die im Alter immer stärker wuchernde Gesichtsbehaarung im Zaum hält. Ich bekomme zum Schluss noch eine Schultermassage, die nicht ganz so gekonnt ist wie das Ohrenabfackeln.

Und dann der finale Blick in den Spiegel. Ui, schon sehr kurz und zackig. Als Hipster werde ich mit diesem Haarschnitt da draußen nicht durchgehen. Aber irgendwie fühlt es sich auch gut an, als wäre der Kopf grade durch das Intensivprogramm der Autowaschanlage gegangen. 30 türkische Lira verlangt der Chef. Das sind zehn Euro. Einen Teil der Differenz zum Münchner Friseurpreis reinvestiere ich sofort in ein opulentes türkisches Frühstück in einem schönen Café in Karaköy.

© SZ vom 16.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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