Kanadas fliegende Postboten:Abenteuer gehört dazu

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Mehr als ein halbes Dutzend Fluggesellschaften teilen sich den Himmel über Campbell River - darunter auch Harbour Air, die Wasserflugzeuge des Typs Cessna nutzt. (Foto: dpa-tmn)

Wild ist die Landschaft der Discovery Inseln, 200 Kilometer nördlich von Vancouver - und die Siedlungen abgelegen. Darum kommen Briefe und Pakete dreimal pro Woche per Flugzeug. Unterwegs in einem Postflieger.

"Okay, seid ihr bereit? Dann wollen wir mal los", ruft Rory den Passagieren zu. Dumpf brummend löst sich das Wasserflugzeug vom Anlegesteg und gleitet hinaus in die Discovery Passage. Dann schiebt der 26 Jahre alte Pilot die Gashebel auf volle Leistung und das Brummen geht in ohrenbetäubenden Lärm über. Immer schneller gleitet das einmotorige Wasserflugzeug de Havilland Beaver über die Wellen. Ein paar hundert Meter nur, dann zieht Rory die Maschine sanft in die Lüfte und nimmt mit Tempo 170 Kurs auf die Discovery Inseln. Drei Stationen wird der fliegende Postbote an diesem Nachmittag ansteuern: Stuart Island, Surge Narrows und Refuge Cove.

Gut 500 Meter unter dem Flugzeug gleitet die von Wasserläufen zerklüftete Landschaft dahin. Kleine Inseln liegen verstreut in den Meeresarmen zwischen der kanadischen Pazifikküste und Vancouver Island. Nur ab und zu durchpflügt ein winziges Fischerboot oder eine schnelle Motorjacht die Wellen. Straßen gibt es hier nicht. An den steilen Ufern tauchen vereinzelt Häuser auf, vor denen lange Bootsstege in die tiefblauen Fluten ragen. Blanker Felsen und tiefgrüner Wald prägen die Landschaft. Hier wächst der Western Red Cedar. Manch einer der stattlichen Baumriesen grub seine Wurzeln bereits vor 800 Jahren in diese Küste.

Postamt, Café und Tante-Emma-Laden zugleich

Nach einer knappen Viertelstunde Flug setzt Rory die Maschine in der Bucht vor Stuart Island sanft auf das Wasser. Tara Kristian erwartet den fliegenden Postboten bereits. Ihr Postamt ist zugleich Café und Tante-Emma-Laden. "In diesen Wochen vertrete ich meine Tochter Sarah", erklärt Kristian zur Begrüßung. "Sie ist eine begeisterte Bergsteigerin und gerade auf den Mount Everest unterwegs." Stuart Island ist eine Privatinsel mit ein paar noblen Ferienhäusern an der Pforte des 80 Kilometer langen Bute-Inlet-Fjordes. Verschiedene Inseln in dem abgelegenen Gebiet vor der Küste von British Columbia sind in privatem Besitz. Betuchte Kanadier und Amerikaner haben hier ihre Feriendomizile, die sie in den Sommerwochen für den Angelurlaub nutzen. Namen? Auf diese Frage schweigen sowohl Postfrau Kristian als auch Pilot Rory. Diskretion ist Ehrensache.

Das Postamt von Surge Narrow liegt direkt am Anleger. (Foto: dpa-tmn)

Weiter geht's zur nächsten Station. Das kleine Postamt von Surge Narrow befindet sich direkt auf dem Anlegesteg. Postfrau Shauny Volk hat ein paar Kisten Post für den Piloten, die ankommende wird direkt in Postfächer sortiert. Ein wenig Papierkram, ohne Formulare und Unterschriften geht es auch hier nicht. "Auf unserer Insel leben im Sommer wie im Winter 60 Leute", berichtet Shauny Volk. Nur montags, mittwochs und freitags sperrt Shauny ihr Postamt für ein paar Stunden auf, da an diesen Tagen der fliegende Zusteller landet. Dann kommt ein wenig Leben in den Laden. Die Einwohner holen ihre Briefe und Pakete ab; einen Zustelldienst bis vor die Haustüren gibt es in Surge Narrow nicht. Und sie versorgen sich mit neuem Lesestoff aus der öffentlichen Bücherei des Eilandes, die direkt neben Shaunys Postbüro ist.

