Gerettetes Schiff:Hamburgs Glanz

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Schnell, erfolgreich, fast verschrottet: Die historische Viermastbark "Peking", die 1911 vom Stapel lief, kehrt nach langer Irrfahrt in ihren Heimathafen zurück.

Von Peter Burghardt

16 Jahre lang wurde verhandelt, dann konnte die Peking nach Deutschland zurückkehren. Zuvor lag sie bis 2017 unweit der Brooklyn Bridge in New York und verrottete. (Foto: Jan Sieg)

Bei den Kahls im Hamburger Westen ist das Schiff längst angelandet. "Freunde der Viermastbark Peking e. V." steht auf dem weißen Poloshirt des Hausherrn, Mathias Kahl ist der Vereinsvorsitzende. In einer Vitrine im Gang steht ein Modell der Peking, die bald wieder zur Attraktion im Hamburger Hafen werden soll. Schwarzweißroter Rumpf, detailgetreuer Aufbau - ein Schmuckstück aus Bayern, erstanden auf Ebay. An den Wänden hängen Fotos und Gemälde, etliche davon fotografiert oder gemalt von Angelika Kahl, viele davon zeigen: die Peking.

Die echte Peking liegt an diesem Vormittag noch bei der Peters Werft in Wewelsfleth, einige Kilometer die Elbe hinab, zwischen Glückstadt und Brokdorf. Dort wird sie renoviert. Genauer: Sie wird in jenen Zustand versetzt, in dem sie ihre Heimat vor fast neun Jahrzehnten zuletzt verlassen hatte. Es naht das Finale einer Odyssee, die aus Hamburger Docks über Weltmeere führte, durch Stürme, nach Südamerika, zu den Briten, in ein New Yorker Schattendasein und vor zwei Jahren endlich zurück. 2020 soll die Peking am Ende ihrer langen Reise als schwimmendes Relikt der Seefahrt und der Hamburger Geschichte im Hamburger Hafen festmachen. Dort, wo alles begonnen hatte.

Mathias Kahl ist Jahrgang 1950. Er war noch nicht geboren, als die Peking am 25. Februar 1911 bei Blohm+Voss vom Stapel lief, als sie am 16. Mai 1911 der Reederei F. Laeisz übergeben wurde und am 22. Juni unter Kapitän Hinrich Nissen zu ihrer ersten Fahrt nach Chile ablegte, um Salpeter abzuholen. Vorbei an Kap Hoorn, davon wird noch die Rede sein. Doch Kahls Vater fuhr ab 1928 als junger Mann ein paar Jahre lang auf der Peking, einem der damals bedeutendsten Frachtsegler der Welt. "Kahl, Karl", ist in einer alten Liste der Besatzung zu lesen. Datum: 4. 5. 1928. Lohn: null. Der Schiffsjunge Karl Kahl schuftete anfangs nach dem Prinzip "Hand gegen Koje", dann gab es ein paar Reichsmark Heuer. Später wurde er Kapitän, wenn auch nicht auf der Peking.

Die Viermastbark Peking wurde 1911 von der Werft Blohm & Voss in Hamburg im Auftrag der Reederei F. Laeisz gebaut. (Foto: Hans Hartz/Picture allience/dpa)

Der Vater starb, als der Sohn neun Jahre alt war, "aber er hat mir wahnsinnig viel von seinen Reisen erzählt", sagt Mathias Kahl. "Seit Kindheit kenn' ich die Geschichten", Bilder von Windjammern hingen schon in seinem Kinderzimmer. Seine Frau sagt, dass ihr Mann immer von der Peking gesprochen habe, sie malte ihr erstes Bild der Peking 1984. Jetzt gehören sie zu jenen Enthusiasten, die dieses prächtige Stück Hamburger Vergangenheit nach Hause geholt haben.

Eine sagenhafte Rückkehr. Vorstand Kahl fuhr zwar selbst nie berufsmäßig zur See wie sein Vater, der auf der Peking noch ohne Sicherung in den Riggs hing, so machte man das seinerzeit. Aber der Diplom-Kaufmann war 42 Jahre lang in der Schifffahrtsbranche tätig und ist seit seiner Pensionierung hauptsächlich für die Peking im Einsatz. Für eine Erinnerung an eine Epoche ohne Motor, ohne Dampf, ohne Diesel, ohne Container.

Dem Besucher legt er Papiere vor, auch hält er ständig Vorträge über die Peking. Chronik und Daten kennt er praktisch auswendig, wie vermutlich jeder aus der Riege von Verein und Stiftung, die mit äußerst großzügiger Hilfe von Staat und Politik diese Kursänderung hingekriegt haben. Die Peking ist 115 Meter lang und 14,40 Meter breit, Tiefgang 7,20 Meter, der Rumpf ist aus genietetem Stahl. Die Masten ragen 62 Meter über den Kiel und 51 Meter über das Deck hinaus, bestückt mit 34 Segeln.

Der schnelle Transportsegler gehört zu den Flying-P-Linern der Laeisz-Flotte, deren Name jeweils mit P beginnt. Vier davon gibt es noch: Die Peking ist demnächst also wieder in Hamburg, die Padua segelt als russisches Schulschiff Kruzenshtern weiter, die Pommern liegt als Museumsschiff in Finnland, die Passat lässt sich seit 1960 in Travemünde besichtigen. Außer Dienst gestellt wurde die Passat 1957, nachdem sie mit schwerer Schlagseite einen Sturm überstanden hatte und ein anderer P-Liner wenige Wochen zuvor im Hurrikan gesunken war: Auf der Rückfahrt von Buenos Aires ging die Pamir im aufgepeitschten Atlantik unter, 80 der 86 Besatzungsmitglieder starben.

