Ende der Reise:Italienische Ordnungsliebe

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Es ist eine romantische Mär, dass die Italiener leichtlebig sind und es mit den Regeln nicht so genau nehmen.

Von Hans Gasser

Ach, die Italiener, dieses leichtlebige Volk, das es mit Regeln nicht so genau nimmt, Meister der Improvisation; wie gerne wären wir wie sie, ein bisschen entspannter, ein wenig mehr leben und leben lassen. Oder?

Was für ein Unfug! Diese Art von Italienern ist längst vom Aussterben bedroht, existiert nur noch in den Köpfen romantisch verbrämter deutscher Urlauber. Nehmen wir zunächst die Strände, ganz egal, ob an der Adria oder auf der anderen Seite, am Tyrrhenischen Meer. Die Liegestuhl- und Sonnenschirm-Industrie ist hier minutiös geregelt. Der Bagnino und seine Angestellten wachen wie Finanzbeamte über die Liegen, 20 Euro pro Tag sind abzudrücken, in der Hauptsaison geht nichts ohne vorherige Reservierung, und wer es wagt, sich mit seinem mitgebrachten Schirm auf die fünf Meter Strand zwischen Liegestuhl-Pflasterung und Meer zu legen, wird sofort vertrieben. Der Bereich müsse frei bleiben, verkündet der Bademeister, das sei die Vorschrift. Und die Stranddusche sowie den Spielplatz dürfen natürlich nur zahlende Gäste benutzen. "Funziona così da noi", so funktioniert das bei uns.

Der "Pignolo" ist in Italien längst so verbreitet wie seine deutsche Entsprechung, der Korinthenkacker, eher noch mehr. Denn während die italienischen Familien sich ohne Murren auf den gemieteten Liegestühlen der geregelten Strandarbeit hingeben, genügt ein Blick auf die wenigen Abschnitte, die nicht bewirtschaftet sind: Wer liegt dort im Sand zwischen jeder Menge Treibholz und Plastikmüll? Natürlich deutsche Urlauber, die sich ihr Wilder-Strand-Erlebnis nicht von pedantischen Badeanstalts-Verwaltern vermiesen lassen wollen - mag der Sand beim Essen der Bio-Wassermelone noch so zwischen den Zähnen knirschen.

Ein noch verschärfteres Bild zeigt sich auf vielen italienischen Campingplätzen. Wo der französische Patron, ganz laissez-faire, den Gast einlädt, sich einfach einen der freien Plätze auszusuchen und ihm dann den Standort mitzuteilen, muss man sich auf italienischen Campingplätzen erst einmal einer längeren bürokratischen Prozedur unterziehen, Formulare ausfüllen und die Hausregeln lesen, die unter anderem eine zweistündige Mittagspause vorsehen, in der niemand den Platz mit dem Auto verlassen darf. Wenn man Glück hat, wird man mit einem Golfcart herumgefahren, um sich Standplätze anzuschauen; Leider sind die meisten schönen, schattigen aber reserviert oder aus komplizierten Gründen nicht vermietbar. Meist bekommt man dann einen Platz zugewiesen, dazu eine Nummer, die am Campingmobil anzubringen ist plus zwei Chipkarten für die Schranke, Armbändchen für den Pool und Jetons zum warmen Duschen. Wer all das bei der Abreise nicht vollständig wieder vorlegt, weil man im Urlaub auch mal etwas Unordnung zulassen möchte, der muss sich Belehrungen über Ordnung und Disziplin anhören und manchmal Strafe zahlen. Da hilft eigentlich nur: abtauchen in der Adria und im nächsten Jahr an die wilde, freie Ostsee fahren.

© SZ vom 11.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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