Ende der Reise:Nichts wie weg!

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Wenn an Land wieder alles zugeht, Theater inklusive, ist es kein Wunder, dass die Künstler auf Hohe See flüchten. Dort geht es freier zu. Oder?

Von Hans Gasser

Ein Schiff wird kommen. Ob es den einen bringt oder den anderen mitnimmt - geschenkt. Fest steht: Wenn es an Land ungemütlich wird, weil Corona-Zahlen "explodieren" und Politiker, die sich im Krieg wähnen, rittmeisterliche Dinge sagen wie "Wir müssen die Zügel anziehen" oder sogar "Daumenschrauben anlegen" wollen, dann ist es Zeit, in See zu stechen. Denn die Rittmeister lassen ihren Worten schnell Taten folgen in Zeiten wie diesen - und das schlimmste Wort kursiert wieder: Lockdown.

Das Reisewesen und das Kulturwesen sind zwei der von den Pandemie-Maßnahmen am härtesten getroffenen Bereiche. Kaum etwas geht mehr, weder ein Flug nach Mallorca noch ein Musical vor vollem Haus. Da ist es nur folgerichtig, wenn Künstler jetzt die Flucht nach vorne antreten und ein Kreuzfahrtschiff besteigen, um dort ihre Künste darzubieten. "Sperrstunde, Alkoholverbot: All den schönen Dingen, die uns an Land erwarten, kann man auf einem Schiff wunderbar entkommen", sagte Corny Littmann, Betreiber von drei Theatern in Hamburg und auch König der Reeperbahn genannt. Einige Künstler seines Schmidt-Theaters wechseln Anfang November für einen Monat auf die Mein Schiff 1, um dort vor 350 Menschen gleichzeitig zu spielen. In Littmanns größtem Haus, dem Tivoli, sind es aktuell nur 250 von 630 Plätzen, und wer weiß, wie schnell die nochmals reduziert werden - Söder lässt grüßen!

Wer jetzt sagt: Die Ratten verlassen das sinkende Schiff, liegt verkehrt, denn sie verlassen ja das sinkende Land, und dann ist es nicht vergessen, wie im Frühjahr Kreuzfahrtschiffe voller Infizierter unter Quarantäne gestellt wurden. Im Grunde ist es also eine Verzweiflungstat der Künstler, die nicht hoch genug bewertet werden kann. Oder, wie Gerhard Polt sagen würde: "Wenn sich der Künstler am Standort Deutschland nicht mehr eine Handvoll Reis am Tag verdienen kann, dann sucht er sich halt einen andern Standort, dann geht er aufs Wasser!" Die Künstler müssen wie alle anderen Passagiere einen negativen Test vorlegen, bevor sie aufs Schiff gehen. Aber dann kann gesungen werden: "Künstlers Braut ist die See / Einmal muss es vorbei sein ..."

© SZ vom 29.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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