Mitten in Absurdistan:Ein Bier bitte, aber warm

Bei der Temperatur von Getränken kommen Deutsche und Kongolesen nicht zusammen. In Madrid scheitern deutsche Gutmenschen am Lärm. In Hongkong befeuern die Proteste die Ölmalerei.

SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt

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A passenger retouches her make-up as she waits on the platform during a morning rush-hour strike by metro workers in Madrid

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Madrid

Am Ausgang der Metrostation Gran Vía, der Prunk- und Protzmeile. Wer herauskommt, muss eine Metallschranke von sich wegschieben, sie knallt zurück auf einen Metallpfosten. Klick, klack, Dezibelwerte am Rande der Schmerzgrenze. Daneben steht ein Wachmann, er passt auf, dass kein Schwarzfahrer durch den Ausgang hineingeht. Klick, klack, tausend-, zweitausend Mal die Stunde. Bekümmert beobachten ihn zwei weibliche Gutmenschen älteren Semesters, erkennbar am grauen Bubikopf, dem Baedeker "Spanien - Norden - Jakobsweg" und dem Wörterbuch "Deutsch-Spanisch". Was heißt denn Gummipolster auf Spanisch?" Steht nicht drin. Aber Lärm: "ruido". Klick, klack. Eine der beiden geht zu ihm hin und fragt: "Macht der Lärm nicht krank?" Der Wachmann antwortet: "Ich verstehe Sie nicht, es ist so viel Lärm hier."

SZ vom 4./5. Oktober 2014

Thomas Urban

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Quelle: Photographie Peter Hinz-Rosin

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Mitten in ... Goma

Sand knirscht zwischen den Zähnen. Die Sonne sticht im Nacken. Die Zunge klebt am Gaumen. Seit Stunden laufen wir durch Hitze und Gestank. Jetzt ein Bier! Im Geiste rinnt das Kondenswasser an der Mass hinab, bildet Pfützen auf dem Tisch. Aber in Goma gibt es keine Mass. In der kongolesischen Stadt gibt es nicht einmal Strom, meistens jedenfalls nicht. Ohne Strom kein Kühlschrank, Bier mutiert zum lauwarmen Sud. Die Kongolesen stört das nicht, sie sind daran gewöhnt. Nach unserem Marsch durch Goma lade ich meinen einheimischen Kollegen auf ein Bier ein. Die Kneipe betreibt einen Generator und serviert kalte Getränke, wunderbar kalte Getränke! Wir bestellen, da ruft Jacques panisch dem Kellner nach: "Bitte warm!" Das, so erklärt er, müsse man hier ja sagen. "Sonst bekommt man so eine widerliche Eisbrühe." Prost!

SZ vom 4./5. Oktober 2014

Judith Raupp

hongkong

Quelle: SZ

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Mitten in ... Hongkong

Hongkong, Zentrum. Auf der Straße Tausende Bürger, die lautstark nach Demokratie rufen. Über die Straße führt eine Fußgängerbrücke. Die Vogelperspektive auf das Menschenmeer. Kamerateams haben sich hier am Geländer provisorische Studios eingerichtet, auf Pappkartons die Namen: neben Al Jazeera filmen BBC und AP. Nur in der letzten Pressebox steht keine Kamera, da steht ein Mann mit Palette und Leinwand und pinselt, was die anderen filmen: die Revolution. Das ist Perry, 48 Jahre alt, ehemaliger Kunstlehrer. "Das sind historische Tage", sagt er. "Ich will sie festhalten für die Nachwelt." Klar, sagt er, natürlich in Öl, in was denn sonst? Na, mit Foto- oder Filmkameras vielleicht, wie die anderen? "Deren Dateien sind leicht gelöscht", sagt Perry und tippt auf seine Leinwand: "Das hier bleibt bei mir, bis ich sterbe."

SZ vom 4./5. Oktober 2014

Kai Strittmatter

Codere SA Gaming As Company Plans Restructure Of One Billion Euro Debt

Quelle: Bloomberg

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Mitten in ... Las Vegas

Mein Sohn hat mal auf einer irischen Windhund-Rennbahn die Sieger der ersten beiden Rennen vorhergesagt. Sie hießen Fat Chicken und Lame Duck; trotz winzigen Einsatzes reichte unser Gewinn für einen netten Abend. Nun, auf Durchreise in Las Vegas, führte ich das Kind durch die großen Hotels, das Mirage und das Caesars, das Ballys und das Venetian. Der Junge war überwältigt von dem Prunk und dem Glitzer in den Casinos. Aber er schwieg. Erst hinterher, im Hotel, sagte er: Roulette, Papa! Setz all dein Geld auf die 21! Tags darauf machte ich mich allein auf den Weg ins Bellagio, in der Tasche eine ganz erhebliche Summe. Warum ich plötzlich feuchte Hände bekam? Warum ich nur einen einzigen, erbärmlichen Dollar auf die 21 setzte? Ich weiß es nicht. Jedenfalls hasste ich mich selbst, schon bevor sie fiel, gleich im ersten Spiel: die 21.

Josef Kelnberger

SZ vom 27./28. September 2014

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Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... Cumpadials

Das kleine Bahnhofslokal in Graubünden liegt abseits der Hauptstraße. Schade, denn was Nadja hier auftischt, schmeckt grandios. Das wissen die drei deutschen Motorradfahrer aber noch nicht, die Platz genommen haben. Sie sind auf der Heimreise aus Italien. Dampfende Pizokel und Polenta werden gereicht. "Alles okay", ruft einer der Biker, aus Hamburg kommt er, "aber diese Scheeeiiißpreise!" Die Wirtin hört es. Nun könnte sie den Gästen in den Hintern treten. Bündner sind nicht zimperlich. Doch Nadjas Rache ist süßer. Sie lädt zum Flämmli nach dem Essen, das ist ein Williams, der mit dem Restzucker eines Espresso flambiert wird. Bisschen kompliziert nach drei Weißbier. Der Hamburger kann den Schnaps auch beim vierten Versuch nicht anzünden. Macht es eben Nadja. Zur Beruhigung gibt's noch Wodka. Auf Kosten des Hauses.

Thomas Kirchner

SZ vom 27./28. September 2014

Bruck: Breze / Brezl / Brezn / Bretze / Bretzel

Quelle: Johannes Simon

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Mitten in ... Kirchseeon

Sind das Zeiten: Die duftende Breze in der topmodernen Selbstbedienungsbackwarenabteilung des Supermarkts ist zum Greifen nah, aber es fehlen, Herrgott, zwei Hände. Eine hält die Tüte, die andere eine Zange, aber vor dem Ziel stehen noch Hürden, die zu überwinden eine dritte und vierte Hand sinnvoll wären. Hürde eins ist eine Klappe, die das Breznfach beschützt, nach dem Öffnen sogleich zurück nach unten strebt und auf den Unterarm drückt. Die zweite Hürde lauert hinter der Klappe: zu kleinen Wünschelruten gebogene Metallstreben, die mit der Zange nach hinten gedrückt werden müssen - diese soll aber gleichzeitig die Breze packen. Ein Mitarbeiter erklärt die Existenz der sperrigen Stäbe so: damit niemand die Ware zurück ins Fach legt. Kundenservice 2014. Eine Frau schimpft: "Nächstes Mal gehe ich wieder zum Bäcker!"

Frank Nienhuysen

SZ vom 27./28. September 2014

Israeli soldiers gesture as they sit in front of the Mediterranean at Zikim beach near Ashkelon

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Zikim

Der Zikim Beach in Israels Süden ist ein echter Geheimtipp. Hinten liegen die prächtigen Dünen, vorn schaut man aufs Mittelmeer. Nur die Seiten sind etwas problematisch: Rechts ragen die Schlote eines Kraftwerks empor, links kommt gleich der Gazastreifen. Trotzdem ist der Strand vor allem jetzt im Spätsommer einen Ausflug wert, da muss man ihn nur mit dem Strandwächter und ein paar Rentnern teilen. Doch es kann passieren, dass plötzlich die Stille durchbrochen wird durch lautes Knallen. Einmal, zweimal, viele Male. Natürlich bin ich wieder der einzige der zuckt, die andern haben wahrscheinlich schon im 48er Krieg gekämpft. "Das ist nur die Marine, die in die Luft schießt, wenn die Fischer aus Gaza zu weit rausfahren", sagt einer. Der Strandwächter dreht die Stereoanlage auf. Jetzt hört man nur noch das Wummern der Bässe.

Peter Münch

SZ vom 27./28. September 2014

Waiter carries plates in 'Pedrini' restaurant in Porto Alegre

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Lastovo

Es gibt Tütensuppe, es gibt "of course pork steak" (was die Karte mit "Natürlich Schweinesteak" übersetzt), es gibt Dosenpfirsich mit Sprühsahne obendrauf. Man kann dem Hotel auf Lastovo, fünf Fährstunden südlich von Split, vieles vorwerfen: auch das alte Brot in der Früh, den Alleinunterhalter, die Menge von drei Strandliegen, welche aber exklusiv der Besitzerfamilie vorbehalten sind. Nicht jedoch, dass seine Kellner langsam wären. Abend für Abend stürmen sie mit der Suppe heran, sobald sie ihre Gäste auch nur erblicken. Den Pfirsich stellen sie hin, während man noch am Salat kaut; in 22, maximal 25 Minuten ist das Menü durch. Einmal bitten wir, den Hauptgang wechseln zu dürfen. Der Kellner fragt in der Küche nach, geradezu bedauernd kehrt er zurück: In dem Fall werde es, leider, leider, "sieben bis acht Minuten" länger dauern.

SZ vom 20./21. September 2014

Detlef Esslinger

Seeshaupter verabschieden ihr Schiff

Quelle: Sta fxf

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Mitten in ... Leoni

Der Sommer geht zur Neige und der Nachmittag herrlich träge dahin. Der Starnberger See glitzert in der Sonne, die Boote schaukeln, die Welt summt und verschwimmt. Die Augen fallen zu. Plötzlich die alarmierte Stimme der sechsjährigen Tochter: "Mama, Mama, da kommt die CSU!" Um Himmels willen, geht der Seehofer jetzt auch übers Wasser? Ihm zur Rechten die Landtagspräsidentin Barbara Stamm mit Heiligenschein? Zur Linken der Grande Alois Glück mit Monstranz? Doch, siehe da: Die "CSU" ist ein großes Schiff voller Ausflügler, an dessen Bug "Bayern" geschrieben steht, in blauer Fraktur auf weißem Grund. Ein schöner Tag, eine ernüchternde Erkenntnis. Wenn sogar Sechsjährige, die noch nicht richtig lesen können, weiß-blau mit schwarz gleichsetzen, muss sich die CSU um ihre Macht keine Sorgen machen.

SZ vom 20./21. September 2014

Elisa Holz

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Colombo

Letzter Urlaubstag auf Sri Lanka, in ein paar Stunden geht der Flieger. Für die beste Freundin heißt das: So viel Ethno-Kitsch einkaufen, wie geht. Für mich heißt das: Hinterherrennen und die Panik vor zu engen Gassen mit zu vielen Menschen unterdrücken. Nicht einfach auf dem neonbunten Basar in Pettah: 40 Grad, Händler brüllen, Tuk-Tuks hupen. "You want madam", schreit ein Händler, hält mir eine Gartenschere ins Gesicht. Nein danke. Der nächste verkauft Mehrfachstecker, "for your husband". Lieber eine Stinkfrucht? Es reicht, ich flüchte in eine etwas ruhigere Seitengasse. "Are you looking for a quiet place? I can help you", raunt ein junger Mann. Klingt gut, die Platzangst lässt nun nach. Er raunt weiter: "You wanna have fun?". 22, 23, 24, stopp. Zurück zu den anderen Händlern, ich brauche doch noch ein paar Souvenirs.

SZ vom 20./21. September 2014

Friederike Zoe Grasshoff

Merkel empfängt Emir von Katar

Quelle: dpa

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Mitten in ... Berlin

Der Emir von Katar ist in der Stadt, Gedränge beim Essen. An der Stirnseite des Ballsaals die Tafel mit Seiner Hoheit. Links und Rechts die Würdenträger der deutschen Industrie und des katarischen Hofes. Emir und Würdenträger schauen in den Saal, der Saal schaut zurück. Der außenpolitische Berater der Kanzlerin, Christoph Heusgen, schaut auch - nach seinem Namensschild. Heusgen sollte direkt neben dem Emir sitzen. Da hat sich aber ein anderer hingeschoben. Tischkarten-Rallye, ein harter Kampf.

Das Protokoll schläft, Heusgen verlässt still den Saal und verpasst: nichts. Speed-Dinner, drei Gänge in 30 Minuten. Neuer Rekord. Unterdessen spielt Bayern München in der Champions League. Heusgen ist einer der größten Fans der Bayern in Berlin. Wer immer den Platz stahl, er hat der Republik einen Dienst erwiesen.

SZ vom 20./21. September 2014

Stefan Kornelius

Third Wave Artisinal Coffee Roasters Find Niche

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... München

Morgens Hauptbahnhof München, abends Adria. Schwimmen vor dem Sonnenuntergang: schöne Idee. Der Zug ist supervoll. Aber im Speisewagen ist noch ein Tischchen frei. Einen Cappuccino bitte! "Bedaure", sagt die Kellnerin. Kein Strom in der Küche. Und leider auch keine Croissants. Kollektive Angst vor der Alpenüberquerung ohne Frühstück macht sich im Speisewagen breit. Vorerst aber steht der Zug sowieso noch. Da kommt der Schaffner und sagt: "Wir haben leider keine Lok." Gelächter an allen Tischen. "Hier gibt es nichts zu lachen, das ist zum Weinen", schnauft der Schaffner. 35 Minuten später findet sich doch eine Zugmaschine. Die Kellnerin juchzt in der Küche, weil die Kaffeemaschine faucht. Der Cappuccino duftet, als sie die Tasse auf den Tisch stellt, mit einer Entschuldigung: "Wir haben leider keine Löffel."

