Kolumne "Mitten in ...":"Das würde ich nie anrühren!"

Im taiwanesischen Tainan hat der Tourist mehr Mut als die Einheimische. Und in Wien gibt's Bonuspunkte fürs Dosenbier.

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Tainan

Nach Tainan, älteste Stadt Taiwans, reisen Festlandchinesen, um zu sehen, wie China aussah, bevor die volksrepublikanischen Bulldozer kamen. Außerdem ist es die Hauptstadt des Street Food, wie die reizende Fremdenführerin immer wieder betont. Nachdem wir die Ruine eines holländischen Handelsstützpunktes aus dem 17. Jahrhundert und die Werke des letzten taiwanischen Kinoplakatmalers besichtigt haben, folgt der Besuch in einem Imbiss, der eine Spezialität anbietet. "Ganz frisch!", beteuert die Fremdenführerin und deutet auf einen Haufen Fischköpfe mit glasigen Augen. Viel Lust hat man zwar nicht, aber man will es ja wie die Einheimischen machen. Vor dem ersten Biss blickt man auf den Teller der Fremdenführerin: Reis mit Gemüse. "Isst du denn keinen Fischkopf?" "Oh nein", antwortet sie. "Das würde ich nie anrühren!"

Alexander Menden

SZ vom 11. Januar 2019

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Wien

Am Kärntner Ring, gleich neben der Staatsoper, hat sich Wien für die Touristen herausgeputzt, sogar der Supermarkt tut so edel, als sei er ein Delikatessenladen. Zwei Burschen in der Kassenschlange passen nicht ganz dazu. Zerrissene Hosen, Ketten über abgewetzten Lederjacken, reichlich Metall in die Gesichter gepierct, die Haare rosa und türkis im Halbirokesenschnitt - die jungen Männer scheinen einer Epoche entstiegen zu sein, in der sie selbst noch gar nicht auf der Welt waren: Punkiger sahen Punks auch zu Sex-Pistols-Zeiten nicht aus, gut 40 Jahre ist das her. Sie kaufen, was sonst, Dosenbier. Die Kassiererin zeigt sich unbeeindruckt. "Haben Sie die Vorteilsclub-Karte?", fragt sie. Einer der Retro-Punks kramt im Geldbeutel. Ja, hat er, das gibt Bonuspunkte fürs Bier. Als hätten Johnny Rotten und Sid Vicious einst Rabattmarken geklebt.

Jan Bielicki

SZ vom 11. Januar 2019

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

"Ski fahren gewesen?", fragt der Taxifahrer launig, als man sich gerade mühevoll mit Krücken und Beinschiene in den Sitz gefaltet hat. Haha - nee, Fahrradunfall. Dieses Stichwort eröffnet einen Vortrag, der gruselige Einblicke in die Kampfzone namens Münchner Verkehr erlaubt. "Immer diese Radler", grantelt der Taxifahrer los. Die sollen halt auch mal aufpassen! Erst kürzlich - da habe er unvermittelt die Autotür aufgemacht, "fährt mir ein Fahrradfahrer rein", also so was. Das irritierte "Äh ... hätten Sie da nicht erst schauen müssen?" des Fahrgastes bügelt der Taxler ab: "Mir doch egal, ich bin versichert, selber schuld." Vorfahrt? Auch egal, man muss mit allem rechnen, Fahrradfahren ist so gefährlich! Endlich, nach einem waghalsigen Spurwechsel in letzter Sekunde, ist das Ziel erreicht. Nächstes Mal doch lieber wieder mit der Tram.

Marlene Weiß

SZ vom 11. Januar 2019

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Ravenna

Beflissen jongliert der junge Mann die Flasche Rotwein und zwei Gläser an den Tisch, zückt das Kellnermesser und macht sich an die Kapsel um den Flaschenhals. So weit scheint alles zu gelingen. Danach indes gerät die Zeremonie zu einer kniffligen Prozedur. Immer und immer wieder müht sich der Ober, die Spindel in den Korken zu drehen, bis das Unterfangen schließlich hoffnungslos im Fiasko endet. Halb steckt der Korken in der Flasche, der krümelige Rest verteilt sich großzügig auf dem Tischtuch. Da wird es dem Cameriere zu bunt: Wortlos verschwindet er in einen Nebenraum, um alsbald mit derselben Flasche zurückzukommen. Obenauf steckt locker ein gänzlich unversehrter Korken. Der Nachwuchs-Sommelier zieht ihn von Hand ab, bevor er die Trophäe mit großer Geste rundherum beschnüffelt. Er lächelt und jubelt: "Perfetto!"

