Fitness:Nichts geht mehr

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Die Nordic Walking-Mania treibt neue, schöne Blüten - vom Nordic Jumping bis zum Zen Walking

Sebastian Hepp

Wo früher Johnnie Walker kam, wenn der Tag ging, geht Johnnie heute Walken, wenn der Tag kommt. Nordic Walking, die finnische Form des Trockenskilanglaufs, findet immer mehr Anhänger. Bis vor kurzem wurden sie noch milde belächelt, jene zackigen und aufrechten Morgensportler, die - den Blick unbeirrbar nach vorne gerichtet - immer ein Ziel zu fixieren scheinen. Der gesundheitliche Effekt indes ist unbestritten: Nordic Walking kurbelt die Fettverbrennung an, versorgt den Organismus mit Sauerstoff, und beim lockeren Nach-vorne-Schwingen der Stöcke werden die Gelenke entlastet und die Schulter-, Arm- und Brustmuskulatur gestärkt. Die Disziplin mit inzwischen mehr als zwei Millionen Aktiven in Deutschland kommt damit nicht zuletzt der Figur zugute.

(Foto: Foto: AP)

Doch wie das so ist mit den menschlichen Erfindungen: Irgendwann wird auch die schönste von ihnen langweilig und die Vorreiter der Branche ersinnen wieder etwas Neues. So hat beim Nordic Walking der "Fitness-mit-fun"-Gedanke Einzug gehalten, der sich hauptsächlich in vier neuen Trends niederschlägt. Nordic Hill Walking heißt einer von ihnen, der auf den ersten Blick so neu nicht ist - versteht man darunter doch nichts anderes als ein zügiges Marschieren mit den Stöcken bergauf und bergab. Ein Novum ist hier vor allem der Power-Gedanke: Bei einem mindestens 30-minütigen Workout (am besten zwei bis drei Mal pro Woche) achtet man weniger auf die grüne Idylle mit dem atemberaubenden Ausblick, als vielmehr auf ein kräftiges Abdrücken mit den Füßen vom Boden, auf bewussten Stockeinsatz und eine tiefe und kräftige Atmung. Angebote wie "Nordic Walking Power Hour" in der Wildschönau oder "Laufend Hochgefühle" in Deutschlands erster "Nordic High Walking Arena" in Reit im Winkl haben inzwischen Konjunktur.

Laufend Hochgefühle, hopsend abheben

Weil angeblich auf der Stelle tritt, wer seine Strecke immer im selben Tempo zurücklegt, hat man zudem das Nordic Jumping erfunden - eine dynamische Variante des Nordic Walking mit eingebauten Hopsern. Wer am Berg jemanden mit Hilfe seiner Stöcke plötzlich in die Luft gehen sieht, muss bei ihm also nicht gleich ein Nervenleiden vermuten.

Eine schweißtreibende Kombination aus Walking und Jogging ist das so genannte Nordic Jogging. Unter Beibehaltung der Nordic Walking-Technik (gegengleiches Aufsetzen von linkem Stock und rechtem Fuß beziehungsweise von rechtem Stock und linkem Fuß) sind hier beim Wechseln ins Jogging-Tempo regelrechte Schrittsprünge mit ausgedehnter Flugphase zu beobachten. Das Märchen von den "Sieben- Meilen-Stiefeln" wird hier freilich nur für kurze Zeit wahr - auch geübten Ausdauersportlern wird diese Variante schon bald zu anstrengend.

"Stock'n Roll" heißt es beim Nordic Skating, der vierten Spielart des Nordic Walking. Neben Inline Skates, einem Helm und Protektoren sind hier auch für den Asphalt geeignete Langlaufstöcke erforderlich. Beim Nordic Skating werden nicht nur Po- und Beinmuskulatur trainiert, durch den Stockeinsatz werden auch Oberkörper und Arme beansprucht - und die Fettpölsterchen schwinden. Ein effektives Ganzkörper-Workout auf Rollen setzt freilich voraus, dass man die Skating- Technik des Skilanglaufs beherrscht.

