Porto, die Stadt am Douro, heißt einfach nur Porto - Hafen. Stolz und selbstbewusst. Die meisten Atlantikhäfen führen sonst irgendeinen Zusatz im Namen. Zum Beispiel Porto Santo - heiliger -, Porto Seguro - sicherer - oder Porto Alegre, fröhlicher Hafen.
Porto dagegen ist nicht vergleichbar. Die Siedler, die diesen unwirtlichen Platz an der Douromündung ausgesucht haben, wollten sich verschanzen. Eingeklemmt zwischen Felsengen und Fluss, zeigt die Hafenstadt dem Ankömmling zunächst die kalte Schulter.
Schwarzer, roher Granit ist der Baustoff, der die stufenweise ansteigenden Häuser bei Nebel in eine geschlossene Festung verwandelt, als hüte sie einen wertvollen Schatz - und es gibt oft Nebel in Porto.
"Das Schönste an Porto ist die Autobahn nach Lissabon", spötteln die Hauptstädter über Portugals zweitgrößte Stadt, die oft "heimliche Hauptstadt" genannt wird. Das Verhältnis zwischen den beiden Städten ist traditionell unterkühlt.
Es riecht nach Geld und Weihrauch
Lissabon mag Hauptstadt sein, erwidern die Portuenser: Porto ist die Wirtschaftsmetropole. Die alteingesessenen Patrizierfamilien geben den Ton an. In allen Winkeln ist zu spüren, dass in Porto stets Kaufleute und Kirchenherren regierten; es riecht nach Geld und Weihrauch. Feudale Paläste sucht man indes vergeblich.
Es gibt nur zwei: den Börsenpalast der Kaufleute und den des Bischofs. Selbst der König hinterließ weder Schloss noch Burg. Wenn er in die Bürgerstadt kam, logierte er beim geistlichen Oberhirten.
Porto ist es schon lange leid, die "ewige Zweite" zu sein. Schließlich gab sie dem Land und dem berühmten Wein den Namen. In der Rua da Alfândega Velha wurde Heinrich der Seefahrer geboren, der Portugal für einen historischen Moment zum Regisseur der Weltgeschichte machte.
Von Porto gingen Revolutionen und Modernisierungen aus. Jetzt will Porto als "Kulturhauptstadt Europas 2001" endlich aus dem Schatten Lissabons heraustreten und seine Schätze präsentieren. Auch wenn es den Titel mit Rotterdam teilen muss. "Jetzt ist Porto mal dran", meint auch der gebürtige Portuenser Álvaro Siza Vieira.
Der Stararchitekt, der an der Verschönerung Lissabons selbst kräftig mitgewirkt hat und 1998 mit der Eröffnung des Serralves-Museum für die Kunst der Gegenwart international Schlagzeilen machte, ist in Porto mit einer Ausstellung über sein Gesamtwerk ("Die Städte von Álvaro Siza Vieira" vom 6. Oktober bis zum 16.Dezember) beteiligt und natürlich auch mit einem Bauprojekt:
Viel Geld für Kultur
Er will dem Platz vor dem Rathaus ein neues Gesicht geben. Denn "Porto 2001" bedeutet nicht nur rund 400 Ausstellungen, Theater- und Tanzvorführungen, Konzerte und Straßenfeste, sondern auch die grundlegende Stadterneuerung: Porto soll zukunftstauglich werden mit insgesamt 215 Millionen Euro; rund ein Viertel ist für das Kulturprogramm bestimmt.
Die Fahrt ins Hotel dauert wegen der Bauarbeiten doppelt so lang wie sonst. Verkehrsstau auf der Uferstraße. Hitze, Abgase und blanke Nerven. Der Taxifahrer klebt vor Ungeduld fast an der Stoßstange seines Vordermannes. Endlich, die schwarze Doppelbrücke Ponte D. Luís I.
Die Eisenkonstruktion, die 1886 ein Schüler Gustave Eiffels entwarf, hält die beiden Uferseiten der Portweinmetropole und der Nachbarstadt Vila Nova de Gaia wie mit Spangen zusammen. "Brücken in die Zukunft" heißt das Motto von "Porto 2001".
