Ende der Reise:Weniger Licht!

Lesezeit: 1 min

Der Mensch sucht schöne Aussichten, Weite und Licht. Dachte man. Immer öfter gehen Urlauber aber freiwillig unter die Erde. Warum nur?

Von Hans Gasser

Jahrtausendelang ging der Mensch nicht freiwillig unter die Erde. Sondern weil ihn irgendjemand dazu zwang. Der Fronherr, der an Eisen oder Silber kommen wollte. Wilde Viecher oder kriegerische Artgenossen, die unsere des Häuserbaus noch unkundigen Vorfahren in Höhlen trieben. Oder aber, unausweichlich, der eigene Tod, den die Mitmenschen zum Anlass nahmen, um Platz auf der eher begrenzten Erde zu schaffen.

Zu Lebzeiten aber sucht der Mensch, vor allem der reisende, eher die Aussicht, das Licht, die Weite. Dachte man zumindest bisher. Doch allmählich scheint sich das zu ändern. Aufmerksame Beobachter des Reisemarktes werden feststellen, dass die Touristen immer öfter freiwillig unter die Erde gehen und dafür sogar noch viel Geld bezahlen. Bei den Königsgräbern in Theben-West kann man das ja noch verstehen. In der Kapuzinergruft in Palermo, wo mumifizierte und bekleidete Tote aus der ehemals besseren Gesellschaft einen seltsam schief angrinsen, schon weniger.

Aber warum um alles in der Welt gehen Menschen freiwillig in ein Höhlenhotel? Wo es von der Decke rieselt, manchmal feucht und muffig, immer aber stockdunkel ist, sobald man das Licht ausmacht? In Kappadokien erfreuen sich diese in den Tuff gehauenen Wohnhöhlen bei Urlaubern größter Beliebtheit, genauso im süditalienischen Matera. Klar, wenn es draußen 40 Grad hat, kann so eine Höhle schon was Erfrischendes haben. Aber erstens gibt es Klimaanlagen, und zweitens fühlen sich auf Dauer nur Käse und Fledermäuse in einer Höhle wohl.

Im Cappadocia Cave Resort ist besonders die Höhlen-Hochzeitssuite begehrt. Bis vor einigen Jahren war sie noch ein Eselsstall. Jetzt zahlen Verliebte mehrere Hundert Euro pro Nacht. Das sollte uns zu denken geben. Die Innenkabinen eines Kreuzfahrtschiffs sind auch immer schnell ausgebucht, obwohl in ihnen bestenfalls ein Bildschirm mit einer Aussicht aufs Meer aufwarten kann.

Offensichtlich ist der Mensch des Lichtes müde. Denn anders ist es nicht zu erklären, dass uns etwa ein 57 Kilometer langer Bahntunnel unter dem Gotthard als tollste Neuerung verkauft wird. Statt schönster Bergpanoramen, Seen und alter Dörfer sehen wir jetzt 57 Kilometer lang schwarz. Dafür ist man schneller in Mailand. Wo es bestimmt auch eine schöne Gruft zu besichtigen gibt.

© SZ vom 09.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: