Flughafen Tempelhof in Berlin:Der gerupfte Adler

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Auf einer Tour durch den Flughafen Tempelhof tritt man durch jede Tür in ein anderes Jahrzehnt. Im Herbst soll nun der Flugbetrieb enden.

Hans Gasser

Ob er denn für sich und "meine mir Angetraute" noch einen Fensterplatz bekommen könnte, fragt der alte Mann im dunkelblauen Trenchcoat. Das ist möglich, sagt die Dame am Check-in, die ein etwas altmodisches Uniförmchen trägt, in einem Farbton zwischen Grün und Grau. "Haste denn Hieb-, Stich- oder Schusswaffen dabei?", fragt der Trenchcoat noch. Die ihm Angetraute erwidert nichts.

Zwei Dutzend Menschen, vorwiegend ältere Jahrgänge, gehen an einem regnerischen und zu kalten Vormittag im Frühling von der Abfertigungshalle des Flughafens Berlin-Tempelhof hinaus auf das Rollfeld. Das ist überspannt mit einem von massiven Stahlträgern gehaltenen Dach. Während sie warten, rollt ein Flugzeug mit zwei Propellern heran.

Das Flugzeug sieht aus wie handgenagelt - Zehntausende Nieten halten glänzendes Blech zusammen. Trockenen Fußes können die Passagiere einsteigen, oder besser aufsteigen, denn von hinten in Richtung Cockpit ist eine Steigung zu bewältigen - das Rad am Heck steht tiefer als die beiden Räder vorne. Braune Ledersitze, dezente Holzverkleidung, Faltenvorhängchen an den Fenstern. Es ist eine Douglas DC3, Baujahr 1944.

Sie soll, so behauptet der Veranstalter, einer der Rosinenbomber sein, die vor genau 60 Jahren elf Monate lang Westberlin mit Lebensmitteln versorgt haben. Alle 90 Sekunden soll damals hier in Tempelhof eine Maschine gelandet sein. Davon können die Nostalgiker unter den Passagieren heute nur noch träumen, sobald sich das Flugzeug unter ohrenbetäubendem Knattern und starkem Vibrieren in den Himmel über Tempelhof erhebt.

Draußen ist Waschküchenwetter, der Alte im Trenchcoat feuert dennoch eine Fotosalve nach der anderen durch die von Wasseradern überzogenen Fenster. Unten sieht man kurz das Gebäude des Flughafens. Wie ein stilisierter Adler im Flug schmiegt es sich an den ovalen Flugplatz mitten in der Stadt. 1,2 Kilometer lang ist es, eines der größten Gebäude der Welt. Der Architekt Ernst Sagebiel hat es im Auftrag Hitlers entworfen. Von 1936 bis 1940 wurde daran gebaut.

Es sollte der passende Flughafen zu Albert Speers Nazi-Hauptsstadt Germania werden. Aus der wurde schließlich nichts, und auch der Flughafen blieb zum Teil Rohbau. Dennoch kann man an ihm so gut wie nirgendwo anders sehen, wie kühn, kühl und größenwahnsinnig Berlin wohl umgebaut worden wäre.

In 600 Metern Höhe fliegt die DC3 über die Stadt, die, aus der Luft besehen, klar von Mietskasernen mit Innenhöfen und riesigen Schrebergartenfeldern bestimmt wird. Immer wieder taucht der Flieger kurz in Wolken ein, und da in der Broschüre stand, dass auf Sicht geflogen wird, ist das nicht gerade beruhigend. Durch die geöffnete Cockpittür sieht man einen Scheibenwischer.

Er wischt wie in Zeitlupe. Es geht einmal zum Schwielowsee und zurück, gemächlich mit 200 km/h, nach einer halben Stunde landet der Blechvogel anstandslos auf dem nassen Flugfeld. Die Landebahn endet keine 100 Meter vor den Mietshäusern der Oderstraße in Neukölln. Mit leuchtenden Augen verlassen die Passagiere das Flugzeug, das wieder unter das breite Vordach gerollt ist.

Es herrscht Endzeitstimmung

Die Abfertigungshalle wirkt am späten Vormittag wie das Bühnenbild aus einem Marthaler-Stück. Fast menschenleer, der Boden mit hellgrau marmoriertem Linoleum ausgelegt, darüber eine Art Kassettendecke, mit Neonröhren eingefasst. Ein Gepäckband, das ewig stillzustehen scheint.

Die Frontwand, die nach Sagebiels Plänen völlig aus Glas sein und damit freien Blick auf das Flugfeld gewähren sollte, ziert eine Art Wellblech, darauf klebt eine Uhr mit leuchtenden Indizes und ein Restaurant-Schriftzug, der nicht mehr leuchtet. Auf den Abflugtafeln sind für den ganzen Tag 14 Flüge angekündigt, nach Brüssel, nach Graz oder Växjö in Schweden.

