Geschmack der Heimat:In letzter Minute

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Seltene Spezies: das Montafoner Steinschaf. Eine Initiative will den Bestand mit Patenschaften mehren. Als Lohn winkt ein Lammschlegel. (Foto: Martin Mathies)

Die Montafoner besinnen sich auf den Sura Kees und fast vergessene Nutztierrassen wie das Braunvieh und das berggängige Steinschaf.

Von Johanna Pfund

Manche glänzen rötlich, andere schimmern elfenbeinfarben, wieder andere haben die Farbe von frisch gefallenem Schnee: Doch alles ist Sura Kees. Und alles dreht sich an diesem einen Sonntag im Juli um diesen eiweißreichen und fettarmen Sauerkäse, der auf den Alpen des Montafon hergestellt wird. Es ist das erste Sura-Kees-Anschnitt-Fest in St. Gallenkirch. Alpleute tauschen sich an den Ständen aus und erzählen den Besuchern gerne, wie es oben auf der Alp zugeht. Sinn und Zweck des Festes ist es, dieser regionalen Käsespezialität Renommee zu verschaffen. "Der Kees ist was Besonderes", sagt Oswald Ganahl, der als Obmann des Vereins Bewusstmontafon ein großes Ziel hat: Montafoner wie Gäste sollen Geschmack an regionalen Spezialitäten finden, sie kaufen, genießen - und stolz darauf sein.

Im Montafon, dem südlichsten Tal im österreichischen Bundesland Vorarlberg, ist es wie in vielen anderen Alpentälern. Die Bevölkerung war bis ins 20. Jahrhundert hinein weitgehend arm, lebte mehr schlecht als recht von der Landwirtschaft, in einer Region, die kaum ebene Flächen, dafür Berge mit mehr als 3000 Metern Höhe hat. Dazu kam, dass durch Erbteilung viele Höfe immer kleiner wurden und kaum genug zum Leben abwarfen. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden daher die Kinder aus großen Familien im Sommer hinausgeschickt ins Schwäbische, um dort auf den Bauernhöfen zu arbeiten. Schwabenkinder hat man sie genannt, zahlreiche Romane und Dokumentationen befassen sich mit diesem bitteren Thema. Doch man war auch erfinderisch. Aus dem wenigen, was man hatte, wurde das Beste gemacht. Sura Kees zum Beispiel.

Schon im 12. Jahrhundert wurde der Käse erwähnt, die detaillierteste Beschreibung stammt aus dem 18. Jahrhundert, von einem Pfarrer aus dem Prättigau, Johann Catani. Zusammen mit seinem Pfarrerskollegen Luzius Pol kam er auf einer Wanderung auf die Montafoner Alpe Garnera. Und sah dort, wie Sura Kees gemacht wird. "Ihr ganzes Verfahren besteht darinnnen: sie lassen die mit Milch gefüllten Geschirre (. . .) 6 bis 8 Tage ungerührt stehen; dann nehmen sie den Rahm (. . .) zum Buttermachen (. . .). Die abgerahmte Milch, welche gemeiniglich schon dick ist, wird in den über das Feuer gesetzten Kessel geschüttet, darunter gelinde gefeuert, bis der Käß völlig oben auf von der Schotten geschieden steht (. . .)." Mit der aufkommenden Industrialisierung und der Käseherstellung mit Lab galt dieses Verfahren bald als rückständig - ging aber nie ganz verloren. Auch wenn die Landwirtschaft in dem Tal, dessen wirtschaftliche Standbeine mit Silvretta- und Vermuntstausee die Stromerzeugung und dank der Berge der Tourismus sind, nur noch eine kleine Rolle spielt.