Christiane Schlötzer

SZ vom 13./14. September 2014

File photo of cars parked at a parking lot nearby a shopping mall in Tokyo

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Moskau

Es hat etwas von einer Heuschreckenplage, die Autofahrer in der russischen Hauptstadt derzeit in Angst versetzt. In Scharen schwärmen grasgrüne Abschleppwagen aus und packen mit ihren Greifarmen jeden Wagen, der unerlaubt am Straßenrand steht. Zum Sommer hat die Stadt das Parkverbot ausgeweitet, das vor zwei Jahren eingeführt wurde, um den Verkehr aus dem Zentrum zu verdrängen. Aber die Trottoirs der großen Alleen sind breit und die Moskauer Autofahrer sind kreativ. Sie stellen ihre Geländewagen jetzt auf dem Fußweg ab, und zwar in zwei Reihen. Das braucht etwas Geschick beim Einparken. In Stoßzeiten ist dort jetzt fast so viel los wie auf der Straße. Ein mit Bäumen bepflanzter Grünstreifen schützt die Autos vor dem Zugriff der Abschlepp-Heuschrecken. Wunder der Evolution - mitten in der Großstadt.

Julian Hans

SZ vom 13./14. September 2014

Brazil's goalkeeper Cesar fails to save a goal by Germany's Mueller during their 2014 World Cup semi-finals at the Mineirao stadium in Belo Horizonte

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... São Paulo

Man steigt in São Paulo ins Taxi, und was ist zu sehen, acht Wochen nach der WM? Fußball. Der Fahrer klemmt sein Riesenhandy wie einen Kleinfernseher neben das Lenkrad an die Windschutzscheibe, Brasilien gewinnt gerade ein Freundschaftsspiel 1:0 gegen Ecuador. Frage an den Gast: "Woher sind Sie?" Alemanha. Deutschland. Wieherndes Lachen. "Sete a um!" Sieben zu eins! Ja, pardon, war bisschen viel. "Gar nicht, es hätte 12:1 ausgehen können", sagt der Chauffeur und legt mitten in der Nacht eine Vollbremsung hin, weil er auf seinen Bildschirm starrt und gerade noch merkt, dass da jemand mit Einkaufswagen auf der Straße spazieren geht. Der Passagier fügt an, dass er in Buenos Aires lebe, da wird der Fahrer noch aufgeregter. Er dankt herzlich den Deutschen, nichts wäre schlimmer gewesen als ein Weltmeister Argentinien.

Peter Burghardt

SZ vom 13./14. September 2014

Buckelwal

Quelle: dpa

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Mitten in ... Spitzbergen

Ein Segelschiff, drei Masten, zwanzig Menschen an Bord. Drei von ihnen sind Frauen, die der arktischen Sommerkälte anstelle von Zipfelmützen mit Turbanen trotzen. Mindestens eine von ihnen kann mit Tieren sprechen, sagen sie. Und dass vieles passieren wird. Na, das werden wir sehen, sagt der Kapitän, der schon viel gesehen hat, was Tiere und Menschen betrifft. Am dritten Tag dann: Wasserfontänen am Horizont, so viele, dass man sie kaum zählen kann. Wale. Am Ende tummeln sich mehr als hundert Buckelwale rund um das Schiff. 100 Wale auf einmal, keiner der Seebären an Bord hat das je erlebt. Können die Frauen also doch Wale rufen? Ismael, der zweite Maat, zeigt sich gänzlich unbeeindruckt. Die Frauen sollen ihm eine Meerjungfrau rufen, sagt er, kann auch eine hässliche sein. Darunter glaubt er ihnen gar nichts.

Birgit Lutz

SZ vom 13./14. September 2014

Bundestags-Ausschuss berät über Stuttgart 21

Quelle: dpa

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Mitten in ... Stuttgart

Der Zug fährt ein in Stuttgart-Hauptbahnhof, in eine riesige Baustelle. Bevor die Berliner mit ihrem Flughafen so richtig loslegten, war Stuttgart 21 das berüchtigtste Großprojekt der Republik. Im ICE klebt ein norddeutsch-korrekter Herr um die sechzig an der Scheibe. Die Fahrt über war er schon sehr mitteilsam. Jetzt ruft er völlig baff und entsetzt: "Was ist denn hier los?" Ein Schwabe, der gleich aussteigt, sagt freundlich: "Die vergraben den Bahnhof." - "Vergraben? Den Bahnhof?" - "Das wird dann ein Tiefbahnhof." - "Wer hat denn so was schon gehört? Irrsinn! Darüber muss doch diskutiert werden!" - "Oh, wir haben da schon diskutiert." - "Und was das kosten muss: Millionen!" - "Sechs Milliarden." Der Norddeutsche lässt sich in seinen Sitz fallen, schaut den Schwaben an und sagt mit kalter Wut: "Sechs Milliarden. Und ihr tut nichts."

Roman Deininger

SZ vom 06./07. September 2014

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Quelle: Leo La Valle/AFP

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Mitten in ... Buenos Aires

In Argentinien kann man Rechnungen für Strom, Gas, Telefon und andere Dinge an Bezahlstellen namens "Rapipago" oder "Pagofácil" wunderbar mit Bargeld begleichen, man braucht da allerlei Scheine. Neuerdings steht an unserer Filiale ein Wachmann mit Schutzweste, Patronengurt und Revolver an der Tür, der stand dort vorher nicht. Warum jetzt plötzlich? Ist die Straße mit dem öffentlichen Krankenhaus gegenüber auf einmal gefährlich? Manche Leute finden, Buenos Aires sei in der nicht enden wollenden Finanzkrise allgemein etwas ungemütlicher geworden, deshalb scheinen sich die Polizisten und Sicherheitsdienste gerade wieder überall zu vermehren. Vielleicht läuft auch einfach das Geschäft von "Rapipago" zu gut, die Schlange an der Kasse wächst und wächst. Man bezahlt mit immer mehr Scheinen, die jeden Tag weniger wert sind.

Peter Burghardt

SZ vom 06./07. September 2014

Wahlplakate in Thüringen

Quelle: dpa

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Mitten in ... Erfurt

Thüringen wählt bald einen neuen Landtag. Die Themen? Abschaffung der Schreibschrift, die Lage im Irak, Infrastrukturlücken im Unstrut-Hainich-Kreis - in den Reden ist das alles oft nur einen Satz voneinander entfernt. Die Welt ist selbst im Kleinen undurchsichtig geworden, auch deswegen gibt es Wutbürger und den Wahlomaten. Letzterer soll Klarheit schaffen, erstere haben es geschafft, selbst diese Bastion konstruktiver Politikvermittlung zu sabotieren. Bei einer Veranstaltung schimpft eine Frau ohne Unterlass, sie schließt mit stolzer Resignation: "Wen soll man denn da wählen?" Man dreht sich um und fragt, ob sie den Wahlomaten ausprobiert habe? Hat sie. Sie habe sich aber weder für noch gegen eine einzige der Thesen entscheiden können, sondern bei jedem Thema neutral abgestimmt. Warum? "Ich fand die Fragen so sinnlos."

Cornelius Pollmer

SZ vom 06./07. September 2014

SONNENPAUSE

Quelle: DPA/DPAWEB

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Mitten in ... Peking

Herbst in Peking ist toll. Das Tolle am Herbst in Peking ist: Wir haben heute einen wunderschönen blauen Himmel. Wir hatten auch gestern einen wunderschönen blauen Himmel. Vorgestern nicht so, da hat es geregnet, aber das war ja das Gute: Nach dem Regen waren die Luftwerte 1A. Ich berichte das, da zuletzt mehrfach die Frage an mich und andere Kollegen herangetragen wurde, wir hätten doch schon so viele schlimme Artikel über die Luftverschmutzung in Peking geschrieben, ob wir denn nun auch die schönen Tage in der Zeitung würdigen täten. Der Ausgewogenheit halber. Und tatsächlich: Ich habe noch nie darüber geschrieben, wenn wir mal einen klaren Tag in Peking hatten. Endlich also hier, mit Nachdruck, das Positive: Der Wetterbericht sagt, wir sollen auch morgen einen wunderschönen blauen Himmel haben. Toll.

