Immobilienstandort:Kleinod unter Reet

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Von wegen Elbchaussee oder Bogenhausen: Deutschlands teuerste Adresse ist der Hoboken-Weg in Kampen. Hinter Hecken residieren vor allem Zweitwohnungsbesitzer - wenn sie mal da sind.

Von Peter Burghardt

Die offenbar teuerste Straße Deutschlands ist eine Sackgasse. "Keine Wendemöglichkeit", warnt das Schild am Hoboken-Weg in Kampen auf Sylt, Ecke Wattweg. Das stimmt zwar nicht ganz, man kann am anderen Ende noch irgendwie umdrehen. Wäre sonst auch schwierig für die Handwerker und Gärtner, die diese Häuser und Anwesen pflegen. Es ist ja sehr still und aufgeräumt im Hoboken-Weg, wo einer Studie des Immobilienmaklers Engel & Völkers zufolge die höchsten Quadratmeterpreise der Republik gezahlt werden, bis zu 35 000 Euro. Aber der Hinweis auf die Endlichkeit verleiht dieser exklusivsten Passage etwas dezent Abgeschlossenes und hält den einen oder anderen Touristen davon ab, mit dem Auto hineinzufahren. Zumal ein Wanderweg hindurch führt, dahinter liegen Dünen und Wattenmeer.

In der Rangliste verweist der Hoboken-Weg die Nachbarn Osterheideweg, Heideweg / Heidewinkel sowie den Wiesenweg auf die nächsten Plätze, dort waren oder sind die Quadratmeter 28 000 bis 30 000 Euro wert. In diesem überschaubaren Teil von Kampen finden sich also gleich die vier teuersten Wohnstraßen Deutschlands. Das Ostufer am Starnberger See (bis zu 25 000 Euro), der Harvestehuder Weg in Hamburg oder Münchens Königinstraße am Englischen Garten haben da keine Chance. Wie das kam und wie sich das hält auf der westdeutschen Lieblingsinsel?

Bewohner zeigen sich hier hinten an einem eher ungemütlichen Tag im Frühherbst nur vereinzelt, ein älterer Herr stellt rasch den Müll raus, nachher pustet der Wind die Tonnen um. Die meisten Besitzer sind am Ende des grandiosen Sommers gerade eh nicht da. Die reetgedeckten Anwesen hinter halbhohen Mauern aus großen Steinen, Bäumen und Hagebuttenhecken stehen häufig leer, es handelt sich in der Regel um angenehme Zweitwohnsitze, für Freizeit, Wochenenden, Abwechslung im Ruhestand. Kampen hat 520 Einwohner - und mehr als 1000 Zweitwohnungsbesitzer. Für manche von ihnen ist das, was sie dafür gezahlt haben, keine ganz so große Sache. Außerdem finden Experten, man müsse dieses Phänomen Sylt auch mal global betrachten, von oben sozusagen.

Ralph Justus Maus sitzt in seinem Büro, ein entspannter Makler im grauen Sweatshirt. 1974 hatte seine Mutter dieses Reetdachhaus von 1927 erstanden, für damals 540 000 Mark. Sie war Model gewesen, seine Eltern kannten Gunter Sachs und so, als der Jetset Kampen adelte und im Pony Club der Champagner floss (er fließt noch immer). Sie kannten auch Leute wie Axel Springer, der bereits 1953 das Haus von Peter Suhrkamp erwarb, laut Kampen-Website für 45 000 Mark. Nachher sicherte sich der Verleger Springer für eine höhere Summe den Klenderhof, wo ihn Willy Brandt besuchte, und spendierte der örtlichen Feuerwehr ein Löschfahrzeug, ehe der Klenderhof in Flammen stand. Ralph Justus Maus makelt, plant und baut auch schon seit mehr als zwei Jahrzehnten. Derzeit bei ihm in Kampen im Angebot, siehe Schaufenster oder Netz, zum Beispiel: "Einzelhaus unter Reet in schöner ruhiger Lage", 1206 Quadratmeter, 180 Quadratmeter Wohnfläche, 6,7 Millionen Euro. Oder: "Kleinod unter Reet", 500 Quadratmeter, 120 Quadratmeter Wohnfläche, 3,28 Millionen Euro.