Der Weg ins historische Zentrum ist steinig: Baustellen, Absperrungen, Umleitungen. Die Stadt zeigt ihre Eingeweide. Vor der pompösen Börse klafft ein gigantisches Loch. "Ein unterirdisches Parkhaus entsteht hier", erklärt Sérgio Ferreira, Sprecher im Finanzpalast, der nicht an die planmäßige Fertigstellung im Mai glaubt.
Portos eigentlicher Reiz liegt in seiner Natürlichkeit, die sie sich nach wie vor bewahrt hat. Selbst im Zentrum wirkt die weltoffene Stadt ländlich, lockt aber mit einer Reihe nobler Traditionsgeschäfte. Antero Braga allerdings ist auf "Porto 2001" nicht gut zu sprechen.
Seine Buchhandlung "Lello&Irmao" von 1869 ist nicht allein deshalb berühmt, weil sie einst Portugals größte Autoren, unter ihnen Ea de Queirós, Camilo Castelo Branco und Antero Quental, verlegt hat. Wegen ihrer neogotischen Innenausstattung mit der knallrot lackierten Schmucktreppe wurde sie zur Pilgerstätte.
Blind, stumm, taub
"Niemand ist hier gegen das Event, gegen die Arbeiten. Wir sind gegen die Form wie sie durchgeführt werden. Unsere Verantwortlichen sind blind, stumm und taub." Er öffnet das Fenster, das seine Kunden sonst mit einem herrlichen Blick auf den barocken Clérigos-Turm, das Wahrzeichen Portos, verwöhnt, und zeigt auf die Baustelle darunter.
"Kultur ist gut. Aber uns laufen die Kunden weg", stöhnt Braga. Etwa 40 Prozent der Läden in der Innenstadt seien seit Beginn der Bauarbeiten geschlossen worden.
"Das Projekt ,Porto 2001' war die Initialzündung für den längst überfälligen Umbau unserer Stadt", erläutert Álvaro Siza Vieira. Das historische Zentrum und die mittelalterliche Ribeira-Altstadt sind zwar gemütlich, aber wegen der engen Gassen verkehrstechnisch unzeitgemäß. Kein Bürgermeister hatte sich bis dato an die Aufgabe gewagt, die Infrastruktur zu verändern.
Plötzlich jedoch waren die Motivation und auch das nötige Geld dafür vorhanden. Die Tragik liege darin, so Álvaro Siza, dass alles gleichzeitig in Angriff genommen worden sei: Straßen, Kanalisation, Beleuchtung und die neue Metro, und alles mit zu wenigen Arbeitskräften.
Versinken im Baustaub
Wenn der Architekt recht hat, werden Portos Schätze diesmal nicht vom Nebel, sondern im Baustaub versinken.
Ausstellungen wie Souza-Cardoso/Piet Mondrian (28.Juni bis 30.September) im Serralves-Museum, den Maler Vieira Portuense (Juni bis August) und "Design von Sonia Delaunay" (November bis Januar 2002) im restaurierten Museu Soares dos Reis können das Chaos auf den Straßen vergessen machen.
Bleibt zu hoffen, dass die literarischen Spaziergänge zu den Schauplätzen der Werke bekannter portugiesischer Romanciers, die der Schriftsteller Mário Cláudio im Zweiwochentakt führt, nicht im Sande verlaufen. Da ist allerdings noch ein kleines Problem.
Denn Mário Cláudio findet, "dass das Interesse für die Kultur eines Landes voraussetzt, dass man auch die Sprache beherrscht." Er glaubt, dass die Litera-Touren für ausländische Touristen deshalb nicht interessant seien. Schade eigentlich.
Die mit EU-Mitteln geförderten Baukrater haben Porto entzweit. Die sieben Millionen ausländischen Gäste, mit denen die Veranstalter rechnen, werden sich mit der unfertigen Stadt arrangieren müssen.
Die 325.000 Portuenser können sich damit trösten, dass ihnen von "Porto 2001" zumindest ein stattliches Erbe bleiben wird: Eine Brücke in die Zukunft.