Der Mann in der Gepäckaufbewahrung sieht sehr müde und traurig aus, die Regale hinter ihm sind leer. Vor dem einzigen Restaurant namens Airlift sitzt eine Gruppe junger Asiaten um einen Laptop mit Verstärkerlautsprechern. Mit offenen Mündern und unter kollektiven Lachausbrüchen schauen sie sich Disneys "König der Löwen" an.

Es herrscht Endzeitstimmung auf dem Flughafen Tempelhof. Am 31.Oktober soll hier nach dem Beschluss des Berliner Senats der Flugbetrieb eingestellt werden, und zwar endgültig. Der im Bau befindliche Großflughafen in Schönefeld soll von 2011 an den gesamten Flugverkehr der Hauptstadt übernehmen. Doch es gibt viele Menschen in der Stadt, die damit nicht einverstanden sind. 200.000 haben unterschrieben für einen Volksentscheid, der am 27. April abgehalten wird.

Gegner und Befürworter des Flugbetriebs tapezieren zurzeit die Stadt mit ihren Plakaten, als ginge es um die Abschaffung der Demokratie. Die einen wollen Tempelhof mindestens als Geschäftsflughafen, und das Gebäude wollen sie dem Milliardär Ronald Lauder für ein Gesundheitszentrum mit Jetanschluss überlassen.

Die anderen wollen einen neuen Stadtteil um das denkmalgeschützte Gebäude herum entwickeln, haben aber noch keinen wirklichen Plan. Egal wie der Volksentscheid ausgeht, rechtlich bindend ist er für den Senat nicht.

Einer, dem die Schließung des Flughafens zutiefst widerstrebt, ist Klaus Eisermann. Er war 37 Jahre am Flughafen Tempelhof beschäftigt. Als 1971 mehr als sechs Millionen Passagiere hier ein- und ausstiegen, wies er die großen Flugzeuge in ihre Parkposition ein.

Seit vier Jahren ist er in Rente und führt Interessierte auch durch die nichtöffentlichen Teile des Flughafengebäudes. 9000 Büroräume gibt es hier, 284.000 Quadratmeter Grundfläche. Das meiste dämmert ungenutzt vor sich hin, in einem Seitenflügel ist das Polizeipräsidum untergebracht, in einem andern die Tanzschule "Ballhaus Traumtänzer". 15 Millionen Euro Verlust soll der Flughafen jährlich machen.

"Eine weitere Sensation"

"Hier schon die erste Sensation", sagt Klaus Eisermann, der sich für die Führung im Außenbereich des Flughafens eine neonleuchtende Weste übergezogen hat. Er blickt hoch zur Dachkonstruktion, die, mehr als 40 Meter breit, 400 Meter lang und 12 Meter hoch, einen Teil des Rollfeldes überspannt.

So etwas habe es bis dahin nie gegeben, auch die klare Trennung zwischen Ankunfts- und Abflugsbereich sei damals neu gewesen. Die Nazis wollten nicht einfach nur einen Flugplatz, sondern einen "Weltflughafen", ein "Luftstadion". Davon zeugen die 13 Treppentürme, die aufs halbrunde Dach führen. Über sie hätten binnen kürzester Zeit bis zu 100.000 Menschen hochsteigen können, um von dort Görings Flugschauen zu beklatschen. Dazu sei es nie gekommen, sagt Eisermann. "Die Flugschauen haben andere gemacht. 370 Bombenangriffe auf die Stadt. Da hat man sich eher nach unten verdrückt. Hatte aber den Vorteil, dass man keinen Eintritt bezahlen musste."

Der Flughafen wurde während des Krieges bereits für zivile Flüge genutzt, in einem 400 Meter langen Eisenbahntunnel ("eine weitere Sensation"), der zum Flughafen führt, wurden Focke-Wulf-Jagdbomber zusammengebaut, auch von Zwangsarbeitern. Eisermann zeigt den Erdwall, an dem die Waffen eingeschossen wurden, bevor die Flieger das Werk verließen.

In den langen Seitenflügeln des Gebäudes zum Flugfeld hin reihen sich Hangare. Auf manchen Schiebetoren steht noch in fetten Lettern "Army". Die Amerikaner waren von 1945 bis 1993 Herren über den Flughafen, von 1951 an ließen sie nebenher auch wieder einen zivilen Flugbetrieb zu. Sie waren es auch, die den mehr als vier Meter hohen Reichsadler aus Metall vom Dach des Gebäudes nahmen und seinen Kopf in ein Militärmuseum in Illinois verfrachteten.

Im Zeichen der Völkerverständigung wurde er 1985 wieder zurückgebracht und vor der Hauptfassade des "Zentralflughafens" aufgepflanzt, wo er heute mit äußerst grimmigem Geschau der ohnehin abweisenden Architektur noch Nachdruck verleiht.