Mathias Kahl stand als Bub mit seinem Vater an der Elbe, als die Pamir ein letztes Mal auslief. Er erinnert sich, wie ihm Tränen in die Augen schossen, als er hörte, dass sie verloren war.

Die Peking hielt Winden und Wogen stand, ehe ihre Flaute anbrach. 34 Mal umrundete sie Kap Hoorn, die berüchtigte Südspitze Südamerikas. Im Netz ist ein Schwarz-Weiß-Film des US-Abenteurers Irving Johnson von 1929 zu sehen, Titel: "Around Cape Horn" oder "The Peking battles Cape Horn", da wühlt sich die Peking durch die Monsterwellen an diesem Eingang zur Vorhölle. Es ging damals ohne Motor und Strom nicht anders von Europa zu den chilenischen Pazifik-Häfen, wo Salpeter aus der Atacama-Wüste geladen wurde, trotz Panama-Kanal. Ungefähr 90 Tage dauerte die Tour, einfach, 4100 Quadratmeter Segel machten die Peking 17 Knoten flott, 31 Stundenkilometer. An Bord waren 30 Mann und später 42 Kadetten, als Proviant an Bord unter anderem Schweine und Hühner. 1921 musste das Schiff dann als Reparationszahlung nach dem Ersten Weltkrieg Italien überlassen werden, für 8500 Pfund bekam die Reederei Laeisz sie 1923 zurück. Für den Aufstieg von Hamburgs Hafen waren solche Schiffe und ihre Ladung entscheidend. Doch als der synthetische Dünger und Sprengstoff Salpeter langsam überflüssig machten, die Produktionsstätten in Chiles Norden zu Geisterstädten verkamen und die Weltwirtschaftskrise hereinbrach, schien die Peking für immer aus Hamburg zu verschwinden.

Am 24. Juni wurde das Segelschiff ausgedockt. Die Sanierung wird noch teurer als erwartet, 35 Millionen Euro, immerhin billiger als die Reparatur der Gorch Fock. (Foto: Carsten Rehder/picture alliance/dpa)

1932 wurde der Viermaster für 6250 Pfund nach England verkauft und blieb bis 1974 als stationäres Ausbildungsschiff Arethusa auf dem River Medway und im Zweiten Weltkrieg als HMS Pekin der Royal Navy. Nächste Etappe der Irrfahrt: 1975 zog ein holländischer Schlepper die Peking über den Atlantik nach New York, das South Street Seaport Museum hatte für 70 000 US-Dollar zugegriffen. Die Heimatlose bekam wieder ihren alten Namen und ihre alten Farben, doch da lag sie nun. East River, Pier 16, unweit der Brooklyn Bridge. Bis 2017.

Die Kahls schauten vorbei, wenn sie in Manhattan waren. Die Liebe der Amerikaner zu der fremden Bark dagegen hielt sich in Grenzen. Die Peking verrottete, beinahe wäre sie verschrottet worden. "Dann kam diese Geschichte", sagt Mathias Kahl. Die Geschichte der Rettung.

16 Jahre lang wurde verhandelt. Die Initiative übernahmen 2001 Reinhard Wolf, Syndikus der Hamburger Handelskammer, und Joachim Kaiser, Kapitän und Sachverständiger für historische Schiffe. Die Hamburger Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs (SPD) und Rüdiger Kruse (CDU) klärten schließlich die Finanzen: Der Haushaltsausschuss machte 120 Millionen Euro für den Bau eines Deutschen Hafenmuseums in der Hansestadt inklusive 26 Millionen Euro für Heimholung und Restaurierung der Peking locker. Am 31. Juli 2017 erreichte das Wrack im Dockschiff Combi Dock III die Elbe, knapp 86 Jahre nach dem letzten Auslaufen.

Die Sanierung wird noch teurer als erwartet, 35 Millionen Euro, immerhin billiger als die Reparatur der Gorch Fock. Unter anderem mussten tonnenweise verrosteter Stahl und die Takelage ausgetauscht werden. An Deck wurde wieder edles Holz verlegt, Oregon Pine. Als Vorlage dienen Pläne der baugleichen Passat. Fahrstuhl und barrierefreie Zugänge kommen dazu, ansonsten soll die Peking aussehen wie zu ihren Glanzzeiten in den Zwanzigern.

Als Liegeplatz ist ab circa Mai 2020 das Wasser am Kleinen Grasbrook vorgesehen, beim künftigen Hafenmuseum, in Sichtweite der Elbphilharmonie, dem Wahrzeichen der Hamburger Moderne. Klappt alles, dann könnte die Peking mehr noch als der Dreimaster Rickmer Rickmers ein Hamburger Symbol werden. Bewegen soll sie sich dann nicht mehr, auch nicht beim Hafengeburtstag, das wäre endgültig zu teuer. Freundeskreischef Kahl führt noch rasch in seinen Keller, da lagern neben Fotos und dem Koffer von seinem Vater ein Bullauge und ein Stück Stahl mit Nieten, alles von der Peking. Das eine oder andere Teil war wohl schon am Kap Hoorn.

Nun wurde die Peking in der Peters-Werft in Wewelsfleth restauriert. Sie soll als Museumsschiff in ihren Heimathafen Hamburg zurückkehren. (Foto: Dietrich Peter Kleine/Freunde der Viermastbark Peking e.V.)
© SZ vom 12.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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