Ende der Reise:Das Meer als Marke

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Die Riviera gibt es in zahlreichen Kopien. Die Toskana ebenso. Aber warum findet ausgerechnet die von Urlaubern massenhaft besuchte Adria keine Nachahmer?

Von Jochen Temsch

Seit Goethe in einer Kutsche gen Süden rumpelte, gilt Italien als Sehnsuchtsziel der Deutschen. Aber nicht nur im nasskalten Germania, überall in Europa brachen die gebildeten Stände vor 200 Jahren zur Grand Tour über die Alpen auf, um bei ihrer Rückkehr das Land, wo die Zitronen blühn und im dunkeln Laub die Goldorangen glühn, für seine Kunst und Lebensweise zu rühmen. So haben viele Orte und Regionen Italiens auf quasi natürlichem Wege geschafft, was heutzutage ganze Söldnerheere von Influencern für beliebige andere Urlaubsziele künstlich erzeugen wollen: Sie sind zur Marke geworden. Allen voran die Toskana und Venedig, die auf Werbewebsites weltweit zum Vergleich herangezogen werden, wo immer sanfte Hügellandschaften beziehungsweise Kanäle geballt vorkommen.

Es gibt die Toskana Österreichs (Steiermark), der Schweiz (Tessin) und des Nordens (Uckermark); das Florenz Spaniens (Valencia), Russlands (Jaroslawl an der Wolga) und das Elbflorenz (Dresden); die Venedigs des Nordens (Stockholm, Amsterdam, Sankt Petersburg und Haapsalu in Estland), mehrere im Osten und sogar eins im Orient (Basra). Ja, ganz Italien hat es als Warenzeichen zu etwas gebracht. Und weil Nachahmung eine offene Form der Bewunderung ist, steht sogar eine Kopie von Sterzing, der nördlichsten Stadt des gelobten Landes, in Deutschland: München.

Deshalb mutet es geradezu absurd an, dass ausgerechnet die von Urlaubern massenhaft besuchte Adria jenseits des Brenners und Siziliens keine Nachahmer findet. Adria des Nordens oder Nahen Ostens? Uckermärkische Adria? Nie gehört. Stattdessen wird die Konkurrenz von der Westküste Italiens geklont auf Tourist komm raus. Nicht nur andere Anrainer des Mittelmeers hoffen so, Besucherströme auf sich umlenken zu können an die Türkische, Französische oder Albanische Riviera - wobei Letztere direkt an die Adria grenzt. In der Karibik wartet die Riviera Maya auf Besuch. Und in der Schweiz schützt man eine Waadtländer Riviera vor, obwohl man dort zwar den Genfersee, aber noch lange kein Tyrrhenisches Meer zu bieten hat.

Haarspalter werden einwenden: Kein Wunder, dass der Namensklau bei der Adria nicht funktioniert. Handelt es sich dabei doch um ein Meer, das außer Italien sowieso alle möglichen Länder anspült, während die Riviera das besonders klangvolle italienische Wort für Küste ist. Aber so einfach darf man es sich nicht machen. In Wahrheit muss man eben einsehen: Die Adria ist einmalig.

© SZ vom 26.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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