Als dritte Station an diesem Nachmittag steht Refuge Cove am Desolation Sound auf Rorys Flugplan. "Im Frühjahr ist es hier noch ruhig, aber im Hochsommer ist der Desolation Sound ein beliebtes Wochenendziel für die Bewohner von Vancouver", sagt er. Dann klingelt sein Mobiltelefon: ein Anruf von der Basis in Campbell River. Rory ruft den Passagieren zu: "Wir müssen direkt los, es gibt einen neuen Auftrag."

Wenig Elektronik, dafür robuste Technik

90 Minuten dauert die Rundreise mit dem Postflugzeug von Corilair. "Historic Mail Run" nennt die Airline die Route. Der Lufttransport von Briefen, Päckchen und Paketen löste vor mehr als 50 Jahren den langwierigen Transport per Schiff ab. Fast genauso viele Jahre hat die de Havilland Beaver der kleinen Fluggesellschaft auf dem Buckel. "Unsere Beaver stammt aus dem Jahr 1954. Mit ihrem 450 PS Sternmotor ist sie ein zuverlässiges Arbeitspferd", sagt Airline-Boss Mike Farell. "Wenig moderne Elektronik und dafür viel robuste Technik, Qualität made in Kanada."

Seit einem Dutzend Jahren steht Farells Fluggesellschaft Corilair im Dienst der kanadischen Post. Geflogen wird im Sommer wie im Winter zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang im Umkreis von mehr als 200 Kilometern von Campbell River. Die Kleinstadt an der Meeresenge der Discovery Passage liegt am 50. Breitengrad auf der gleichen Höhe wie Mainz. In den 1970er Jahren galt Campbell River als einer der weltweit wichtigsten Standorte für den Einsatz von Wasserflugzeugen. Die Floatplanes brachten damals hunderte Holzfäller in die abgelegenen Camps entlang der Küste, dazu noch jede Menge Material und Lebensmittel. Doch schon etwa zehn Jahre später endete der Boom: Leistungsstarke Hubschrauber und schnelle Wassertaxi-Boote machten den Wasserflugzeugen Konkurrenz. Und einige Stationen wurden auch an das Straßennetz angeschlossen.

Statt der Holzfäller kutschieren die Piloten heutzutage zunehmend Touristen in die Wildnis. Von überall her flattern die Anfragen von Flugenthusiasten und Abenteuerlustigen bei Corilair ein. In der Flugbetriebszentrale sortiert Dispatcherin Semona Palmer sowohl die Transportaufträge als auch die Anfragen von Touristen, die auf der Historic Mail Run-Tour mitgenommen werden möchten: "Australier, Niederländer, Neuseeländer, Amerikaner, natürlich Kanadier und auch Deutsche - unsere Jungs haben sie alle schon als Passagiere gehabt."

Von Mai bis Oktober nehmen die Piloten von Corilair Touristen mit auf ihre Touren. Im Juni und Juli ist das Wetter für ein solches Abenteuer am besten. Acht Piloten teilen sich bei Corilair die Jobs als fliegende Postboten und Frachttransporteure. Am Nachmittag startet Rorys Kollege Ty Ruff mit der Beaver zu einem speziellen Auftrag: lebende Hummer zur Fabrik auf Quadra Island bringen. "Hier unter uns müsste es irgendwo sein", ruft Ty über die Kopfhörer seinen Mitfliegern zu. Dann entdeckt er auch schon das Fischerboot "Black Pearl", zieht eine enge Kurve und landet mitten im Hoskyn Channel-Fjord. Behutsam lenkt er den Flieger an das Schiffchen heran, auf dem ihn Fischer Fred und dessen Tochter Kathy schon erwarten. Mit fangfrischem Hummer sind die 15 Plastikboxen gefüllt, die Ty mühsam an Bord hievt: "Das gibt richtig Muckis, denn jede Kiste wiegt mehr als 15 Kilo." Verstauen, festzurren, und schon startet der Wasserflieger wieder.