Werner Schmidt

SZ vom 4. Januar 2019

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Malibu Beach

Auf dem Pier von Malibu gibt es ein beeindruckendes Restaurantchen, ganz in weißem Holz gehalten, mit bestem Blick auf Wellen und Surfer. Sehr schöne Menschen essen hier sehr kleine Portionen von sehr gesunden Gerichten. Leider aber ist eine der beiden Toiletten kaputt. Vor der funktionierenden bildet sich eine geschlechtergemischte Schlange.

Zwei Frauen Mitte 20, die aussehen, als hätten die Beach Boys nur für sie "California Girls" gesungen, lästern über die Toilettenbenutzungsdauer der anderen. Männer bräuchten länger als Frauen, behaupten sie. Ich muss skeptisch geguckt haben. Denn als die eine der beiden, nun ja, ihr Geschäft verrichtet hat, stürmt sie aus der Toilette, wirft die Tür zu und ruft in meine Richtung: "This is how fast a lady gets her shit done." Sie versteht nicht auf Anhieb, warum die ganze Schlange über ihre Redewendung lacht.

Max Sprick

SZ vom 4. Januar 2019

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Silvesterparty bei Freunden, "as every year". Es wird spät oder früh, je nach Definition, die Vorfreude aufs Bett ist jedenfalls groß. Ungeduldig fingere ich den Wohnungsschlüssel bereits unten vor dem Aufzug aus dem Rucksack. Die Fahrstuhltür öffnet sich, da flutscht mir der Schlüsselbund aus der Hand und verabschiedet sich mit einem Klonk in den Schacht.

Mir entfährt ein "Cheerio Miss Sophie", fassungslos starre ich hinterher, bis ich die sich schließende Aufzugtür an den Kopf bekomme. Das weckt die benebelten Gehirnzellen: Anruf beim Ersatzschlüssel-Inhaber, doch der ist nicht da - Silvesterparty. Eine Stunde lang liege ich bäuchlings vor dem Fahrstuhl und stochere im Schacht. Nach diversen weiteren Begegnungen mit der Aufzugtür ("same procedure") beende ich die erste Nacht 2019 im Hotel ums Eck. Allemal billiger als der Schlüsseldienst. Happy New Year!

Gabi Klein

SZ vom 4. Januar 2019

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Passau

Passau Hauptbahnhof, ein Feiertag, auf dem Bahnsteig warten 50 Menschen auf den Zug nach München. Immer wieder wird per Lautsprecher und Anzeige darauf hingewiesen, dass der Zug ausnahmsweise von Gleis 6 und nicht von Gleis 3 fährt. Zur Abfahrtszeit ist allerdings keine Bahn da. Auf einmal setzt sich auf Gleis 3 der dort die ganze Zeit wartende Regionalzug in Bewegung, "München Hbf" steht dran. Fassungslos schauen die Menschen dem leeren Zug hinterher, die ersten fangen an zu fluchen. Anruf bei der Bahn-Hotline, aber die ist in Bayern nicht besetzt, ist ja Feiertag. Eigentlich bundesweit, aber mei. Schließlich wird man mit Berlin verbunden. "Na, dit is ja ne Riesensauerei", sagt die Frau am anderen Ende. Helfen könne sie aber auch nicht. Müsse man einfach eine Stunde auf den nächsten Zug warten - am besten auf beiden Gleisen.

Charlotte Haunhorst

SZ vom 28. Dezember 2018

Mi Nov_Dez 18 Marc Herold

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Hawkshead

Wer dauernd bergauf, bergab geht, wird irgendwann hungrig. Und deshalb findet man im Lake District, wegen seiner pittoresken Landschaft ein beliebtes Wandergebiet im Nordwesten Englands, viele Lokale. In dem Ort Hawkshead wird The Queen's Head Inn von Gourmets empfohlen, wegen seiner neuen britischen Küche. Man sollte also reservieren. "With dog or without?", fragt die Frau am Tresen. What? Welche Art von Unverträglichkeit wurde da eben abgefragt? Man ist gespannt, was in der neuen britischen Küche von Hawkshead so alles auf den Teller kommt. Erst am Abend fällt einem dann das Schild auf: "We are a dog friendly pub." Was heißt: Hier achtet man darauf, dass die Vierbeiner sich nicht gegenseitig im Weg herumlaufen, und platziert die Gäste entsprechend. Das Essen war übrigens hervorragend, selbst ohne Hund.