Was sein bisher bester Verkauf gekostet hat? "Nur 18 Millionen Euro", antwortet Maus unaufgeregt. Nach internationalen Maßstäben sei das alles mäßig, "schauen Sie nach London oder an die Côte d'Azur." Seine Söhne arbeiten in Paris, L. A. und Tokio, er hat in Südfrankreich ein Ferienhaus, da reist er jetzt erst mal hin und dann mit den Söhnen nach Costa Rica. Sylt findet der Makler Maus trotzdem am schönsten, klar, er badet jeden Morgen in der Nordsee. Kürzlich war er zum ersten Mal auf Mallorca, einer wärmeren deutschen Lieblingsinsel, und sah, wie viel Platz dort vergleichsweise ist und welche Riesenvillengüter dort herum stehen. Sylt ist enger, das erklärt dieses durchaus irre Preisniveau: Es gibt in Kampen von jeher strenge Bauregeln. Und es gibt auf den 869 Hektar der Gemeinde kaum mehr Baugrund. Verknappung treibt die Preise, der Hoboken-Weg beispielsweise ist ausverkauft.

Dabei galt diese Gegend am Watt einst als deprimierend. Da wollte erst kaum einer wohnen, ehe die stille Lage immer mehr solvente Freunde fand, geschützt vor dem Westwind von der offenen Nordsee. Das Sylter Immobiliengeschäft läuft längst pausenlos wie geschmiert. Obwohl Einheimische und Pendler den Ausverkauf beklagen und die Bahnstrecke mit dem Autozug ständig klemmt. Die Niedrigzinsära spielt derzeit natürlich eine Rolle, wobei die Reichsten in der Regel keine Kredite aufzunehmen brauchen und auch dann nicht verkaufen, wenn ein anderer noch ein paar Millionen Euro mehr bietet. Den Umsatz der Immobilienbranche auf dem Eiland schätzt Maus auf 600 bis 700 Millionen Euro im Jahr. Man kann sich ausrechnen, was allein die Grunderwerbsteuer von 6,5 Prozent zwischen List und Hörnum in die öffentlichen Kassen spült.

Zu Maus' Kunden gehören Menschen wie Jürgen Klopp, der Trainer des FC Liverpool. Andere haben noch sehr viel mehr Geld, und nicht jeder erkennt sie auf den ersten Blick. Es kann passieren, dass da ein Milliardär mit Shorts den Laden betritt, weiß Maus, "da können Sie sich total irren". Der Fachmann philosophiert gerne über die keineswegs parallele Relation von Geld und Glück, hält aber schönes Wohneigentum naturgemäß für sinnlicher als ein dickes Aktiendepot. Die Millionäre und Milliardäre und auch die weniger Wohlhabenden, fast alles Deutsche, jedenfalls schätzen die Sylter Ruhe, die Strände, die Köche, die Partys. Sie ertragen sogar das Wetter, das nicht immer zu solcher Form aufläuft wie in diesem Jahr. Und die Sorgen der Welt verblassen mancherorts hinter Sylter Dünen. Auch wenn Diebe kürzlich binnen Minuten eine Kampener Boutique ausräumten, Schaden: 500 000 Euro.

"Hier ist richtig Geld drin", bestätigt in ihrem Amtszimmer Stefanie Böhm, seit neun Jahren ehrenamtliche Bürgermeisterin im Luxusdorf. Das merkt sie bei jeder Sitzung des Bauausschusses, und sie weiß: Das Geld ist Fluch und Segen für die Sylter Lieblingsorte. In Kampen verschwanden Fischhändler, Metzger, zwei Bäcker, drei Lebensmittelläden, weil andere besser zahlen. Nun wurde der Kindergarten geschlossen, unter den 25 Kindern war kein einziges Kampener. Mit Erbpachtgrundstücken will die Politik gegensteuern, und Stefanie Böhm legt Wert auf die Feststellung, dass Kampen eigentlich ein ganz normales Dorf mit Dorfleben sei. Das Dorf mit den vier teuersten Straßen Deutschlands halt.

© SZ vom 27.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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