"Die meisten Betriebe im Montafon sind Nebenerwerbsbauernhöfe", erzählt Oswald Ganahl. Arbeit finden die Leute anderswo, etwa beim Stromerzeuger. Doch viele der Alpen, wie die Almen im alemannischen Sprachraum genannt werden, sind noch oder wieder bewirtschaftet. Dort wird Sura Kees erzeugt, ebenso in einigen Talbetrieben. Jährlich verarbeiten die Landwirte bis zu 2,5 Millionen Kilogramm Milch zu mehr als 200 000 Kilogramm Sura Kees. Der Rahm wird zu Butter verarbeitet, die Molke wird an die Alpschweine verfüttert. Eine perfekte Nutzung.

Dass all dies bekannter wird, daran arbeiten die Montafoner seit gut 15 Jahren gezielt. Ein Schritt war 2005 die Aufnahme des Montafoner Sura Kees in den Katalog der Initiative Genuss Region Österreich. Eine Prämierung alljährlich im Oktober sorgt dafür, dass laufend an der Qualität des Käses gearbeitet wird. Er darf eine Schmiere außen haben, er darf mit Paprika gewürzt sein oder auch nicht, innen soll er weiß sein. Schnittfest bis leicht bröselig ist er, eine Art fester Quark. Der säuerliche Geschmack variiert von Alpe zu Alpe, aber stinken, das darf der Käse nicht. Es gibt viele Möglichkeiten, den Käse weiterzuverarbeiten: zu Suppe, zu Terrinen, zu Aufläufen, zum Überbacken - je nach Gusto. Einige Gasthäuser und Hotels haben die Spezialität zu einem Bestandteil ihrer Speisekarte gemacht - Montafoner Produkte im Montafon.

Die Schafe sind genügsam und wären gut, um die Alpen von Bewuchs freizuhalten

Der Kees ist übrigens nicht die einzige Besonderheit des Tals. Es gibt sogar zwei eigene Tierrassen, eine Seltenheit für eine so kleine Region. Das Montafoner Braunvieh und das Montafoner Steinschaf. Beide sind genügsam und der rauen Umgebung angepasst. Beim Schaf ist es ein bisschen wie mit dem Käse, es war zwischendurch fast in Vergessenheit geraten. Und wie beim Sura Kees ist es auch hier das Engagement einiger weniger, die versuchen, die regionale Besonderheit, in diesem Fall die Tierrasse zu bewahren. Einer davon ist Peter Kasper, Versicherungskaufmann und im Nebenberuf Schafzüchter. Im Nebental Gargellen hat er auf einer Maisäß - einer niedrig gelegenen Alpe - seine Herde. Braun, weiß, schwarz oder gescheckt sind die Tiere. Fremde Besucher auf der Weide betrachten sie mit Argwohn. Dabei sind sie gar nicht so, sagt Kasper. "Sie sind eigentlich zutraulich und genügsam." Dass sie geländegängig sind, beweisen die Tiere schnell - sie verschwinden ruckzuck in einem Steilhang, um dort in aller Ruhe zu fressen. "Sie wären gut, um die Alpen von Bewuchs frei zu halten", sagt Kasper.

Noch hat er nur wenige Mitstreiter, die Arbeitsgemeinschaft Montafoner Steinschaf besteht aktuell aus ihm und Martin Mathies. Gemeinsam züchten sie gezielt die Schafe, die als genügsam und krankheitsresistent gelten. "Sie fressen alles", sagt Peter Kasper. "Gehölze und Sträucher werden zuverlässig verbissen und reduziert", heißt es in der Broschüre zum Montafoner Steinschaf. Für 200 Euro im Jahr kann man eine Patenschaft für ein Montafoner Steinschaf übernehmen - die Dividende hat dann wieder mit Genuss zu tun. Zur Wahl stehen Wollprodukte oder Fleisch. Für Letzteres liefert die Initiative in ihrer Broschüre das passende Rezept gleich mit: Lammschlögel nach Bergbauernart. "Aber, so erzählt der Züchter, "die meisten wollen lieber kein Fleisch." Lieber ein Wollkissen und dazu einen Sura Kees. (Das 2. Sura Kees Anschnittfest findet statt am 9. Juli 2016, 17 Uhr, St. Gallenkirch; www.bewusstmontafon.at)

© SZ vom 28.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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