Engadin:Zeitlos

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Der Hof Zuort wirbt mit dem Spruch: "Wir haben nichts." Das stimmt nicht ganz.

Von Dominik Prantl

Allein diese Hausordnung. Einfach großartig! In Frakturschrift ist darin zu lesen: "Stille! Ruhe!" Außerdem: "Beim Eintritt bitte SOFORT Bergschuhe ausziehen, Pantoffeln anziehen." In dem Ton geht es weiter, ganz unten steht: "Wer sich an obige Regeln nicht halten will, wird hinauskomplimentiert." Meinrad Zwerger, einer der beiden Pächter, schaut entschuldigend und sagt: "Die ist nicht mehr ganz so aktuell."

Aber was bedeutet "aktuell" schon in einem Haus, nein, einem musealen Anwesen wie dem Hof Zuort, einem Zwischending aus Hütte, Ansitz und Zeitmaschine mit insgesamt 28 Gästebetten. "Besuchen Sie uns, wir haben nichts", so lautet das Hotelmotto, was wohl ein besonderer Fall von Schweizer Understatement ist. Klar, der Miniweiler liegt verdammt verlassen auf einer Waldlichtung im bergigen Unterengadin, vier Kilometer entfernt von der Ortschaft Vnà, und schon die kommt dem Ende der Welt ziemlich nahe. Aber erstens ist bereits die Anreise ein Abenteuer, weil die letzten vier Kilometer über eine wellige Forststraße führen, die man bei Schnee am besten zu Fuß oder im Hofjeep bewältigt. Zweitens gibt es in Zimmer drei zwischen Schaukelstuhl und Jugendstilbett tolle Holzbohlen, die einfach immer wunderbar knarzen und an eines der obersten Frakturhausgebote - "KEIN Getrampel" - denken lässt. Und drittens hat Zuort trotz Etagenbädern und Holzbohlen jede Menge Stille! Und Ruhe! Und dazu so viel Geschichte, dass es sonst nichts mehr braucht.

Historische Zimmer, Stube mit Schnörkeln, nette Pächter. Aber das Beste sind die Uhren

Die Chronik im Sauseschritt: Das ursprüngliche Anwesen ist rund 1000 Jahre alt, die Urkunde als Lehenshof datiert aus dem Jahr 1482; da war die Erde bekanntermaßen noch eine Scheibe. In den folgenden Jahrhunderten diente der Hof als Landwirtschaftsbetrieb, Hospiz und Zollstation, weil jenseits der nächsten Scharte Österreich liegt (und heute das Skigebiet des Remmidemmi-Ortes Ischgl). 1873 griff sich ein Feuer die Gemäuer, und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zog der umstrittene niederländische Komponist und Dirigent Willem Mengelberg ein. Hier braucht es einen längeren Zwischenstopp.

Ein Zwischending aus Hütte, Ansitz und Zeitmaschine: der alte Engadiner Hof Zuort. (Foto: PR)

Denn Mengelberg, der später zu viele Konzerte für Nazis gab, um nach 1945 nicht in Ungnade zu fallen, prägt den Ort auf 1711 Metern bis heute. Er verwandelte ihn nicht nur in eine Art Künstlerkolonie, sondern auch in seine Residenz. Schon 1911 errichte er einen Steinwurf weit oberhalb des alten Hofes das Belle-Époque-Chalet "Chasa Mengelberg". Noch ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod kümmerte sich eine von ihm gegründete Stiftung darum, dass hier Holländer musizieren durften. Heute beherbergt die Chasa sechs ausgesprochen individuell gestaltete Schlafzimmer für Gäste, eine Bibliothek und diverse Aufenthaltsräume; an den Wänden Florett und Rehbock, in den Regalen Madame Curie und Wilhelm Buschs gesammelte Werke. 1920 kaufte Mengelberg auch den Hof samt 13 Hektar Land und ließ eine hölzerne Waldkapelle im Stil einer norwegischen Stabkirche zimmern - aus Dankbarkeit, weil Holland und die Schweiz im Weltkrieg verschont geblieben waren.

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(Foto: PR)

Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Hof aufgemotzt - mit Belle-Époque-Zimmer in der Chasa Mengelberg.

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(Foto: PR)

Das Herz des Anwesens, die Stube, ist mit Holzschnitzereien verziert.

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(Foto: PR)

Auch die Kapelle im Stil einer norwegischen Stabkirche ist aus Holz gezimmert.

Und er holte Clot Corradin als Pächter nach Zuort, einen Landwirt und Schnitzer. Er gab der Stube, dem Herzen des Anwesens, die kunstvollen Holzverzierungen. Die blieben auch so, als Peter R. Berry, ein wohlhabender Arzt aus St. Moritz und der vierte seines Namens (einer davon war Künstler mit heute eigenem Museum in St. Moritz), das Gehöft vor sieben Jahren erwarb, renovierte und vor einem Jahr an Doreen Carpanetti und Meinrad Zwerger verpachtete, zwei ziemlich rührige Menschen.

Aber das Allerbeste in Zuort, das sind die Uhren. Um 16 Uhr 45 zeigt die eine davon zehn vor acht, die andere fünf nach fünf, und die große Kuckucksuhr im Eingangsbereich steht still auf halb vier. Als habe sich die Zeit hier entschieden, einfach aufzugeben.

Übernachtung im Vierbettzimmer mit Frühstück ab 73 Euro pro Person, im DZ ab 99 Euro, Halbpension 26 Euro (sehr empfehlenswert), www.zuort.ch

© SZ vom 21.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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