Im Bann der Anden (IV):Der geballte Charme der Cholitas

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Sie sind tatkräftig und dulden keinen Widerspruch: Die "Cholas" genannten Indígenafrauen geben in Teilen Boliviens den Ton an.

Antje Weber

Sie sieht Ehrfurcht gebietend aus, wie sie da so steht. Breitbeinig hat sie sich uns in den Weg gestellt, die Hände angriffslustig auf die Hüften über dem mächtigen Rock gestemmt.

Die langen, schwarzen Zöpfe der wohl fast Siebzigjährigen scheinen vor Energie zu vibrieren. Geräuschvoll saugt sie Luft durch die Lippen ein, und dann donnert sie los, tausend Blitze aus den dunklen Augen schleudernd: "Frühstück gibt`s erst ab halb acht!!" - "Aber, äh, es ist halb acht." - "Nein, erst in zehn Minuten!!" Wer würde da weiteren Widerspruch wagen?

Ja, sie sind selbstbewusst, die Frauen in Bolivien. Eine peruanische Hostalbesitzerin würde sich freundlich lächelnd entschuldigen, dass das Frühstück leider noch nicht fertig sei, doch sofort werde etwas passieren, sofort... Das "Sofort" würde dann garantiert auch mindestens zehn Minuten dauern, doch der Gast würde in dieser Zeit zumindest nicht vor lauter Nervosität und Schuldbewusstsein anfangen, Fingernägel zu kauen.

Eine bolivianische Hostalbesitzerin in, sagen wir, Copacabana dagegen hat keine Probleme damit, einfach nur barsch "No!" zu sagen, wenn man das Zimmer im ersten Stock möchte, das eine Angestellte einem fünf Minuten zuvor angeboten hat: Schließlich hat die Chefin keine Lust, sich am nächsten Tag zum Putzen ein ganzes Stockwerk hochzuquälen. Wer würde das nicht sofort einsehen, im Angesicht eines Blitze schleudernden Energieballs?

Nach solchen einschüchternden Begegnungen glaubt man auch zu verstehen, warum es in La Paz einen Sport namens "Cholita Wrestling" gibt: Die "Cholas" genannten Großstadt-Indígenafrauen mit Bowlerhut und mehrlagigen Plusterröcken können bei diesen brachialen Wettkämpfen wahrscheinlich endlich mal so richtig Dampf ablassen.

Lesen Sie weiter über ebenso selbstbewusste und dazu noch herzliche Frauenpower im Umland.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es gibt auch unglaublich freundliche Frauen in Bolivien, herzlich, direkt, hilfsbereit. Und wenn insbesondere in den Städten manchmal doch ein etwas rauerer Charme durchbricht, lässt sich das leicht historisch erklären: Die Tradition der "Cholas" entwickelte sich hier Ende des 19. Jahrhunderts nach einer massenhaften Landflucht von Indígenas. Mehrheitlich waren es Frauen, die in Städten wie La Paz ihr Glück suchten.

Elizabeth Rojas Toro (r.) berät die Weberinnen. (Foto: Foto: Jacobs/Weber)

Sie fanden es als Händlerinnen und Geschäftsfrauen - und verdienen damit bis heute manchmal mehr Geld als ihre Männer. Geld wiederum macht unabhängig. Und selbstbewusst.

Ungekrönte Herrscherin

Auf etwas andere Art kann man das auch in einem Dorf weit weg von La Paz erleben, in Candelaria, zwei staubige Stunden von der nominellen Hauptstadt Sucre entfernt. Hier ist das Reich von Elizabeth, der ungekrönten Herrscherin über eine alte Hacienda - und, nun ja, über ein ganzes Dorf.

Elizabeth Rojas Toro ist eine herbe Schönheit, deren altersfleckige Hände verraten, dass sie schon über sechzig sein muss. Seit vier Generationen gehört die Hacienda ihrer Familie, und Männer kommen in dieser Geschichte nur sehr am Rande vor.

Elizabeth sieht mit ihrem breitkrempigen Hut und einer Zigarette im Mund aus wie ein weiblicher Cowboy, und sie handelt auch so: Die ehemalige Direktorin des Textilmuseums in Sucre und jetzige Besitzerin einer Reiseagentur verbringt die meiste Zeit in ihrer Hacienda, sät, erntet, organisiert und dirigiert mit durch-dringender Stimme das Personal, bis hin zu ihrem müde über den Hof schlurfenden Cousin: "Davicito!!!" Und Davicito, schon ein alter Mann, macht schlurfend sofort kehrt.

Elizabeth beherbergt oft Touristen in ihrer einst von den Jesuiten errichteten Hacienda, die heute malerisch heruntergekommen wirkt. Immer macht Elizabeth dann mit ihnen einen Gang durchs Dorf, um die Weberinnen zu besuchen.

Die haben gelernt, ihre einzige Chance zu nutzen: Sie weben mit Hingabe nach Jahrhunderte alter Tradition, gekleidet in die hier typischen schwarzen Tuniken und helmartigen Hüte, umgeben von spielenden Kindern und pickenden Hühnern. Sie weben kleinteilige, symbolträchtige, wunderschöne Muster, und da ihre Taschen und Teppiche immer begehrter werden, sind ihre Männer in der letzten Zeit eifersüchtig geworden - und haben ebenfalls begonnen zu weben.

Elizabeth hilft den Frauen, indem sie ihnen kaufwillige Touristen bringt. "Mutter" wird sie hier genannt, jeder grüßt sie, fragt sie um Rat, und die Mestizin Elizabeth antwortet in fließendem Quechua.

Es ist die Beziehung einer wohlwollenden Mutter zu ihren manchmal unartigen Kindern, und auch wenn man das nicht sehr emanzipiert finden mag: In einem Land mit so großen Gegensätzen wie Bolivien gehören eben auch feudalistische Tendenzen nicht ganz der Vergangenheit an. Es ist nicht die schlechteste aller hier möglichen Welten.

Am abendlichen Holzfeuer in der rustikalen Küche analysiert Elizabeth die Situation der Frauen in Bolivien. "In der Unterschicht auf dem Land sind die Frauen nur Opfer, sie arbeiten viel und werden nur ausgenutzt. Der Machismo ist allgegenwärtig", sagt sie. "In der Mittelschicht in den Städten dagegen haben die Frauen alles in der Hand, da herrscht das Matriarchat."

Sie vergisst die bolivianische Oberschicht; auch da gibt es Frauen, die haben Geld und Unabhängigkeit und die Hosen an, sie besitzen die Energie von drei Männern und sind Ehrfurcht gebietend selbstbewusst: Frauen wie sie selbst.

Reisetipps: Wer die Ruhe des Landlebens liebt und sich zumindest ansatz-weise für Textilkunst interessiert, wird Gefallen an der zweitägi-gen Tour von Sucre nach Candelaria finden. Samstags fährt man mit Hacienda-Besitzerin Elizabeth nach Candelaria und besucht die Weberinnen, sonntags geht es zu einem bekannten Markt im nahen Städtchen Tarabuco (Candelaria Tours, Sucre, Audiencia Nr. 1, www.candelariatours.com).

Hinweis: Die Geschichten dieser Serie wurden im Juli und Au-gust recherchiert. Damals war die politische Lage in Bolivien bereits angespannt, jetzt hat sie sich jedoch sehr verschärft. Vor einer Reise empfiehlt es sich daher, die aktuellen Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zu lesen.

Antje Weber, 40, war zehn Jahre lang Redakteurin der Süddeutschen Zeitung. Seit 2006 lebt sie in Quito in Ecuador und berichtet als freie Autorin aus Südamerika.

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