Kai Strittmatter

SZ vom 06./07. September 2014

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Quelle: Ronen Steinke

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Mitten in ... Yamoussoukro

Fette Krokodile liegen in dem Becken, das einst zur privaten Residenz des Staatsgründers der Elfenbeinküste gehörte, Félix Houphouët-Boigny. Die drachenschweren Echsen waren seine Lieblinge. Sie symbolisierten seinen Bund mit den geheimen Kräften der Natur, seine Urmacht. "Vier Menschen sind im vergangenen Jahr gefressen worden", sagt der Büromensch, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite seinen Arbeitsplatz hat. Verzeihung, wie bitte? Der Staatsgründer in seiner Weisheit hatte seinen privaten Krokodilsee seinerzeit verbinden lassen mit all den anderen Seen, die diese Stadt so oasenhaft machen. Zwar hielten dicke Gitter die riesigen Reptilien stets davon ab, ihr Becken zu verlassen und frei durch die Stadt zu schwimmen. "Aber ihre Babys passen durch." Derzeit vermehren sie sich rasant. Der Autokrat ist seit 1993 tot. Sein Erbe lebt.

Ronen Steinke

SZ vom 29./30. August 2014

Gericht entscheidet im Dienstwaffen-Streit

Quelle: dpa/dpaweb

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Mitten in ... Berlin

Der Fahrer hatte gerade erwähnt, dass er Taxi nur so nebenbei fährt, da ist plötzlich Blaulicht um uns rum - und man blickt in den Lauf einer Pistole. Genau genommen sind es drei Pistolen: Mit der einen zielt ein nervöser Beamter genau zwischen die Augen, zwei Kollegen sichern ab. Großes Kino mitten im Wedding, die Tür wird aufgerissen ("Ich will Ihre Hände sehen!"), man landet auf dem Kofferraum. Dann die Auflösung: Der Fahrer hatte den Alarmknopf gedrückt, unabsichtlich, "wohl mit dem Knie". Kann ja mal passieren, wenn man nur nebenbei Taxi fährt. Tja, sagt der Fahrer später zerknirscht, eigentlich dürfte er die Fahrt jetzt gar nicht abrechnen. Aber man will ja nicht knausrig sein. Und immer noch besser als jener Kollege, der einem kürzlich auf dem Weg nach Tegel auf dem Smartphone Filme von kopulierenden Kühen vorspielte.

Claudio Catuogno

SZ vom 29./30. August 2014

Bikini-Oberteil

Quelle: iStock

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Mitten in ... Agia Galini

Ein Fischerdorf im Süden Kretas, Strandleben. In früheren Jahren war es hier unter den weiblichen Badegästen üblich, oben ohne im Sand zu liegen. Doch das ist heute aus der Mode. Wohin man blickt, auch in den stilleren Buchten der Umgebung, die Touristinnen aus England, Deutschland, Schweden tragen alle Bikini-Tops. Eher als auf Frauen mit blankem Oberkörper trifft man noch auf Raucherinnen, die ja auch nicht mehr so in Mode sind. Am Abend dann, nachdem der letzte Ouzo getrunken ist, geht es zurück ins kleine familiengeführte Hotel. Es ist um Mitternacht im Zimmer immer noch an die 30 Grad warm, der Mond scheint hell, also vor dem Schlafen kurz zum Luftholen auf den Balkon. Und dort, auf der Nachbarterrasse, sitzen sie schließlich: zwei Belgierinnen, vertieft in ihre Bücher - nicht nur barbusig, sondern splitterfasernackt.

Maxi Frieling

SZ vom 29./30. August 2014

Motorradbranche boomt

Quelle: dpa

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Mitten in ... Riedenburg

Bei Sommerwetter fallen sie im kurvenreichen Altmühltal ein wie die Heuschrecken. Gerade ist ein Pulk von zehn oder mehr Motorradfahrern aus Franken, fast alle graue Rentner auf schweren pechschwarzen und feuerroten Maschinen, auf den Parkplatz der Eisdiele gedonnert. Helm ab zum Kaffee! Einer von ihnen trifft hier zufällig einen alten Kumpel wieder, der ebenfalls Biker ist und ebenfalls aus dem Fränkischen. "Is der Ludwich a dabei?", will der vom gerade angekommenen Ducati-Fahrer wissen. "Den hod's vorgestern g'schmissn", gibt dieser ungerührt zurück. "Und?" "Sei Maschin ist kabudd, 20 000 Euro im Eima, jammerschood." Ach ja, nach erschöpfender Fachsimpelei über die technischen Finessen des demolierten Bikes kommt irgendwann auch noch das Schicksal des gestürzten Ludwig zur Sprache. "Blous a Beinbruch."

