Edel-Wassersport:Mas Caipi!

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Eine Woche pro Jahr vergnügen sich die Teilnehmer eines Motorbootrennens an wechselnden Austragungsorten und immer exquisiten Locations. Diesmal: Brasiliens Costa Verde.

Thomas Becker

Asterix trinkt keinen Caipirinha. Wie fast jeder Brasilianer trinkt er lieber Bier oder Cachaca pur. Aber heute ist Besuch da, aus Europa. Da werden natürlich Caipis gemixt. Stundenlang. Weil's so ursprünglich ist. "Mas Caipirinha!" heißt an diesem Abend der Lieblingssatz der polyglotten Gäste. Und Asterix mixt.

Im richtigen Leben heißt Asterix Dennis und ist Slowene. Vor vier Jahren hat es den Mann mit dem Gallier-Schnauzbart, der Lesebrille im Blondhaar und den abgeschnittenen Blue Jeans in diese immergrüne Bucht gespült, von der der Entdecker Amerigo Vespucci vor einem halben Jahrtausend sagte: "Wenn es ein Paradies auf Erden gibt, ist es nicht weit von hier."

Der Mann ist damals ganz schön rumgekommen, der muss es wissen. Im Gegensatz zu Vespucci ist Dennis dageblieben, in Abraao, dem größten, na ja, dem einzigen Ort auf der Ilha Grande, 20 Kilometer vor der Costa Verde, Brasiliens grüner Küste zwischen Rio und São Paulo.

Die Caipi-Gäste: ein Haufen Abenteurer, die mit einem Kreuzfahrtschiff angerückt sind. 220 Gäste auf einen Schlag: Das gab's noch nie in Abraao. Darum das Fest. Die Kreuzfahrer haben mehr als nur ein Schiff mitgebracht: Am Heck der 120 Meter langen Diamant schaukeln zwei Dutzend Powerboote ungeduldig wie ein Rudel Huskies - die Caipi-Gäste sind Teilnehmer des "Rubson Raid Turquoise", eines einwöchigen Motorboot-Rennens von Rio de Janeiro nach São Vincento, gut 400 Kilometer weiter im Süden.

15 Teams à vier Mann schießen mit bis zu 45 Knoten Geschwindigkeit in 250 PS starken Gummibooten übers Meer - eine Mischung aus Speed Race und Orientierungslauf, eine hochmotorisierte GPS-Schnitzeljagd vor prima Kulisse.

Zum fünften Mal veranstaltet der Belgier Philippe Martin ein solches Rennen. Der Restaurantbesitzer aus Brüssel war früher selbst ein wilder Hund, fuhr acht Mal das 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Seit 20 Jahren organisiert er Events, und der "Raid Turquoise" ist sicher der exquisiteste. Zwei Mal ging's rund um die Seychellen, in den vergangenen zwei Jahren dann um die Karibikinsel Martinique, nun also die Traumlandschaft Costa Verde mit ihren 350 vorgelagerten Inselchen.

Ein spektakulärer, ein teurer Spaß. Startgeld pro Team: 50 000 Euro. Außer Geld muss man aber nur ein Gesundheitszeugnis mitbringen, der Rest wird gestellt. Die Klientel: ein Dutzend Generalmanager, aber auch Broker, Optiker, Schiffsbauer, TV-Moderatoren, ein Rallye- sowie zwei Jet-Ski-Weltmeister und eine Mutter sind dabei; außerdem die "Cool Girls", ein Damen-Team mit sehr pinkfarbenen Helmen, gesponsert von einem Hersteller von Rasierklingen für Frauen. Manu Bertin, der Renndirektor, gilt als Pionier des Kite-Surfens, hielt den Speedweltrekord auf dem Brett und surft schon mal von Korsika rüber zum Festland. Ein illustrer Haufen, ein atemloser Abenteuertrip für Besserverdiener.

Solche Menschen sind sie in Abraao nicht gewohnt. Normalerweise kommen höchstens ein paar Individualtouristen oder die Brasilianer selbst zum Urlaubmachen. Vor der Cafeteria am Landungssteg empfängt sie ein ausgiebig blinkender Weihnachtsbaum, in der dicksten Hitze versuchen fahrende Händler, pappsüße Torten an den Mann zu bringen, an der Kirchentür erinnert ein Plakat an den Bingo-Abend am kommenden Wochenende, und ein paar Meter weiter steht über einem Bambusverschlag mit gelben Plastikstühlen das Wort Bier Garten. "Jaja, gehört dem Lutz aus Hamburg", sagt Asterix.

Man kennt sich im Ort. Man kennt sich sogar so gut, dass man sich schon gar nicht mehr grüßt. "Man sieht sich eh 20 mal am Tag", so Asterix. Knapp 2500 Menschen leben in Abraao, auf der ganzen Insel sind es etwa 500 mehr, nur ein paar Fischersiedlungen sind noch bewohnt. Es gibt insgesamt zwei Autos: Polizei und Feuerwehr - ohne Kennzeichen. Wozu auch?