Aufatmen an der Heimtierfront! Noch bis vor kurzem wurde "Bello" bei Freunden geparkt, wenn Herrchen und Frauchen in Urlaub gingen. Diese schwere Zeit ist für immer mehr Vierbeiner nun vorbei: Seit es Nordic Dogging gibt, können sportive Hundeliebhaber ohne schlechtes Gewissen dem Nordic Walking frönen - ihr liebster Freund folgt bei Fuß oder läuft ausgelassen voraus. Gesetzt haben diesen neuen Trend unter anderem findige Menschen in der Wildschönau. Dort bieten Besitzer von Hotels und Pensionen spezielle Nordic Dogging-Übernachtungstarife an. Das Nordic Dogging-Programm selbst ist nichts anderes als eine Einführung in das sportlich ausgerichtete Geh-Training mit Hund.

Power Walking ist in und beginnt das Bild vom sanften Ausdauersport für Genießer allmählich zu verändern. Stretching-Übungen für die Brust- und Schulterpartie, Sidesteps zur Straffung der Beinmuskulatur, Stop-and-go-Bewegungen bei gleichzeitigem Anheben eines Armes und eines Beines sowie Dehnübungen für den Rücken mittels eines Stabes oder eines Handtuchs sorgen für allerlei Variationen.

Auch ohne das Power-Prinzip ist man beim Walking um neue Ideen nicht ver- legen. Intervall-Walking nennt sich jene Disziplin, bei der sich sehr temporeiche mit langsamen Passagen abwechseln. Zwei bis drei Minuten lang soll man hier so mit dem Tempo anziehen, dass man fast versucht ist, in einen Joggingschritt zu fallen.

Dass Walking nicht nur Spaß machen, sondern auch Kalorien killen soll, stellt vor allem das Hill Walking - das zügige Aufund Abwärtsgehen am Berg ohne Zuhilfenahme von Stöcken - unter Beweis. Durch regelmäßiges Training - am besten drei Mal pro Woche jeweils 30 Minuten oder jeweils zehn mal 400 Meter - werden nicht nur Po und Oberschenkel gestrafft, es wird auch reichlich Fett verbrannt und die Muskelmasse nimmt zu.

Wie ruhig und beschaulich geht es da doch beim Zen Walking zu: Es vereint die meditativen Effekte des Yoga mit dem sanften Workout des Walkens. Zen Walking ist nicht nur etwas für Marathongeschädigte und Übertrainierte, sondern Genuss pur in der Natur: Es lenkt den Blick nach innen und fördert das völlige Loslassen und Abschalten. "You'll never walk alone": Wenn sich der Kultsong des FC Liverpool auf die Spezies der Geher übertragen lässt, dann besonders auf die Zen Walking-Gemeinde. So wird Zen Walking meist von einer Person geleitet, die vorausgeht. Die übrigen Teilnehmer schließen sich reihenweise an.

Eine der wichtigsten Übungen beim Zen Walking ist "Kinhin", die Konzentration auf eine langsame, tiefe Atmung. Der holländische Krimiautor und Buddhist Janwillem van de Wetering hat in einem seiner Bücher Kinhin an Hand eines Zwischenfalls sehr anschaulich beschrieben: "Die Gruppe folgte nach einer mehrstündigen Meditationsübung dem Leiter, genoss die Bewegung und die Natur. Doch bevor man wusste, was geschah, waren die Teilnehmer Teil eines Haufens sich windender Körper geworden, der immer größer wurde. Das Getümmel war von zwei großen Hunden verursacht worden. Der Leiter der Gruppe fürchtete sich vor Hunden und war wie angewurzelt stehen geblieben. Die anderen, in tiefe Meditation versunken, waren nacheinander über ihn gefallen." Ob die Übung sich seitdem "Kinn hin" schreibt, ist allerdings nicht überliefert.

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