Werner Schmidt

SZ vom 29./30. August 2014

Urlauber am Atlantik bei Biarritz

Quelle: dpa

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Mitten in ... Biarritz

Am Strand von Biarritz liegen alle im selben Sand: die reiche Schönheit, der tätowierte Prolo, der Familienurlauber mit Kind. Drüben am Felsen zanken sich derweil zwei russische Blondinen. Sie schreien, ziehen sich an den Haaren, während ihre Männer Wodka trinken. Später, bei der Rückkehr vom Strand, sortiert sich die Gesellschaft dann: An der Pforte des Hôtel du Palais steht ein Diener, der dezent den Geldadel vom Volk scheidet. Er achtet aufs Handgepäck: Einkaufstaschen aus Karton begrüßt er mit einem Lächeln, bei Plastikbeuteln runzelt er die Stirn. Drei Billigtouristen müssen draußen bleiben - "désolé". Da nähert sich das russische Quartett, die Kerle mit Papiertaschen teurer Modemarken, die Frauen mit Plastiktüten voller Flaschen. Stoisch winkt der Wärter alle durch. Danach verliert er kurz die Contenance: "Neureiche!"

Christian Wernicke

SZ vom 22./23. August 2014

'Love is on the Wall'

Quelle: obs

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Mitten in ... Peking

Ein kleiner Junge im Zug. "Papa, was heißt das eigentlich: 'sich eine Mätresse halten' oder sich eine ,Kleine Drei' suchen?" - "Also", setzt der Vater an. "Das eine ist, wenn Papa sich eine Tante von außerhalb sucht, die nicht deine Mutter und nicht Papas Frau ist, und wenn er dann lieber mit der anderen zusammenleben will. Und das Zweite, das ist eine jüngere Tante, die sich der Papa gleichzeitig neben der Mama hält." Der Zug fährt am Bahnhof ein. Der Junge spricht die Durchsage nach: "Bitte packen Sie alle Sachen zusammen, die Ihnen gehören, und steigen Sie aus." Der Vater tippt den Sohn an, dann imitiert auch er die Stimme aus dem Lautsprecher. Seine Version geht so: "Bitte packen Sie alle Frauen zusammen, die anderen gehören, und steigen Sie aus." Der Kleine schüttelt den Kopf: "Was für ein Durcheinander."

Kai Strittmatter

SZ vom 22./23. August 2014

Weltmeisterliches Speiseeis

Quelle: dpa

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Mitten in ... Berlin

Weltmeisterschaft der Eismacher auf dem Alexanderplatz. Es soll entschieden werden, ob Prosecco-Bergpfirsich leckerer ist als Vanille-Blattgold-Holunder. Und ob es möglich ist, nicht albern auszusehen, wenn man von mannshohen Plastik-Eiswaffeln umstellt ist. Gelingt es dem Typen, der sich einfach lässig an so ein Ding anlehnt? Nein, sorry, sieht albern aus. Oder dem, der genauso hoch und breit ist wie das Plastikeis und auf dessen Oberkörper ein Gelato-Schriftzug spannt? Nein. Albern. Dann teilt einer mit Anzug und strengem Blick die Menge. "Scusi! Scusi!" Um ihn herum Fotografen und Eismacher mit weißen Kochmützen. "Valentina, prego!" Wedelnd dirigiert er eine junge Frau in die Mitte des Platzes. Erst ist es still, dann wird gejohlt. Valentina balanciert auf zwölf Zentimeter hohen Plastikwaffeln. Albern? Konsequent.

Nadia Pantel

SZ vom 22./23. August 2014

Hausmannskost in der Kantine

Quelle: dpa

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Mitten in ... Siliana

Siliana ist eine Kleinstadt, gut zwei Autostunden südwestlich von Tunis. Die Fabrik beschäftigt nur Tunesier, inklusive des Chefs, aber sie gehört einem Autozulieferer aus Niederbayern, und sie ist so deutsch, wie es deutscher kaum geht, hier in der Steppe. Die Parkplätze sind durchnummeriert, es gibt eine "Hauptkantine" sowie ein "Modullager 6", und ein Aushang droht "disziplinarische Maßnahmen" an, sollte jemand mit offenen Schuhen am Arbeitsplatz erwischt werden. Auch in der Hauptkantine hängt etwas, auf Arabisch und auf Deutsch: "Nach dem Essen Platz aufräumen!" Das Ausrufezeichen ist nicht übertrieben charmant, aber bitte, fremde Arbeitgeber, fremde Sitten. Eine Besuchergruppe ist da, Deutsche und Tunesier. Die Deutschen gehorchen natürlich, jeder von ihnen trägt sein Tablett weg. Die Tunesier? Lassen alles stehen.