Vor ein paar Jahren spielten die Ordnungshüter noch eine wichtige Rolle: Die Ilha Grande war früher nicht nur Anlegestelle für Sklavenschiffe aus Westafrika, später Piratendomizil und Quarantäne-Lazarett, sondern mehr als 50 Jahre lang bis 1994 auch Gefängnisinsel. Am Plage de Parnaioca, einem der 106 Strände der Insel, stand die berüchtigte Strafanstalt Colonia Penal de Candido Mendes.

Zig Jahre nach der Sprengung steht dort ein Restaurant, das "Corsario negro". Asterix sagt: "Das Essen ist aber nicht gut da." Er empfiehlt stattdessen eine der fast 100 Pesadas, der schmucken, zweistöckigen Holzhäuser, bei denen neben schwarzen Bohnen mit Reis vor allem das Nationalgericht Moqueca auf der Speisekarte steht, ein Fischeintopf, meist zubereitet mit Kokosmilch, Palmöl und Tomaten. Früher gab es noch eine Sardinenfabrik, es wurde Kaffee angebaut, doch ganz allmählich stellt man sich auf Touristen ein, preist die knapp vierstündige Wanderung auf den Pico de Papagaio, 1040 Meter über dem Meer. Bis nach Rio soll man sehen können.

Aber da kommen die Caipi-Gäste ja gerade her. Die erste Nacht auf See haben sie zu Füßen des Zuckerhuts verbracht, sind am Morgen nach einer übermütig-vorfreudigen Lagebesprechung wie eine Herde junger Fohlen durch das Meer vor den Stränden Copacabana, Ipanema und Leblon galoppiert und haben festgestellt, dass Schnellbootfahren bei Wellengang nicht nur verdammt anstrengend, sondern auch gefährlich ist.

"Défiez l'eau - Trotzt dem Wasser" heißt das Motto des Rennens - an Tag eins lehrte das Element die Seefahrer der Neuzeit Demut: Seekranke en masse, ein ausgeschlagener Zahn, eine Schnittwunde, eine tennisballgroße Stirnbeule, bei Team Italia gingen alle vier Mann gleichzeitig über Bord. Der Corcovado, die Jesus-Statue hoch über der Stadt, sah sich das alles an, und irgendwie wartete man darauf, dass er die ewig ausgebreiteten Hände vors Gesicht schlägt.

Er tat es nicht, die Hatz ging weiter, nach Süden. Vorbei an der Ilha Gipoia Richtung Angra Dos Reis, einst Ayrton Sennas liebster Ferienort. Von subtropischem Regenwald bestandene, knapp 1700 Meter hohe Berge mit zahllosen "Zuckerhüten" liegen hinter einem dünnen beigen Dünenband, immer näher rückt das grüne Gebirge an die Küste. Unbewohnte Mini-Eilande lugen aus dem Ozean, als hätte sich vor Urzeiten ein Riese Brocken aus dem Zottelschopf geschüttelt. Nur das Kraftwerk, das in dieser Nicht-Zivilisation plötzlich hinter Palmen auftaucht, will nicht recht ins Bild passen.

Dagegen wirkt Parati, vor dem Bau der Eisenbahn einst eine wichtige Hafenstadt im Süden, wie das Werk eines dick auftragenden Kitschmalers: krummes Kopfsteinpflaster, nett angeleuchtete Kirchlein, windschiefe, denkmalgeschützte Häuser aus dem 17. Jahrhundert, verwunschene Gartencafés und auf dem Dorfplatz der autofreien Altstadt - natürlich - Fußball spielendes Jungvolk, bis tief in die Nacht. Wahrscheinlich hat Vespucci für diesen Flecken einen ähnlich poetischen Satz gefunden. Nur all die Souvenirläden kommen schon einen Tick zu routiniert daher. Man kann sogar mit Kreditkarte zahlen.

So weit ist es in Abraao noch lange nicht. Da gibt es nicht mal einen Bankautomaten. Dafür aber die Capoeira, eine Kampfkunst aus der Sklavenzeit, heute ein Folkloretanz, eine spielerische Mischung aus Karate und Breakdance. Die Dorfjugend lässt die Caipi-Gäste staunen, die wiederum froh sind, sich nach zig Stunden im Speedboot endlich ohne Schwimmweste, Knieschützer und Nierengurt bewegen zu können - wenn auch nicht ganz so geschmeidig wie die Gastgeber. Egal: "Mas Caipirinha!", dann wird das schon.

Allmählich beginnt man Asterix zu verstehen. Er hat nicht wirklich viel zu tun auf der Ilha Grande. Er lebt da, und es geht ihm offensichtlich verdammt gut dabei. Und dann verzieht Asterix seinen Gallier-Schnauzbart wieder zu einem breiten Grinsen und nimmt noch einen Schluck. Es ist Bier.

© SZ vom 22.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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