Auf dem Weg durch den Flughafen begegnet Klaus Eisermann sehr vielen Bekannten. "Na, wie geht's?" fragt er den Mann von der Gepäckaufbewahrung. Der verzieht sauertöpfisch das Gesicht und sagt nichts. "Jut, ick ziehe meine Frage zurück." Sie alle hier wissen, dass ihre Tage auf diesem Flughafen gezählt sind, und ob sie in Schönefeld eine neue Anstellung bekommen, wissen sie noch nicht.

"Jetzt verlassen wir das Jahr 2008 und treten ein ins Jahr 1948", sagt Eisermann feierlich, während er die Tür zu einem Treppenhaus aufsperrt. Das ist innen unverputzt und schmucklos, "Originalzustand 1948". Es führt in eine lange, hohe Halle. Man befinde sich hier über der heutigen Eingangshalle des Flughafens, erklärt Eisermann, sozusagen im großen Rest der ursprünglich 15 Meter hohen Pfeilerhalle.

Untertags Wolken und abends Sterne

Die wurde in den zweckgerichteten Fünfzigern kurzerhand im ersten Stock mit einer Decke abgehängt. Der Blick nach oben zeigt verrußte Rosetten, Überrest eines Brandes. Die seien einmal vergoldet gewesen, sagt Eisermann und wo jetzt Stahlstreben aus den Wänden schauen, seien einmal massive Steinplatten gewesen. "Das 1000-jährige Reich verlangte eben den Einsatz von hochwertigen, langlebigen Materialien." Alles, was aber nicht niet- und nagelfest gewesen sei, habe "der Iwan" mitgenommen. Iwan sagt Eisermann stets, wenn er die Sowjets meint, die Tempelhof im Juli 1945 an die Amerikaner übergeben mussten.

Über Treppenhäuser, durch viele, viele Türen und Gänge geht es durch das Gebäude. Es ist wie ein historischer Kalender. Durch jede Tür tritt man in ein anderes Jahrzehnt. Über der Abfertigungshalle hatte Sagebiel einen Bankettsaal vorgesehen. "Da sollte ein Kunststoffhimmel rein, auf den untertags Wolken und abends Sterne projiziert worden wären", sagt Eisermann.

Stattdessen haben die "Berlin Braves", die Basketballmannschaft der amerikanischen Soldaten, hier ihre Sporthalle eingerichtet. Vom Korb bis zur Anzeigetafel ist alles noch so, wie es die Army verlassen hat. Auf dem Dach zum Flugfeld hin war ein verglastes Dachrestaurant geplant. "Stellen Sie sich vor", sagt Eisermann, "Sie könnten da jetzt sitzen und ein Eis schlecken - naja, heute vielleicht eher einen Glühwein trinken. Das wär's gewesen, wa?"

Dann geht es wieder durch viele Türen hinunter in einen Innenhof: hohe, weiß eingefasste Fenster, streng aneinander gereiht, die Fassaden aus ockerfarbenen Muschelkalkplatten, ohne Ornament. Wenn man hier alleine unterwegs ist, beschleicht einen ständig das Gefühl, man dürfe hier eigentlich gar nicht sein und irgendwann tritt einer aus einer Tür und ruft: "Sie da. Was machen Se hier? Weisen Sie sich aus!"

"Nun geht es hinunter in die Hölle" sagt Eisermann grinsend. Drei Kellerstockwerke gibt es, aber die oft beschworenen Katakomben oder riesigen Bunkeranlagen gebe es hier nicht. Hier unten gibt es einige Luftschutzräume, weiß gekalkt und von irgendeinem Künstler mit lebensgroßen Wilhelm-Busch-Figuren und Sprüchen bemalt, wohl um die Schutzsuchenden während der Bombenangriffe aufzuheitern. "Reichshöhlenmalerei" nennt Eisermann das.

Ein paar Gänge weiter sind noch die Reste einer halbmeterdicken Panzertür zu sehen. Obwohl der Zugang zugemauert war, hätte ihn "irgendein Iwan" entdeckt und die Tür aufgesprengt. Das löste ein " Höllenfeuer" aus. Alles, was in dem geheimen Bunker war, verbrannte restlos. Erst Jahre später untersuchte man den Ruß und stellte fest, dass Zelluloid verbrannt war. Weil auch Reste einer leistungsstarken Klimaanlage heute noch zu sehen sind, hat es sich wohl um ein Filmarchiv gehandelt. An die verrußten Wände haben Besucher und amerikanische Soldaten gekritzelt. Einer schrieb: "Ich leba dich".

Warum die Berliner den Flughafen so lieben, dass in kurzer Zeit 200.000 Unterschriften für einen Volksentscheid gesammelt wurden, kann Klaus Eisermann sich leicht erklären. Zum einen sei er durch die Luftbrücke ein Teil der Biographie vieler älterer Berliner. Es sei also Nostalgie im Spiel. Zum anderen liege es auch an der politischen Unzufriedenheit, die Leute wollten der rot-roten Regierung eine vors Schienbein knallen. "Man haut auf den Sack, meint aber den Esel."

© SZ vom 10.04.2008/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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