Flugsicherheit:Sky Marshal an Bord

Lesezeit: 3 min

Die Lufthansa setzt jetzt erstmals bewaffnete Flugbegleiter ein, doch entscheidend sind die Kontrollen am Boden.

Joachim Käppner

(SZ vom 26.09.2001) - München: Flugkapitän Wolfgang Anders (Name geändert; SZ) fliegt seinen Airbus seit den Terroranschlägen in New York mit einem ziemlich unbehaglichen Gefühl im Rücken. "Die Gefahr einer Entführung", sagt der erfahrene Pilot, "war für uns bisher eher eine theoretische Größe. Man verließ sich auf die Sicherheitsmaßnahmen und flog los." Seither gibt es also dieses seltsame Gefühl, und trotzdem ist Kapitän Anders sehr skeptisch über manche der neuen Sicherheitspläne für seine Linie. Da sind die Cockpittüren, die künftig so gesichert werden sollen, dass Entführer nicht in die Pilotenkanzel vordringen und dort, wie bei den Todesflügen von New York und Washington, die Kontrolle übernehmen können.

Verschärfte Sicherheitskontrollen am Frankfurter Flughafen. (Foto: N/A)

Anders denkt über den Fall der Fälle nach. Was soll der Pilot aber tun, wenn Entführer hinten in der Kabine Geiseln nehmen und drohen, sie umzubringen: "Lassen wir dann die Tür zu und nehmen den Tod einer Stewardess oder eines Passagiers in Kauf?"

Um eben diese Situation zu verhindern, setzt die Lufthansa jetzt erstmals in ihrer Geschichte auf bewaffnete Flugbegleiter, für die sich der blumige Begriff der "Sky Marshals" eingebürgert hat. Ab sofort fliegen sie mit. Über "Art und Umfang ihres Einsatzes" hüllt sich die Deutsche Lufthansa in eisernes Schweigen. Konzern-Sprecher Thomas Ellerbeck sagt nur so viel: "Wir haben bereits damit begonnen, die Flugbegleiter einzusetzen, und bei ihnen handelt es sich um hochspezialisierte Experten."

Israel als Vorbild

Zu deren Bewaffnung will die Lufthansa ebenfalls nichts sagen. Intern aber heißt es, dass die Sicherheitsleute keine scharfen Schußwaffen dabei haben - selbst die Projektile kleinkalibriger Pistolen könnten die dünne Außenwand der Kabine durchschlagen oder die empfindliche High-tech an Bord irreparabel beschädigen. Bei Flügen in großer Höhe könnte der Druckverlust sogar zum Absturz führen. Denkbar sind freilich Selbstverteidigungswaffen wie Elektroschocks, Elektropfeile (Taser) oder Waffen, die Gummigeschosse abfeuern - kurz: fast das ganze Arsenal "nicht-letaler Waffen".

Die Männer und Frauen sind außerdem in Kampfsporttechniken ausgebildet. Wie bei der israelischen El Al, die seit 1968 alle ihre Flüge bewachen lässt, sind die deutschen Flugbegleiter in Zivil in der Maschine dabei und als solche nicht zu erkennen. Offensichtlich setzt die Lufthansa dabei nicht nur auf Sicherungsbeamte des Bundesgrenzschutzes (BGS), sondern auch auf Mitglieder privater Sicherheitsfirmen. "Das ist empörend", sagt Konrad Freiberg, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP): "Solche heiklen Aufträge gehören in professionelle Hände."

Schusswaffen sind zu gefährlich

Die Lufthansa will das israelische Konzept nicht einfach übernehmen. El Al ist eine kleine Linie mit einer überschaubaren Zahl von Verbindungen, und es gibt im kleinen Israel fast keine Inlandsflüge. Schon wegen der schieren Menge der täglichen Flüge innerhalb Deutschlands werden nicht bei jedem Start einer Lufthansamaschine die Marshals an Bord sein. Andererseits gibt es für ihren Einsatz keine Beschränkung auf bestimmte Linien, etwa Transatlantikflüge. Ein Entführer muss auf jedem Flug damit rechnen, dass er plötzlich Flugbegleitern gegenüber steht.

Bei den Piloten der Lufthansa ist der Einsatz von Air Marshals nicht unumstritten, sie lehnen sie aber auch nicht mehr ab. Flugkapitän Anders: "Flugbegleiter könnten tatsächlich verhindern, dass Entführer eine Maschine kapern - wie in den USA geschehen. Aber Schusswaffen - das ist zu gefährlich. Am Ende wird der Begleiter niedergeschlagen, und der Entführer hält dessen Pistole in der Hand."

Wer hat die Entscheidungsgewalt?

Ein möglicher Konflikt liegt auch darin, wer in einer Krisensituation entscheidet: der Pilot, der die Polizeigewalt an Bord hat, oder der Sicherheitsmann. Der Pilot könnte sich etwa entscheiden, den Forderungen eines Hijackers nachzugeben. Verkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) ließ am Dienstag aber keinen Zweifel daran, dass die Sky Marshals dem Piloten unterstellt sind.

Entscheidend sind ohnehin die Sicherheitskontrollen am Boden. Je laxer diese ausfallen, desto weniger helfen Sky Marshalls an Bord. 1985 entführten drei mit Pistolen und Handgranaten bewaffnete Terroristen eine ägyptische Boeing nach Malta. Ein Flugbegleiter schoss zwar auf die Entführer, wurde aber von diesen getötet. Beim Versuch ägyptischer Spezialeinheiten, die Maschine in Malta zu stürmen, starben sechzig Menschen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: