Deutschland:Plastikgeld

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In Hamburg wurden Stellen für Pfand-Sammler geschaffen. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Bisher verschwanden an vielen Flughäfen leere Flaschen einfach im Restmüll. Nun gibt es Initiativen, die das sich hoch summierende Pfand wohltätigen Zwecken zuführen. Nur am Franz-Josef-Strauß-Airport in München klappt das nicht.

Von Steve Przybilla

Seit neun Jahren gelten EU-weit strenge Vorgaben für die Mitnahme von Flüssigkeiten in Flugzeugen. Mehr als 100 Milliliter pro Behältnis sind an Bord nicht erlaubt. Viele Passagiere vergessen das - und so wandern die Plastikflaschen spätestens bei der Sicherheitskontrolle in den Müll. Und mit ihnen Tausende Euro. An vielen Flughäfen nämlich kümmert sich bislang niemand ums Pfand, sieht man einmal von den Flaschensammlern ab, die im Sicherheitsbereich aber nicht gerne gesehen werden.

"An vielen Flughäfen gibt es nur wenige Läden für die Rückgabe", schimpft Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe. Deshalb landeten die Pfandflaschen und Dosen "ohne Sinn und Verstand" in der Verbrennung. Für vorbildlich hält der Umweltverband hingegen das Projekt "Spende dein Leergut" am Frankfurter Flughafen. Reisende können dort ihre Flaschen an einem von 25 Automaten zurückgeben. Das Pfand wird nicht ausgezahlt, sondern an gemeinnützige Vereine gespendet. Nach Angaben des Flughafenbetreibers Fraport kamen im vergangenen Jahr 61 000 Euro zusammen. Der britische Daily Telegraph spottete bereits über diese "sehr deutsche Lösung für ein sehr deutsches Problem".

Bisher stehen solche Pfand-Automaten nur in den Frankfurter Terminals. Passagiere können selbst entscheiden, wem sie ihr Geld anvertrauen: Vier Organisationen stehen zur Wahl. Jedes Jahr kommen verschiedene Vereine zum Zug. 2014 ging ein Großteil der Spenden (43 Prozent) an den WWF, gefolgt von der Frankfurter Tafel (32 Prozent), dem Frankfurter Franziskustreff (14 Prozent) und der Hilfsorganisation "Luftfahrt ohne Grenzen" (elf Prozent).

Seit April 2015 ist der Frankfurter Verein für soziale Heimstätten - eine Hilfsorganisation für Obdachlose - im Spenden-Pool. Bereichsleiterin Christine Heinrichs spricht von einer "guten Idee". Mit den zusätzlichen Einnahmen sollen sogenannte Teilhabe-Angebote finanziert werden. "Damit können wir zum Beispiel mit Wohnungslosen zum Bowling gehen oder neue Trikots für unsere Fußballmannschaft kaufen", sagt Heinrichs. Überhaupt seien die Spenden-Automaten besser, als Flaschensammler in Mülleimern wühlen zu lassen: "Was diese Menschen brauchen, ist ein Weg zurück in die Gesellschaft."

Auch an kleineren Flughäfen wird der Umgang mit Pfandflaschen zunehmend zum Thema. Im Stuttgarter Terminal stehen Sammelboxen, in die Fluggäste ihre Dosen und Flaschen einwerfen können. Um die Leerung der Container kümmert sich der Verein "Trott-war", der in Stuttgart vor allem für die gleichnamige Obdachlosen-Zeitung bekannt ist. Trott-war wiederum hat durch die Pfandeinnahmen - 65 000 Euro im vergangenen Jahr - vier Stellen geschaffen, die neuen Mitarbeiter leeren jetzt die Container. "Wir beschäftigen Langzeitarbeitslose, ehemalige Sträflinge und Obdachlose, um ihnen eine Perspektive zu geben", sagt Trott-war-Mitarbeiterin Martina Wiede. "Besonders in der Reisezeit sind die Jungs gefragt."

Nach dem gleichen Prinzip wird am Flughafen Köln/Bonn verfahren. "Wir haben uns ganz bewusst gegen einen Automaten entschieden", sagt Flughafen-Sprecher Alexander Weise. "Uns ging es darum, nicht nur Geld zu spenden, sondern Leute in Lohn und Brot zu bringen." Seit Mai 2015 seien zwei ehemalige Langzeitarbeitslose mit der Leerung der zehn Plexiglastonnen betraut. Auch sie sind nicht direkt beim Flughafen beschäftigt, sondern über den Verein "Bürger für Obdachlose" angestellt. Wie gut das Angebot angenommen wird, könne man nach so kurzer Zeit noch nicht einschätzen, sagt Weise.

In Hamburg reagierte der Flughafen auf eine Petition der Obdachlosenzeitung

In Hamburg haben Flaschensammler auf dem Flughafengelände lange für Diskussionen gesorgt. Anfang des Jahres eskalierte der Streit. Der Flughafen erstattete gegen 97 Personen Anzeige, weil diese sich nicht an das Sammelverbot gehalten hatten. Daraufhin rief die Obdachlosenzeitung Hinz&Kunzt eine Online-Petition ins Leben, um sich für die Rechte der Sammler einzusetzen. 57 000 Personen unterschrieben - der Flughafen reagierte. Heute arbeitet er eng mit Hinz&Kunzt zusammen. Wie in Stuttgart gibt es nun auch in Hamburg spezielle Abfallbehälter, die von drei Langzeitarbeitslosen geleert werden. Gegen Flaschensammler, so der Deal, wird in Zukunft nicht mehr gerichtlich vorgegangen. An einigen Mülleimern sollen zudem "Sammel-Ringe" angebracht werden, um ihnen das Wühlen im Abfall zu ersparen. Matthias Seeba-Gomille, Gründer der Initiative "Pfand gehört daneben", freut sich über den Bewusstseinswandel auf vielen Flughäfen. "Jede Form des Engagements ist gut", sagt Seeba-Gomille.

Nur in München herrschen noch - oder wieder - die alten Verhältnisse. Nachdem der Flughafen drei Jahre lang mit der Caritas zusammengearbeitet hatte, wurde das Projekt 2014 wieder eingestellt. Das Modell, sagt Flughafensprecher Ingo Anspach, sei wirtschaftlich nicht tragbar gewesen, weil das Pfandaufkommen hinter den Erwartungen zurückgeblieben sei. Die Caritas bestätigt dies. "Es gab damals Probleme, weil der Flughafen-Putzdienst die Mülleimer oft vor uns geleert hat", erinnert sich Fachdienstleiterin Andrea Lachner. Auch sei damals noch eine "Pfandflaschen-Mafia" aktiv gewesen, die mit den Langzeitarbeitslosen konkurriert habe. Die gute Nachricht: "Momentan sind wir wieder mit dem Flughafen im Gespräch, um es nächstes Jahr eventuell noch einmal zu probieren", sagt Lachner - "dann aber mit einem neuen Konzept."

Aktuell geht die Entwicklung jedoch in eine andere Richtung. "Ziel des Flughafens ist es, möglichst keine Gelegenheiten für das Sammeln von Flaschen zu bieten", sagt Airport-Sprecher Anspach. "In diesem Zusammenhang werden derzeit Abfallbehälter geprüft, die eine Entnahme der Flaschen unmöglich machen."

© SZ vom 29.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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