Ende der Reise:Ein Döner auf Südtirol

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Törggelen wird immer touristischer. Für traditionsbewusste Einheimische gibt es da nur eine Lösung: locker bleiben.

Von Dominik Prantl

Törggelen (von lateinisch torculus für Weinpresse) bezeichnet den Südtiroler Brauch, im Herbst nach der Weinlese in geselliger Runde eine Mahlzeit einzunehmen. Der Satz ist natürlich nicht von uns. Steht so in Wikipedia. Und weil auch die von Wikipedia nicht so blöd sind, wie es der Schwarmintelligenz gerne nachgesagt wird, haben sie gleich in den ersten Satz sämtliche Speichelflusserzeuger gepackt: Südtirol, Brauch, Herbst, Weinlese, gesellige Runde. Wobei beim teutonischen Genussurlauber eigentlich schon das erste Wort zu erhöhter Nahrungsaufnahmebereitschaft führt: Törggelen.

Allerdings ist Törggelen zuletzt derart zum zugkräftigen Synonym für gesellige Mahlzeiten in Herbstambiente mutiert, dass sich der Brauch von seinem Ursprungsgebiet im Eisacktal nicht nur in sämtliche Südtiroler Seitentäler gefressen hat, sondern langsam auch in die angrenzenden Regionen wie Nordtirol und das Trentino schwappt. Und weil jede Bewegung eine Gegenbewegung erzeugt, ruft die Entwicklung des Törggelen zur reinen Touristenattraktion freilich einige Bewahrer auf den Plan. So wollen beispielsweise Südtirol Marketing (SMG) und der Südtiroler Bauernbund (SBB) ihr Brauchtum mit der Initiative "Törggelen am Ursprung" gemeinsam jene Orte kennzeichnen, wo eigens gekelterter Wein und Kastanien aus der Umgebung angeboten werden. Auch die Freiheitliche Partei Südtirols stellt sich mal wieder dem Kampf gegen den Einheitsbrei. Schließlich sei langsam aber sicher ein "schleichender Missbrauch des Törggelens" festzustellen, weshalb man dem Glaubwürdigkeitsverlust nur Einhalt gebieten könne, "indem man dem Besuchern klar sagt, wo er echtes Törggelen findet und wo nicht".

Zwar sind die Freiheitlichen garantiert die einzige Partei weltweit, die den in Südtirol üblichen Brauch des Herz-Jesu-Feuers tatsächlich als Symbol gegen illegale Zuwanderung interpretiert, aber natürlich haben sie in diesem Fall unendlich recht: Es braucht klare Regeln, um den ignoranten Urlauber vor falschem Brauchtum zu schützen. Sonst kommt es noch so weit, dass die Chinesen ein Oktoberfest veranstalten, die Namibier Schweinshaxen im Brauhaus servieren und in Mallorca ein Bierlokal namens Oberbayern eröffnet. Andererseits könnten sich die Südtiroler ausnahmsweise mal lockermachen und demnächst zu Törggelen Speckdöner mit Kastanienpide verkaufen. Wer weiß, vielleicht wird auch das nicht nur Touristenattraktion, sondern irgendwann einmal sogar schützenswert.

© SZ vom 22.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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