Ende der Reise:Böse Beerensammler

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Bauern in Tirol wehren sich gegen naturkundliche Spaziergänge. Sie fürchten um die Früchte ihres Waldes. Verstehe einer die Österreicher.

Von Dominik Prantl

Der Tourismus ist auch nicht immer nur schön. In Österreich zum Beispiel. Da ist man als Tourist gewissermaßen ein Opfer des eigenen Erfolges geworden. In Wien rennen einem ständig diese komischen Pferdekutschen - die man selbstverständlich Fiaker nennen muss, wahrscheinlich deshalb, weil die Pferdln nach ihrer Kutschen-Karriere nur noch zum gleichnamigen Gulasch taugen -, über den Weg, vollgepackt mit Asiaten. Und die Berge erst. Die sind ja nicht nur mit Gondeln und Seilbahnen verbaut, sondern noch dazu mit Hängebrücken und Gebäuden, die garantiert von einem besonders bösen James-Bond-Bösewicht errichtet wurden. Das alles wäre noch akzeptabel, wenn das arme Land nicht noch als Transitstrecke für die ganzen Italienurlauber herhalten müsste.

Damit wäre der assoziative Bogen ins Wipptal geschlagen, jener Schneise, durch die eine breite Straße namens Brenner-Autobahn gen Süden führt. Aus einem Wipptaler Seitental haben sich jetzt ein paar Bauern an Landesregierung und Presse gewandt, weil ihnen die Tourismus-Pläne vor der Haustüre zu weit gingen. In der Tiroler Tageszeitung prangerten sie die "touristische Vermarktung und Zerstörung unserer Naturlandschaft" an. Ja, richtig so, schon klar. Allerdings ging es dabei nicht um zu viel Verkehrslärm, hektargroße Speicherseen oder hobbithöhlenartige Hotelprojekte an bisher unverbauten Bergseen (genau so eines gibt es in dem Wipptaler Seitental). Der Streit entzündete sich vielmehr an einem Angebot des örtlichen Tourismusverbands namens "Wandern mit Beerwert".

Auf naturkundlichen Ausflügen sollen im Spätsommer Heidel-, Preisel- und Holunderbeeren gesammelt werden, gerade genug, um für jeden teilnehmenden Gast ein Glas Marmelade zu produzieren. Erfahrungsgemäß nimmt an den Wanderungen pro Saison kaum mehr als ein Dutzend Leute teil, sagt die Verantwortliche Helga Beermeister. Da Namenswitze moralisch verwerflich und politisch unkorrekt sind, sei an dieser Stelle nur festgehalten: Die Frau heißt wirklich so. An das Sammeln von Pilzen, so Beermeister, habe man sich erst gar nicht gewagt. Die sind seit Langem eine Attraktion für italienische Grenzgänger und daher ein Politikum in Tirol. Einer Blitzrecherche zufolge sind alle drei Beerenarten in der Wipptalregion noch nicht vom Aussterben bedroht.

Weil es so schwer zu kapieren ist, dass nun sogar ein paar reife Beerchen als Sinnbild für die Ausbeutung der Alpen herhalten, muss als Ratgeber dringend Franz Grillparzer her. "Die Deutschen wollen die Österreicher verstehen, können es aber nicht. Die Österreicher könnten die Deutschen verstehen, wollen aber nicht", hat der österreichische Nationalpoet geschrieben. Er hat sicher recht damit. Vielleicht würden wir den Bauern sonst wünschen, dass demnächst möglichst viele Lkws mit sizilianischen Heidelbeeren und Preiselbeermarmeladen aus Südtirol direkt vor ihrer Haustüre vorbeidonnern. Aber was verstehen wir schon davon?

© SZ vom 22.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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