Pilot Rory fliegt auch Fischkutter an, deren Kapitäne ihren Fang möglichst frisch an ihre Kunden liefern wollen. (Foto: dpa-tmn)

Das Abenteuer gehört dazu

Nur ein paar Minuten später trifft Ty an der Fischfabrik ein. Der Pilot weiß: "Fred hätte mehrere Stunden benötigt, um mit seinem Fischerboot hier anzulanden." So werden die Hummer fangfrisch verarbeitet. Bald darauf sind sie verpackt und als Luftfracht nach Japan unterwegs. Mehr als ein halbes Dutzend Fluggesellschaften setzt an der Pazifikküste von British Columbia Wasserflugzeuge ein. Vom Canada Place in der Innenstadt von Vancouver starten die de Havilland Beaver und Cessna der "Harbour Air". "An Wochentagen verkehrt zwischen sieben Uhr in der Früh und sieben Uhr am Abend alle 20 Minuten eine Maschine von Vancouver nach Viktoria auf Vancouver Island", berichtet Meredith Moll von Harbour Air.

An Bord sind zumeist Geschäftsleute, die zu Besprechungen in die Provinzhauptstadt Victoria reisen. Zeit ist für die Businessleute Geld. Allein die Überfahrt mit der Autofähre zwischen dem Festland und Vancouver Island dauert zwei Stunden. Wenn man Touristen fragt, ist Zeit aber nicht alles - auch das Abenteuer gehört dazu.

Reiseinfo:

Vancouver Island ist mit 450 Kilometern Länge und 100 Kilometern Breite die größte Pazifik-Insel der kanadischen Provinz British Columbia im äußersten Westen des Landes. Mit mehr als 31 000 Quadratkilometern ist die Insel etwa so groß wie Belgien.

Campbell River ist eine beschauliche Kleinstadt mit 32 000 Einwohnern an der Discovery Passage und der Nordostseite von Vancouver Island. Sie gilt als Lachs-Hauptstadt und zieht daher viele Sportangler an.

Anreise:

Direktflüge von Deutschland ab Frankfurt mit Air Canada, Air Transat, Condor und Lufthansa nach Vancouver Int. Airport, Flugzeit etwa zehn Stunden. Umsteigeflüge über Amsterdam und London. Leihwagen verschiedener Anbieter gibt es am Flughafen Vancouver International (YVR). Der deutsche Führerschein wird akzeptiert. Fähre mit B.C. Ferries ab Tsawwassen nach Duke Point/Nanaimo, Fahrtzeit zwei Stunden. Ab dort über den Highway 19 North bis Campbell River, rund 180 Kilometer, Fahrtzeit zwei Stunden. Alternativ ab Vancouver International Airport mit Anschlussflug nach Campbell River Airport (YBL), Flugzeit 40 Minuten, von dort per Taxi nach Campbell River.

Einreise:

Zur visumfreien Einreise und zum Aufenthalt bis maximal sechs Monate genügt der deutsche Reisepass.

Reisezeit:

Mai bis Oktober. Von Juni bis August liegen die Tageshöchstwerte bei 18 bis 27 Grad. Unterkünfte: Vom Bed and Breakfast (B & B) bis zum Luxusresort ist alles vorhanden. Die Übernachtungspreise schwanken. Ratsam sind der Vergleich im Internet und eine Onlinebuchung bei deutschen Reiseveranstaltern.

© SZ.de/dpa/Bernd F. Meier - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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