Franz Kotteder

SZ vom 28. Dezember 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Moskau

WGs sind für Überraschungen gut, in Moskau ist das nicht anders. Oder doch, ziemlich anders. Zwischenmiete in Marias Zweizimmerwohnung. Eines Abends schickt sie von unterwegs eine Nachricht: "Sprich nicht mit Granny!" Keine Zeit, sich zu wundern, schon steht da diese Frau wie aus Grimms Märchen in meinem Zimmer, runzeliges Gesicht, buntes Kopftuch, Zwiebelatem. Sie komme aus der Ukraine, mit dem Zug, lange Reise, früher habe sie hier gewohnt ... In den kommenden vier Tagen schläft sie in Marias Bett, kocht stark riechendes Essen, sieht laut fern. Man traut sich kaum, in Küche oder Bad zu schleichen. Immer steht da Granny und löchert einen mit Fragen. Schneit die Verwandtschaft oft so unangemeldet herein? Nein, sagt Maria, das ist gar nicht ihre Oma. Sondern die Vermieterin, die komme einmal im Jahr vorbei. Schön selten - für Moskauer Verhältnisse.

Silke Bigalke

SZ vom 28. Dezember 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Stockholm

Landung in Stockholm Arlanda, hinein in diese rüsselartige Brücke, die einen ins Terminal führt. Doch schon im ersten Knick hält eine junge Polizistin den Reisenden auf und lädt ihn mit gewinnendem Lächeln ein, ein Training für den Drogenspürhund mitzumachen. Das wäre, hätte man verbotene Substanzen im Handgepäck, die eleganteste Methode des Drogenschmuggels, doch es sind nur ein Satz frische Anziehsachen und eine Zahnbürste drin. Oben auf der Tasche platziert die Beamtin ein Drogenpäckchen, das ein schwarzer junger Hund kurz vorm Ausgang aufspüren soll. Das tut er mit Bravour, die Polizistin dankt Hund und Passagier mit einem "Super, tack!" Auf der Tasche bleiben die Abdrücke der nassen Hundeschnauze - und ein paar Drogenanhaftungen. Hoffentlich kommt auf dem Rückflug nicht noch ein fertiger Suchhund zum Einsatz.

Erich C. Setzwein

SZ vom 21. Dezember 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Osnabrück

Auf dem Weihnachtsmarkt am Osnabrücker Dom steht ein gigantischer Nussknacker. Sechs Meter hoch soll er sein und voll funktionstüchtig, obwohl nicht ganz klar ist, welche Nüsse so ein Gerät öffnen sollte - selbst Kokosnüsse würden ziemlich mickrig wirken in seinem gähnenden Knackmaul. Publikumsattraktion und beliebtes Selfie-Motiv ist er allemal. Da mehrere Gymnasien in der Innenstadt liegen, gehen ziemlich viele Schüler nach Unterrichtsschluss noch hinüber auf den Weihnachtsmarkt und holen sich eine Wurst. Zwei von ihnen verzehren ihr Mittagessen vor dem Nussknacker. "Das ist der größte Nussknacker der Welt", erläutert der eine, "das habe ich gelesen." "Echt?", fragt der andere skeptisch, "ich dachte, das ist nur der größte von Osnabrück!" "Ach", sagt der andere und beißt in die Wurst. "Das ist doch dasselbe."

Alexander Menden

SZ vom 21. Dezember 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Amman

Stau in Amman, im Radio unterhalten sich zwei Männer. Einer ist zu spät ins Studio gekommen, der Verkehr war schuld. Stundenlang habe er im Auto gesessen, nur meterweise ging es voran. Autofenster an Autofenster, vereint im Leid. Doch das habe auch seine guten Seiten, sagt er dann. "Wie das?", fragt der Moderator. "Man lernt neue Leute kennen", sagt der Gast. Gekicher. "War jemand Nettes dabei?" "Oh ja". Er habe sich das Kennzeichen gemerkt und einer seiner Verwandten arbeite ja bei der Polizei. Und dann, als der Stau sich langsam auflöste, passierte auch noch ein Zeichen, ja, etwas Magisches. "Erst war es nur ein kleiner Tropfen, doch dann hat es in Strömen geregnet", erzählt der Mann. "Na, wenn das kein Zeichen ist", ruft der Moderator. In Jordanien, einem der wasserärmsten Länder der Welt, feiert man den Regen und flirtet im Stau.

Dunja Ramadan

SZ vom 21. Dezember 2018

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