Detlef Esslinger

SZ vom 22./23. August 2014

HIPPIE-FESTIVAL

Quelle: DPA

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Mitten in ... Matala

Jeder, der mal einen Hippie kannte, kennt Matala. Matala liegt an der Südküste von Kreta, und von 1965 an hausten erst Dutzende, dann Hunderte Hippies in den ehemaligen Grabkammern, die links und rechts von der Bucht den weichen Fels durchlöchern. Damals war Matala freie Liebe, kiffen, auf der Gitarre rumschrummen und den Strand, pardon, vollkacken. Heute besteht Matala aus Souvenirgeschäften und Kneipen, in denen auch ältere Menschen sitzen, die so aussehen als erfänden sie gerade eine Hippie-Vergangenheit, um zu Hause zu sagen: Ich war wieder mal in Matala. Also: Ich war wieder mal in Matala. Ich saß in einer Kneipe auf dem südlichen Felsen. Großartige Aussicht. Daheim habe ich drei Platten von Joni Mitchell gehört, die 1970 in Matala war. Sie hatte damals einen Kerl am Strand, den sie besungen hat. Die Mitchell ist jetzt 71.

Kurt Kister

SZ vom 16./17. August 2014

Flughafen München, 2014

Quelle: Florian Peljak

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Mitten in ... Berlin

Montagmorgen, Businessflieger von München nach Berlin. Vor mir drei Männer im Anzug, etwa 50 Jahre alt. "Wisst ihr, was mir aufgefallen ist?", fragt einer der drei bei der Landung. "Eigentlich darf man die kleinen Rollkoffer ja mit an Bord nehmen. Aber immer öfter werden sie einem direkt vor Abflug noch weggenommen, weil das Handgepäck sonst zu voll wird." Die anderen nicken. "Nur: Mir passiert das nie, Frauen dagegen dauernd. Ich hab' das Gefühl, sie trauen sich das bei uns Managern nicht." Der Zweite schüttelt nachdenklich den Kopf. "Und dann muss man in Tegel immer noch 45 Minuten auf das Gepäck warten." "Diskriminierung" brummt der Dritte. "Seh' ich auch so", stimmt ihm der Erste zu. "Ich glaub', nächstes Mal sage ich was." Die anderen beiden nicken. "Eine gute Woche!" rufen sie sich noch zu, dann sind sie weg.

Charlotte Theile

SZ vom 16./17. August 2014

Kandidatenstadt Istanbul 2020

Quelle: dpa

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Mitten in ... Istanbul

Auf einem Bosporus-Boot, auf der Heimreise nach einem Erdoğan-Auftritt. Nichts ist schöner als in einer Augustnacht auf dem Wasser zu sein! Denken wir. Nur leider dröhnt aus allen Lautsprechern an Deck der stampfende Erdoğan-Wahlkampfsong in Endlosschleife. Irgendwann fällt dem DJ zum Glück ein, dass sein Boot eigentlich ein Party-Schiff ist und keines für's fromme Parteivolk, und er legt Rhythmen auf, die sofort in die Beine gehen. Drei junge Frauen mit Kopftüchern und braven langen Röcken erheben sich - und tanzen! Ein Alter mit Bart murmelt: "Sünde". Bald tanzt das halbe Schiff. Der Alte prophezeit: Die islamische Welt wird stark, die Osmanen kommen wieder. Wir schippern an einem anderen Boot vorbei, darauf eine Hochzeit mit Bauchtänzerin. Die Osmanen treffen wir in dieser Nacht nicht mehr.

Christiane Schlötzer

SZ vom 16./17. August 2014

US-BULL RIDING-RODEO

Quelle: Mladen Antonov/AFP

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Mitten in ... Charkiw

Hundert Kilometer südlich tobt ein Krieg, Charkiw ist zur Frontstadt in der Ostukraine geworden. Tausende Flüchtlinge aus dem Donbass sitzen hier fest, die Stimmung ist explosiv. Aber das stört offenbar nicht jeden. Ein korpulenter Herr mit wenig Haar und viel Gepäck ist auf dem Weg zum Flughafen, sichtlich gut gelaunt. Er kommt von einer Frau, die er im Internet kennengelernt hat. Irina, 45, aus einem Dorf bei Charkiw, spricht kein Englisch; der Mann, 75, aus Montana, USA, spricht kein Ukrainisch oder Russisch. "Wir sind uns näher gekommen", sagt der Cowboy, "per Dolmetscher". Nun denke er darüber nach, die Bekanntschaft zu vertiefen. Warum der weite Weg? Will ihn in Montana keine? Sind die ukrainischen Frauen einfach weniger emanzipiert? Ist es gar der Sex? "Ach was. Die Frauen hier können noch richtig tanzen!"

Cathrin Kahlweit

SZ vom 16./17. August 2014

© SZ/ihe/sks
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